STUDIE DER BERTELSMANN-STIFTUNG : Lehrkräftemangel größer als von KMK angenommen

9. September 2019 // Hannes Reinhardt

Der Lehrkräftemangel in Grundschulen wird im Laufe der nächsten sechs Jahre dramatischer als von der Kultusministerkonferenz (KMK) angenommen. So fehlen laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2025 mindestens 26.300 Absolvent*innen für das Grundschullehramt.

zwd Gütersloh. Die KMK war in ihrer Prognose aus dem Oktober 2018 hingegen von lediglich rund 15.300 fehlenden Lehrkräften ausgegangen. „Diese Diskrepanz ist auf einen stärkeren Anstieg der Schülerzahlen zurückzuführen“, erklärte die Bertelsmann-Stiftung. So hatte die KMK im vergangenen Jahr prognostiziert, dass die Zahl der Schüler*innen in der Primarstufe im Jahr 2025 bei 3,064 Millionen liegen würde. Eine Schüler*innenzahlenprognose auf der Basis der aktuellen Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Bundesamts zeigt jedoch, dass die Zahl der Grundschulkinder rund 3,232 Millionen betragen dürfte. Dies entspricht einem Plus gegenüber der KMK-Schätzung von rund 168.000 Schüler*innen.

Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung noch nicht berücksichtigt

Auch im Jahr 2030 werden die Schüler*innenzahlen absehbar höher liegen als von der KMK erwartet: So gehen die Studienautoren Prof. Klaus Klemm und Dirk Zorn davon aus, dass statt den von der KMK geschätzten 3,019 Millionen im Primarbereich dann mit 3,181 Millionen Schulkindern gerechnet werden müsse. Dabei verglichen die beiden Bildungsforscher die Prognose der KMK mit der Schüler*innenzahlentwicklung, die sich aus der jüngsten Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Bundesamts (Destatis) ableiten lässt. „Wenn es bis 2025 nicht gelingt, die bis dahin entstandene Lehrkräftelücke zu schließen, droht der Lehrermangel bis 2030 fortzubestehen“, warnte die Bertelsmann-Stiftung. Dem von der KMK bisher prognostizierten Absolventenüberschuss von 6.750 Grundschullehrkräften für die Jahre 2026 bis 2030 stehe nach den jetzigen Berechnungen nämlich ein zusätzlicher Bedarf von 10.600 Lehrkräften entgegen. Dabei seien schulpolitische Ambitionen wie der Ganztagsschulausbau noch gar nicht berücksichtigt.

Linke fordert gemeinsame Lösung von Bund und Ländern

Die Oppositionsfraktionen in Bund und Ländern zeigten sich durch die aktuellen Zahlen alarmiert. „Wir brauchen gute Qualifizierungsprogramme für Quer- bzw. Seiteneinsteiger, denn ohne die wird es nicht mehr gehen. Traurig, aber wahr. Die Anzahl der regulär bis dahin ausgebildeten Absolventen reicht bei weitem nicht aus“, sagte die bildungspolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Birke Bull-Bischoff. Der sich verschärfende Lehrkräftemangel an den Schulen lasse sich jedoch nur gesamtstaatlich lösen: „Bund, Länder und Kommunen müssen enger zusammenarbeiten, um zügig kurz-, mittel- und langfristige Lösungen zu finden: zum Abbau des Lehrkräftemangels ohne Qualitätsverlust, zur Steigerung der Attraktivität des Berufsfeldes, etwa durch die Verbesserung und Vereinheitlichung der Lehrergehälter, und Verbesserungen der Lehrerbildung“, forderte Bull-Bischoff. Ihre Amtskollegin der Grünen-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen Sigrid Beer bezeichnete die Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung als „ein unüberhörbares Warnsignal“. Die Landesregierung müsse jetzt umgehend handeln und dafür sorgen, dass bis 2025 genügend Grundschullehrkräfte ausgebildet werden.

Bildungsgewerkschaft VBE: „Erneutes Armutszeugnis für die KMK“

Auch Bildungsgewerkschaften sehen ihre Forderungen durch die aktuellen Zahlen bestätigt. So hatte sich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bereits in der Vergangenheit dafür ausgesprochen, den Numerus clausus (NC) für das Lehramt an Grundschulen abzuschaffen sowie die Zahl der Studien- und Lehramtsanwärter*innenplätze deutlich auszubauen. „Es ist eine Schande, dass junge Menschen, die sich für den wichtigen Beruf der Grundschullehrerin oder des Grundschullehrers entschieden haben, keinen Studienplatz bekommen“, sagte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe. Zudem seien die Abbruchquoten in der ersten und zweiten Phase der Ausbildung zu hoch. Hierfür müssten die Ursachen geklärt und dann die Rahmenbedingungen verbessert werden, forderte Tepe. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) kritisierte die KMK: Die veröffentlichten Zahlen seien ein „erneutes Armutszeugnis“ für alle an der dortigen Prognose Beteiligten. „Wir fordern daher eine kontinuierliche Schülerzahlprognose, die endlich auf die aktuellsten Zahlen der Länder zurückgreift“, erklärte der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann.

Artikel als E-Mail versenden