DEMOSKOPIE-KRITIK : Meinungsmache: Der "Absturz" der SPD in den Meinungsumfragen

5. Februar 2018 // Holger H. Lührig

Die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD gehen in die letzte Runde. Fast scheint es: Je erfolgreicher sich die Parteispitzen zusammenraufen, desto mehr geht es mit der SPD in den veröffentlichten Meinungsumfragen abwärts. Doch Vorsicht, mahnt zwd-Herausgeber Holger H. Lührig in einem Kommentar: Umfragen manipulieren auch "Volkes Stimme".

Bild: zwd
Bild: zwd

zwd Berlin. Nach den jüngsten Meinungsumfragen des ARD-Deutschlandtrends und des ZDF-Politbarometers verlieren die Parteien, die gegenwärtig über eine neue Bundesregierung verhandeln, bei der Sonntagsumfrage weitere Prozentanteile. Während CDU und CSU sich noch stabil über 30 Prozent halten können, notieren die Forschungsinstitute, die im Auftrage der öffentlich-rechtlichen Sender tätig sind, die SPD unter 20 Prozent. Besonders schlecht kommt der SPD-Vorsitzende Martin Schulz weg. Nur noch ein Viertel der Befragten geben ihm für seine Arbeit noch gute Noten. Schulz-Bashing gehört inzwischen zur gängigen Tonlage vieler TV-Talkshows, jeweils gestützt auf eben diese Meinungsumfragen. Auch die gedruckten und die Online-Medien stimmen in den Chor der Demoskopen ein, indem sie in Anspielung auf das von dem FDP-Politiker Jürgen Möllemann einstmals erfundene "Projekt 18" (so viele Wählerstimmen wollten die Freien Demokraten seinerzeit erreichen) der SPD spöttisch bescheinigen, sie habe nun wohl ihr eigenes "Projekt 18".

Der Absturz der Volkspartei SPD in den Meinungsumfragen hat Methode. Mit den demoskopischen Blitzlichtern soll der Eindruck erweckt werden, die SPD solle sich mit ihren immer weiter heruntergehenden Umfragewerten in den Koalitionsverhandlungen nicht so aufspielen ("bis es quietscht"), denn schließlich habe sie nichts mehr zu fürchten als Neuwahlen. Dazu passt, dass aus der CSU sogleich suggeriert wird, die Verhandlungsführung der SPD sei von "Kopflosigkeit" bestimmt. Dahinter steckt der Frust nicht weniger Unionspolitiker, letztlich von der Zustimmung von 440.000 SPD-Mitgliedern abhängig zu sein, ob es zur Neuauflage der Groko kommt oder nicht. Auch TV-Moderatorin Anne Will verstieg sich am Sonntag (5.2.) zu der Frage, ob das den verfassungsrechtlich in Ordnung sei - als ob es nichts Wichtigeres zu diskutieren gelte.

Natürlich ist der von den Demoskopen publizistisch prognostizierte Absturz der SPD auch Ausdruck hausgemachter Probleme, die die Partei selbstkritisch nicht mehr zu verheimlichen mag. Dass der SPD-Vorsitzende Schulz nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche verkündet hatte, die SPD bleibe bei ihrer Linie, in die Opposition zu gehen und nicht für eine Regierung mit der Union zur Verfügung zu stehen, wird in den Führungskreisen der Partei inzwischen unverhohlen als Fehler gesehen. Vornehmer ausgedrückt, räumen die Genoss*innen ein, in den letzten Wochen kein gutes Bild abgegeben zu haben, SPD-Vize Ralf Stegner sprach sogar von einem "blauen Montag". Die SPD, so scheint es, spielt den Umfrageinstituten mit schlechter Kommunikationsstrategie sogar noch die Bälle zu. Offenbar haben die Verantwortlichen im Willy-Brandt-Haus immer noch nicht aus den Erfahrungen der letzten Großen Koalition gelernt, wo die SPD es zuließ, dass die von den sozialdemokratischen Bundesminister*innen mühsam erstrittenen Erfolge (Mindestlohn, Quote etc.) von der Union als eigene Erfolge der Kanzlerschaft Angela Merkels verkauft wurden. Und die Meinungsforschungsinstitute echoten dazu.

Fragwürdige Umfragen und Umfrageinstrumente

Dabei wissen wir seit geraumer Zeit, wie fraglich die Umfragewerte geworden sind. Zwar wird von den Instituten stärker als bisher eine Fehlermarge bei Umfragen (bis zu fünf Prozent) eingeräumt, aber die (bezahlten) Spiele gehen weiter. Zu hinterfragen ist nämlich, in wessen Diensten die Institute stehen und agieren, aber auch, ob die Befragungsinstrumente noch funktionieren. Im Sinne der alten sozialwissenschaftlichen Erkenntnis gilt: Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es auch heraus. Exemplarisch deutlich wurde dies beispielsweise bei der unterschiedlichen Bewertung des sogenannten Kanzler-Duells vor der letzten Bundestagswahl durch ARD und ZDF einerseits sowie im Vergleich mit anderen Befragungen andererseits. Solche telefonischen Befragungen erweisen sich immer seltener als verlässlich, nicht zuletzt auch, weil die Befragungsinstrumente weniger als früher der Tatsache Rechnung zu tragen vermögen, dass sich nicht wenige Bürger*innen erst in der Wahlkabine entscheiden, wo sie ihr Kreuzchen machen - Stimmungsschwankungen und Tagesform eingeschlossen.

Als besonders problematisches Beispiel für manipulativ inszenierte Meinungsumfragen darf das vom ARD-Deutschlandtrend verbreitete Umfrageergebnis angesehen werden, die Bundesbürger seien in ihrer großen Mehrheit unzufrieden mit der langen Dauer der Neubildung der Bundesregierung. Nicht dass es diese Unzufriedenheit nicht gäbe. Doch aus welchen Haltungen bzw. Einstellungen heraus wird diese Unzufriedenheit gespeist? Wesentlicher wäre wohl doch, nach den Gründen für die schlechte Stimmung und Auswegen aus die Situation zu fragen und dabei zu differenzieren. Wer ist denn dafür verantwortlich, dass es die Bundeskanzlerin und die von ihr so ersehnte Jamaika-Bündnis nicht hinbekommen haben, eine Regierung zu bilden? Da gibt es doch einen alten Song: „… und Schuld ist immer die SPD“. So wird es dann nicht verwundern, wenn am Ende die lange Zeitdauer der Regierungsbildung wiederum der SPD angelastet würde, etwa mit dem Argument, schließlich habe sie es doch mit ihrer Ankündigung am Wahlabend des 18. September „verbockt“, dass es damals nicht schon zu Verhandlungen über eine Fortsetzung der Groko gekommen sei.

Kampagnenfähigkeit nur digital?

Wieweit es der SPD gelingt, die demoskopisch gestützte Negativdarstellung in den Medien umzudrehen, mag dahin gestellt bleiben. Was ihr Mut machen kann, ist die Tatsache, dass die Partei tausende Neueintritte verbuchen kann - beileibe nicht alle Groko-Gegner, die im Sinne der Juso-Strategie ihr Kreuzchen bei Ablehnung machen wollen. Neben einem achtbaren Verhandlungsergebnis wird der Wiederaufstieg der SPD auch in den Umfrage von der Einlösung des Anspruchs von Parteitag und Parteispitze abhängen, den Erneuerungsprozess wirksam zu vollziehen. So viel steht fest: Ohne eine offensive Außendarstellung und Abgrenzung gegenüber den anderen Parteien, ohne klare Kante zu zeigen, muss die Partei befürchten, bei Wahlen weiter zu verlieren, allen Erfolgen, die mit einer neuen Regierung möglich scheinen, zum Trotz. Dieser Neuanfang kann nur gelingen, wenn sich die Partei insgesamt erneuert, bis in ihre Spitze hinein. "Jünger", "weiblicher", "digital" sind zwar wichtige Stichworte, machen allein aber noch keine neue SPD. Zudem dürfen die Digitalisierungsfans in der SPD nicht übersehen, dass selbst viele ihrer Genoss*innen noch nicht so weit sind, alles online zu verstehen und zu verarbeiten. Online-Medien können zwar die Kampagnenfähigkeit erleichtern, taugen aber für eine gediegene und nachhaltige Präsentation von Inhalten wenig. Da behalten auch traditionelle (gedruckte) publizistische Formen ihren Stellenwert.

Die SPD muss sich auf dem versprochenen Erneuerungsweg sputen. Denn selbst wenn die Regierungskoalition jetzt zustande kommt, ist nicht ausgemacht, dass diese bis zum Ende der Legislaturperiode hält. Wenn die CSU ihre Bayern-Wahl hinter sich gebracht hat, könnte die Karten nochmals neu gemischt werden. In zwei Jahren soll ohnehin alles, was vereinbart wurde, auf den Prüfstand. So klug der Gedanke ist, sich das bis dahin Erreichte zu vergegenwärtigen. Damit sind nicht nur Inhalte gemeint. Denn in zwei Jahren müssen die Parteien gewappnet sein, dass es zu vorzeitigen Neuwahlen ohne Merkel und Seehofer (und wohl auch Schulz) kommt oder aber zu einer neuen Kanzler*in-Figur aus dem Unionslager, die zur Abwechslung für zwei Jahre noch einmal das Jamaika-Spiel wagen könnte mit dem Ziel, die ungeliebte Groko vorzeitig zu beenden. Es ist also noch nichts auszudenken, welche Szenarien uns noch erwarten.

Artikel als E-Mail versenden