KOMMENTAR: zwd-HERAUSGEBER HOLGER H. LÜHRIG : Mediale Steigbügelhalter der neuen rechtsextremistischen Bewegung?

30. Juli 2019 // Holger H. Lührig

Keine Provokation ist anstößig genug, als dass sie nicht immer wieder Journalist*innen in Zeitungen und TV-Medien auf den Plan rufen und sie zur Kommentierung oder zur Vergeudung kostbarer Sendezeit in den TV-Medien veranlassen würde.

Holger H. Lührig, zwd-Herausgeber
Holger H. Lührig, zwd-Herausgeber

zwd Berlin. Diese Demokratie-Wächter sind wiederholt der sogenannten „Alternative“ (AfD) auf den Leim gegangen, die doch zunächst nichts anderes im Sinn hatte als mit provozierenden Äußerungen in die Schlagzeilen zu kommen – frei nach dem Motto: „Eine schlechter Presse ist besser als gar keine“. Doch angesichts der „Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es auch heraus“-Demoskopie, die den Rechtspopulisten immer neue Höhenflüge bescheinigte, scheinen manche journalistischen Beobachter*innen den Schluss gezogen zu haben, es gelte nun, dem parlamentarischen Arm der Rechtsextremisten mit der gebotenen journalistischen Neutralität zu begegnen. Damit werden deren Auftritte freilich erst hoffähig gemacht.

Fallbeispiel 1: In der Talkshow „Hart aber fair“ hatte ARD-Moderator Frank Plasberg den Vorsitzenden der rheinland-pfälzischen AfD-Landtagsfraktion Uwe Junge eingeladen, um mit ihm und weiteren Gästen über das Thema „Aus Worten werden Schüsse: Wie gefährlich ist rechter Hass?“ zu diskutieren. Ausgerechnet jenen Junge, der sich – immerhin von Beruf Stabsoffizier der Bundeswehr – mit Äußerungen hervorgetan hatte wie „Der Tag wird kommen, an dem wir alle Ignoranten, Unterstützer, Beschwichtiger, Befürworter und Aktivisten der Willkommenskultur im Namen der unschuldigen Opfer zur Rechenschaft ziehen werden!“ Die ARD hatte sich damit gerechtfertigt, sie bemühe sich zwar, „AfD-Vertretern kein Forum für ihre Zwecke zu bieten“, aber Einladungen an Vertreter*innen der „größten Oppositionspartei“ seien nicht immer zu vermeiden.

„Wer erklärt der Redaktion, dass demokratisch gewählt nicht dasselbe ist wie demokratisch?“

Gleichwohl hat die „Hart aber fair“-Redaktion dem Hetzer Junge das Podium geboten, um sich dort – weichgespült – als „Anwalt des Volkes“ zu präsentieren. Bezeichnend, dass sich am Schluss der TV-Show Moderator Plasberg gegenüber seinem Gast meinte rückversichern zu müssen, dass dieser sich nach dem Ablauf der Sendung sicherlich nicht als Opfer in einem Tribunal empfunden habe. Warum eigentlich? Eine Talkshow möchte ja Kontroversen abbilden. Aber ist sie - als „Show“ – geeignet für ­einen demokratischen Diskurs mit erklärten Gegnern des politischen Systems? Geht das Neutralitäts- und Objektivitätsgebot so weit, solchen Verfassungsfeinden eine TV-Plattform bieten? Ruprecht Polenz, der frühere CDU-Generalsekretär, hat zu Recht gefragt: „Wer erklärt der Redaktion, dass ‚demokratisch gewählt‘ nicht dasselbe ist wie demokratisch? Der Hinweis auf die ‚größte Oppositionspartei‘ klingt freilich gefälliger als ‚demo­kratisch gewählte Faschisten‘.“

Carolin Emcke hat in einer bemerkenswerten Kolumne in der Süddeutschen Zeitung vom 4. Juli („Warum deutsche Talkshows den Rechten nutzen“) herausgearbeitet, wie auf der Grundlage von Paragraf 11 des Staatsvertrages für Rundfunk und Telemedien mit der Verpflichtung zur „Objektivität und Unparteilichkeit, Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit“ die Gesprächssendungen jene Kriterien so pervertierten, dass sie die öffentliche Meinungsbildung nicht fördern, sondern verhindern. Die Kolumnistin, Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels 2016, hinterfragt, ob noch das reflektiert werde, was ein demokratischer öffentlicher Diskurs überhaupt sein sollte, wenn mitunter rechtsradikalen Gästen und ihrer Menschenverachtung solch „vulgäre Aufmerksamkeit“ zuge­dacht werde, „dass die Einblendung ‚Dauerwerbesendung‘ angebracht wäre“. Diese Fragestellung richtet sich nicht nur an die Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten, an die Rundfunk- und Fernsehräte. Sie richtet sich vor allem an die Medienmacher, die Journalist*innen in den Redaktionen und an deren Demokratie-Verständnis.

Fallbeispiel 2: Im Berliner Tagesspiegel (TSP), der sich ja gern als Hauptstadt-Zeitung präsentiert, gehört eine ausführliche AfD-Berichterstattung (z.B. mit einem dreiviertel-seitigen Feature auf Seite 3 über den AfD-Fraktionschef und Spitzenkandidaten zur Landtagswahl, Andreas Kalbitz) mittlerweile zur gängigen Praxis. Zwar wird darauf hingewiesen, dass Mitarbeiter von Kalbitz zur sogenannten Identitären Bewegung gezählt werden. Das hinderte die Autoren des TSP aber nicht daran, der AfD am Beispiel von Brandenburg unter Benutzung demoskopischer Momentaufnahmen an prominenter Stelle der Zeitungsseiten zu bescheinigen, dass sie weitaus mehr als die Altparteien (CDU, SPD) das Ohr am „Volk“ hätten. Transportiert wurde dort zudem die Botschaft, die AfD kümmere sich – explizit im Gegensatz zu CDU, SPD, Linken und Grünen – um die Menschen.

Zwar durfte dann auch Ministerpräsident Dietmar Woidtke (SPD) in einem Gastkommentar im Tagesspiegel einmal ­darauf hinweisen, dass die AfD lediglich über ein Wählerreservoir von kaum mehr als zwanzig Prozent verfüge, hingegen aber 80 Prozent der Wahlberechtigten demokratische Parteien wählten. Doch dieser Beitrag besitzt wohl eher Alibicharakter. Denn gerade die regelmäßige ­Berichterstattung über die AfD auf den Politikseiten der ehemals bürgerlich-­liberalen, immer noch auflagenstärksten Hauptstadt-Zeitung veranschaulicht, wie sehr die „neutrale“ ­Berichterstattung über rechtspopulistische ­Aktivitäten ­Eingang in die Zeitungsspalten gefunden hat – notabene wird anderen Parteien im TSP solche Aufmerksamkeit seltener gewährt. Dabei soll nicht unterschlagen werden, dass sich die Kulturseiten des Tagesspiegel wohltuend liberal von den von der rechtsorientierten Politikberichterstattung der TSP-Seiten 1-8 abheben.

Mit Rechten reden? Ein falsch verstandener demokratischer Diskurs bietet Hetzern und Rassisten eine Plattform!

Nun glaubt Jakob Augstein, der Herausgeber des „Freitag“, man müsse „mit Rechten reden, wenn ich verstehen möchte, warum sie bei einem Teil der Wähler so gut ankommen“. Aus seinem journalistischen Blickwinkel lässt sich dies nachvollziehen, wenn er selbstbewusst und gestützt auf kluge Argumentationen beispielsweise eine rhetorische Auseinandersetzung mit einem der Vordenker der neuen Rechten, Karlheinz Weißmann, führt. Den Linken und Linksliberalen, die nicht mit Rechten reden wollen, hält Augstein – übrigens in einem Interview, das bezeichnender Weise im Kulturteil des Tagesspiegel erschienen ist – vor, sie sollten sich fragen, ob sie sich vor fünf oder zehn Jahren darum bemüht hätten, den Rechtsruck, den wir gegenwärtig erleben, zu verhindern. Das ist freilich eine sehr polemische Analyse von Wirklichkeit, die die tatsächlichen Machtverhältnisse in der Nachkriegsrepublik bis in die heutige Zeit ignoriert. Die Linken und Linksliberalen hatten nie die publizistische Rückendeckung geschweige denn die Machtmittel, wie sie den Ultrarechten zuteil wird. Richtig ist eher, dass seit Jahren über Rechtstendenzen von der CDU/CSU-nahen Publizistik der Mantel des Schweigens gelegt wurde und von unionsgeführten amtlichen Stellen, insbesondere vom Bundesinnenministerium, dem Kampf gegen den Linksextremismus blind das Wort geredet wurde. Dagegen wurde Rechtsextremismus seit jeher auf Einzelfälle heruntergestuft. Erst seit dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wird die Einzeltäter-These, wie sie noch bei den NSU-Morden unterstellt wurde, in Frage gestellt. Insofern lässt Augsteins Argumentation außer Acht, dass ein ernsthafter Diskurs mit Hetzern und Rassisten nicht möglich ist und diesen Kräften allenfalls den ­unverdienten Anschein der Seriosität eröffnet.

Auch wir haben in der Redaktion kontrovers darüber diskutiert, ob wir bei der Präsentation der Wahlprogramme die AfD berücksichtigen sollten. Anlässlich der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt hatten wir entschieden, Inhalte des AfD-Wahlprogramms kritisch zu beleuchten (zwd-POLITIKMAGAZIN, Ausgabe 337). Wir haben die politische Entwicklung mit der Forderung verbunden: „Demokratie wählen statt deutschnational-völkischen Rechtspopulismus“. Am 13. März 2016, dem Abend der Landtagswahl, kam dann die TV-Moderatorin Anne Will in ­ihrer Sonntags-ARD-Talkshow zu der überraschenden Erkenntnis, man habe sich wohl mit dem AfD-Programm bisher zu wenig auseinandergesetzt. Wohl wahr, aber ist diese Erkentnis zielführend? Macht es beispielweise überhaupt noch Sinn – haben wir uns gefragt –, die Hasstiraden und genderfeindlichen Parolen dieser Partei, die zum Standard eines jeden AfD-Programms zählen, immer wieder zu benennen? Auch in dieser Ausgabe standen wir wieder vor der Fragestellung, wie viel AfD muss sein, zumal die rechtsbürgerlichen Zeitungen wie der TSP im Verein mit immer neuen Demoskopie-Befragungen suggerieren und geradezu herbeizuschreiben versuchen, die AfD werde zur stärksten Partei in Sachsen und Brandenburg (TSP, 14.7., S. 1!) aufsteigen. Geschichtsbewusste erinnern an die End-20er Jahre sowie frühen 30er Jahre der Weimarer Republik, also vor der Machtergreifung Hitlers, als die Hugenberg-Presse – gestützt auf Wirtschaftsbarone und die Geldgaben der Industrie an die Nationalsozialisten – zu Steigbügelhaltern der Braunen wurden. Wer das nach rechts ausufernde Klima und die Medienlandschaft hierzulande betrachtet, fühlt sich zwangsläufig an diese Zeit erinnert. Gegenüber solchen Anfängen gilt es, entschlossen die demokatischen Werte zu verteidigen.

Unübersehbar ist, dass nicht allein inländische Medien als Steigbügelhalter der Rechtspopulisten und ihres rechtsextremistischen Gefol­ges fungieren, sondern auch ausländische Mächte und Geldgeber (USA und Russland) daran offen und verdeckt mitwirken, unsere Demokratie, unser Land und Euro-pa zu destabilisieren. Sie bedienen sich dabei der Pegida-Demonstranten und ihres parlamentarischen Arms, der AfD. ­Insofern ist die Antwort auf die Frage: „Mit Rechten reden?“ aus meiner Sicht eindeutig: Es wäre ein falsch verstandener demokratischer Diskurs, den Feinden unseres politisch-parlamentarischen Systems auch noch eine Plattform zu bieten, damit sie unser politisches System komplett nach rechts führen. Leider sehen nicht wenige Vertreter der journalistischen Zunft dies anders. Mit ihrer falsch verstandenen „Objektivität“ und „Neutralität“ machen sie sich zu Steigbügelhaltern der rechten und rechtsextremistischen Kräfte.

"Die AfD wird zur eigentlich wahren NPD werden." Diese Äußerung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) war der Tagesspiegel-Politikredaktion keine Schlagzeile, sondern lediglich eine 17-Zeilen-Meldung wert.

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