HILDA LÜHRIG-NOCKEMANN : Kostenlose Verhütungsmittel für Geringverdienende?

8. Februar 2019 // Hilda Lührig-Nockemann

Selbstbestimmte Familienplanung ist ein Menschenrecht! Doch das gilt nicht für alle. Gleichberechtigt ist nicht jede Frau beim Zugang zu Verhütungsmitteln wie Pille, Verhütungspflaster oder -stäbchen, Hormon- oder Kupferspirale. Frauen mit geringem Einkommen sind die Leidtragenden. Denn im Kontext des GKV-Modernisierungsgesetzes ist die Wahl der Verhütungsmethode zu einer Frage des Geldes geworden.

zwd-Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann.
zwd-Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann.

zwd Berlin. Das soll sich ändern und ist jetzt ein Thema für den Bundestag – initiiert durch die Mitte des letzten Jahres eingereichten Anträge von Linken und Grünen. Denn bis dato war eine Entschließung des Bundesrates vom Dezember des Vorjahres nicht auf die Tagesordnung ­gesetzt worden. In die Debatte kommt Bewegung.

Im Regelbedarf von Hartz-IV-Empfänger*innen ist Verhütung schlichtweg nicht vorgesehen. Sie muss aus dem Topf „Gesundheitspflege“ finanziert werden, der eigentlich gedacht ist für nicht verschreibungspflichtige Arznei- und Heil­mittel, zum Beispiel gegen Kopfschmerzen, Magenbeschwerden oder Erkältungs­krankheiten. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel: Ärzt­lich verordnete Verhütungsmittel müssen sehr wohl aus diesem Topf bezahlt werden. Der beträgt im Jahr 2019 – um 30 Cent aufgestockt – gerade einmal 16,11 Euro für Alleinlebende und -erziehende bzw. 14,51 Euro für volljährige zusammenlebende Partner*innen.

Während die unter-21-jährigen Hartz-IV-Empfänger*innen diesen Betrag tatsächlich für „Gesundheitspflege“ ausgeben können, bleiben die älteren von ihnen im gebärfähigen Alter auf der Strecke. Denn auch im 21. Jahrhundert sind in der Regel Frauen für die Verhütung verantwortlich. Das heißt, sie tragen die Kosten. Allein für die Pille müssen sie, wenn sie das Geld für eine Sechsmonatspackung erübrigen können, monatlich zwischen 4,35 Euro (Femigyne-ratiopharm) und 12,65 Euro (Qlaira) einkalkulieren. Wen wundert es, wenn Frauen sich für das billigere und oft gesundheitlich nicht auf sie zugeschnittene Präparat entscheiden, verschlingt doch schon dieses fast ein Drittel ihres ihnen für Gesundheit zu-gestandenen Etats. Oder sie verzichten ganz auf die Verhütung und stehen vor dem Problem der bekann­ten ungewollten Folgen.

Aus Kostengründen verhüten Frauen, die Sozialleistungen be­ziehen, seltener als Frauen mit mittlerem oder höherem Einkommen und sind somit dem Risiko einer ungewollten Schwangerschaft stärker ausgesetzt. Kondome werden bei ALG-II-Bezug (33,3 %) häufiger benutzt als bei mittlerer ­finanzieller Lage (22,7 %). Von den Frauen dieser Einkommensgruppe nehmen 48,5 Prozent die Pille, von den ALG-II-Bezieherinnen nur 36,7 Prozent. 13,3 Prozent von ihnen wählen die ­(unwiderrufliche) Verhütungsmethode Sterilisation, während nur 6,3 Prozent der Frauen mit mitt­lerem Einkommen sich für diese entscheiden. Das belegt die Soziologin Prof.´in Dr. Cornelia Helfferich in der von ihr geleiteten und Ende 2017 erschienenen Studie „frauen leben 3“, die im Auftrag der Bundeszentra­le für gesundheitliche Auf­klärung (BZgA) durchgeführt wurde. Abweichende Ergebnisse wurden in der Studie von Prof.’in Ulrike Busch und Tanja Nitz ermittelt (siehe Tabelle).

Bis zum 31. Januar 2003 galt, wenn es um Verhütung ging, noch das Gleichberechtigungsprinzip unter Frauen aller Einkommensgruppen. Dann trat unter der rot-grünen Regierung das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenkassen in Kraft und in diesem Kontext wurde die Kos­tenübernahme für verordnete Verhütungsmittel von Sozialleistungsbezieherinnen durch das Sozialamt gestrichen. Seit 2004 müssen Frauen ab dem 21. Lebens­jahr die Kosten für Verhütungsmittel aus dem Regelbedarf abdecken. Der wurde zwar im Jahr 2019 angehoben – um bescheidene, die Inflationsrate ausgleichende acht Euro auf 424 Euro für Alleinlebende und -erziehende und auf 382 Euro für voll­jährige Zusammenlebende – lässt aber keinen Spielraum für eine selbstbestimmte Verhütung.

Vor diesem Dilemma stehen nicht nur Hartz-IV-Em­pfän­gerinnen, sondern alle Frauen mit geringem Einkommen, egal ob sie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungs-­ge­setz oder BAföG beziehen. Das Problem ist erkannt, die bun­des­weite Übernahme der Kosten für Verhütungsmittel wird gefordert, trotzdem ist das Problem nicht vom Tisch.

Das zeigen die Anträge von Grünen und Linken sowie die Entschließung des Bundesrates, die im Bundestag immer noch nicht abschließend behandelt wurden. Das vom Bundesfamilienministerium geförderte Projekt „biko” erreicht nur einen verschwindend geringen Teil der einkommensschwachen Frauen. Die Klärung der Frage, ob Verhütungsmittel für Ge­ringverdienende kostenlos sein sollen, steht also weiterhin in der War­­te­­­schleife – auch von der Bundesregierung liegt noch kein Gesetzentwurf vor.

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