IFO-BILDUNGSBAROMETER 2019 : Mehrheit sieht Mangel an Chancengleichheit im Bildungssystem

28. August 2019 // Hannes Reinhardt

Ungleiche Bildungschancen für Kinder aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen bzw. mit und ohne Migrationshintergrund werden von den Deutschen als Problem angesehen. Das ergab das am Mittwoch vorgestellte Bildungsbarometer des Münchener ifo-Instituts.

zwd München/Berlin. Dementsprechend gab die Mehrheit der Befragten an, Maßnahmen zur Verringerung von Ungleichheit im Bildungssystem zu unterstützen. So wünschen sich 78 Prozent, dass der Staat die Kindergartengebühren übernehmen soll. Die Einführung einer Kindergartenpflicht befürworten 67 Prozent, eine spätere Aufteilung auf weiterführende Schulen nach der 6. Klasse 61 Prozent. Zudem sollten staatliche Ausgaben erhöht werden, um Schulen mit Schüler*innen aus benachteiligten Verhältnissen zu unterstützen. Dies sagen 81 Prozent. Auch sollten nach Ansicht von 64 Prozent der Befragten Lehrer*innen höhere Gehälter bekommen, die viele Kinder aus benachteiligten Verhältnissen unterrichten.

Trotz der hohen Zustimmung für Maßnahmen gegen Ungleichheit spricht sich die Mehrheit der Befragten dafür aus, zusätzliche Mittel nach dem „Gießkannenprinzip“, also gleichmäßig zu verteilen, statt sie gezielt für benachteiligte Gruppen zu verwenden. Dieses Vorgehen bevorzugen 66 bis 76 Prozent der Deutschen, je nach abgefragtem Bildungsbereich, von den Kitas bis zur Hochschule. Zudem denken 85 Prozent der Befragten, dass ein hoher Bildungsabschluss eher von eigener Anstrengung als von äußeren Umständen abhängt.

Opposition kritisiert „engstirniges Verwalten“ des deutschen Bildungssystems

Als Maßnahmen für die Verringerung der Chancenungleichheit plädieren 56 Prozent für die Einführung eines Ganztagsschulsystems. Einen Ausbau von Stipendienprogrammen für einkommensschwache Studierende befürworten 83 Prozent. Nur bei der Frage nach einem gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Lernschwächen fällt die Zustimmung geringer aus: 44 Prozent sind dafür, 41 Prozent dagegen. Während sich ebenfalls keine klaren Mehrheiten für oder gegen reguläre Studiengebühren ergeben (45 Prozent dafür, 43 Prozent dagegen), befürworten 66 Prozent der Deutschen Studiengebühren nach dem Studium in Abhängigkeit vom dann erzielten Einkommen.

„Die Bildungsforschung konnte längst nachweisen, dass gute Ganztagsangebote einen positiven Einfluss auf die psychosoziale Entwicklung haben, im Übrigen unabhängig von Herkunft und Elternhaus. Sie fördern die Motivation und stärken das Selbstvertrauen“, erklärte die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion Margit Stumpp. Daher sollte jedem Kind das Recht auf eine Ganztagsbetreuung im Grundschul- und Kitaalltag ermöglicht werden. „Ein Rechtsanspruch sollte bedarfsunabhängig formuliert sein und sichern, dass er unabhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Familien wahrgenommen werden kann“, forderte sie. Der bildungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Thomas Sattelberger warf den Kultusminister*innen der Länder sowie Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) angesichts der Ergebnisse ein „engstirniges Verwalten“ des deutschen Bildungssystems vor. Schon seit 40 Jahren werde die mangelnde Durchlässigkeit dort beklagt. „Verbesserungen kommen höchstens im Schneckentempo. Großer Nachholbedarf besteht etwa bei Stipendien für einkommensschwache junge Menschen“, betonte Sattelberger. Zudem müsse eine hohe Betreuungsqualität für alle Kinder in Kitas unabhängig von der sozialen Herkunft sichergestellt werden. „Dafür müssen vorrangig Eltern mit niedrigem Einkommen entlastet werden.“

Auch die Juso-Hochschulgruppen sehen die Politik durch die Ergebnisse des Bildungsbarometers in der Pflicht. „Es zeigt klar, dass das Thema Bildungsgerechtigkeit von der Kita, bis zum Studium eine wichtige Rolle spielt“, sagte Bundesvorstandsmitglied Tabea Häberle. Um Menschen die gleichen Zugangschancen zu ermöglichen, müsse beispielsweise das BAföG regelmäßig an die Lebensrealität der Empfänger*innen angepasst und elternunabhängig vergeben werden.

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