UNION CONTRA HEIL-GESETZENTWURF : Mehr als zwei Millionen Frauen könnten von Grundrente profitieren

23. Mai 2019 // Ulrike Günther und Hannes Reinhardt

Von der neuen Grundrente, die Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch im Kabinett vorgestellt hat, sollen in der Mehrheit Frauen profitieren. Für die Union kein Grund, ihre Blockadehaltung aufzugeben.

ver.di Plakat zur Grundrente - Bild:zwd
ver.di Plakat zur Grundrente - Bild:zwd

zwd Berlin. Der Gesetzentwurf des Bundesarbeits- und -sozialministeriums (BMAS), auf den sich Heil am Dienstag mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) geeinigt hatte, sieht vor, dass Geringverdienende, die mehr als 35 Jahre gearbeitet, Kinder erzogen oder Familienangehörige gepflegt haben, ein Alterseinkommen erhalten, das mindestens „zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfes“ liegt. So lautet die Vorgabe im Koalitionsvertrag. Dieser will laut Heil, „dass wir klarmachen, dass Arbeit im Leben einen Unterschied macht“. Gerade „fleißige und tüchtige Menschen“ sollen von der Grundrente profitieren.. Auch diejenigen, die vorher einen weniger gut bezahlten Beruf ausgeübt haben, wie Friseur*nnen, Altenpflegehelfer*nnen oder Lagerarbeiter*nnen, sollen ihren Lebensabend in Würde verbringen können, betonte der Sozialminister. Heil sagte, dass es sein Ziel sei, die Grundrente noch im Laufe dieser Legislaturperiode durchzusetzen. Das neue Gesetz räumt den betroffenen Rentner*innen zudem einen Freibetrag innerhalb der Grundsicherung für den Ruhestand sowie bei geminderter Erwerbsfähigkeit ein. Auch Arbeitslose, Kurzzeitarbeiter*innen und Menschen mit durch Rehabilitation verursachten Ausfallzeiten würden durch die Grundrente im Alter besser abgesichert. Durch die vorgesehene Absenkung des Beitrages zur Krankenversicherung würden die Rentner*innen zusätzlich entlastet, erklärte Heil.

Die Grundrente würde dazu beitragen, den „Solidar-Vertrag zwischen den Generationen“ (Wilfried Schreiber) verlässlicher und auch fairer zu machen. Heils Angaben zufolge kämen ab 2021 etwa drei Millionen Bürger*innen in den Genuss der erhöhten Rente, etwa 75 Prozent davon sind Frauen (ca 2,25 Millionen). Die Kosten in Höhe von etwa 21 Milliarden Euro in fünf Jahren will Heil dem Entwurf gemäß über die in Aussicht gestellte europäische Finanztransaktionssteuer sowie durch die Abschaffung der sogenannten "Mövenpick-Steuer" (im Jahr 2009 war auf Betreiben der FDP der Mehrwertsteuersatz für Übernachtungen in Hotels gesenkt worden) stemmen. Die Rücklagen der Rentenkassen bleiben, anders als bisher vermutet, unangetastet.

"Lebensleistung von Menschen anerkennen"

An diesem Finanzierungskonzept setzt die Kritik von CDU und CSU an. "Dieses besteht aus einer Ansammlung von Luftbuchungen“, monierte der haushaltspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, Eckhardt Rehberg (CDU) in einer Fraktionsmitteilung. Die aufzuwendenden Summen seien nicht real vorhanden: "Mehr als vier Milliarden Euro sollen mit allen Tricks zusammengekratzt werden.“ Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Hermann Gröhe (CDU), bezeichnete den Gesetzentwurf des Sozialministers sogar als einen "finanz- und sozialpolitischen Offenbarungseid". Auch von der FDP-Opposition kam Kritik: Für Johannes Vogel, rentenpolitischer Sprecher der liberalen Bundestagsfraktion, ist die geplante Grundrente ein „dreister Griff in die Sozialkasse“.

Die SPD-Bundestagsfraktion wies die Kritik zurück - die Einführung der sogenannten Respekt-Rente seine eine „Frage der Gerechtigkeit“. Ziel sei es, die im Berufsleben erbrachte Leistung der Menschen besser anzuerkennen und sie vor im Alter drohender Armut zu schützen. Aufgrund des Gender Pay Gaps und weil sie vielfach durch Kindererziehung oder Pflege von Familienmitgliedern öfter in Teilzeit arbeiten, sind Frauen bisher im Alter besonders häufig auf die Grundsicherung angewiesen, mit der sich nur die notwendigsten Bedürfnisse absichern lassen. Sie würden von dem neuen Gesetz erheblich profitieren, hob auch Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) hervor. Sönke Rix, frauenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, wies darauf hin, dass die Grundrente eine "Gerechtigkeitslücke (...) schließen" würde, "indem sie die Folgen niedriger Löhne in frauendominierten Berufen abmildert und die lebenslange Erwerbs- und Familienarbeit von Frauen angemessen würdigt." Auch für die Einwohner ostdeutscher Regionen, welche über viele Jahre nach der Wende ein geringes Einkommen erhalten haben, würde hatten, würde die Respekt-Rente eine Verbesserung mit sich bringen.

Bedürftigkeitsprüfung soll entfallen

Für die Grünen-Bundestagsfraktion ist dies jedoch fraglich. Deren rentenpolitische Sprecher Markus Kurth wies darauf hin, dass viele Frauen die "strengen Zugangsvoraussetzungen" von mindestens 35 Jahren Erwerbstätigkeit nicht erfüllen könnten und daher von Heils Respekt-Rente nicht erreicht würden. Das Grünen-Konzept einer "Garantierente" sieht lediglich 30 Versicherungsjahre vor, wobei auch Zeiten von Ausbildung, Arbeitslosigkeit und Erwerbsminderung berücksichtigt würden. Die Linken-Bundestagsfraktion sieht im Konzept des Sozialministers einen "ersten Schritt" hin zu einer wirksamen Rentenreform und der von ihr vorgeschlagenen solidarischen Mindestrente. Auch für sie sind die Voraussetzungen für den Erhalt der Grundrente überdenkenswert: "Die Bedingung der 35 Jahre an gezahlten Beiträgen ist zu hoch, auch der Freibetrag der Altersgrundsicherung bleibt weit hinter dem Freibetrag für die private Vorsorge zurück", sagte der rentenpolitische Sprecher Matthias W. Birkwald.

Ein weiterer Streitpunkt innerhalb der Großen Koalition ist die Prüfung der Bedürftigkeit. Heils Entwurf zufolge soll es eine solche ausdrücklich nicht geben. Mit dem Wegfall der Prüfung solle den Rentner*nnen „der Gang zum Amt erspart bleiben“, erklärte Kerstin Tack, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD. Das sei „Anerkennung von Lebensleistung und kein Almosen“.Unterstützung für den Gesetzentwurf kommt vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). "Es ist wichtig, dass die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung eingeführt wird.",sagte der DGB-Chef Rainer Hoffmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Rentner*innen sollten „nicht am Ende des Lebens noch zum Sozialamt geschickt werden." erklärte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak kündigte jedoch an, dass die Unionsfraktion der Grundrente als Solidarleistung ohne Einsichtnahme in die Einkommensverhältnisse nicht zustimmen werde, und Bayerns Sozialministerin Kerstin Schreyer hält eine Grundrente ohne vorherige Bedürftigkeitsprüfung für „nicht zielgerichtet". Durch die derzeitigen rückläufigen Steuereinnahmen übersteige ein solches Konzept „bei weitem die Rahmenbedingungen solider Haushaltspolitik“. Auch die Wohlfahrtsverbände signalisierten Zustimmung zum BMAS-Entwurf.

Mehr zur geplanten "Respekt-Rente" lesen Sie in der kommenden Ausgabe des zwd-POLITIKMAGAZINs (Ausgabe 370).

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