NATIONALER RAT GEGEN SEXUELLE GEWALT AN KINDERN : Schnelle Konzepte für Vorsorge, Schutz und Hilfe

2. Dezember 2019 // Ulrike Günther

Kinder brauchen einen wirksamen Schutz gegen Missbrauch und sexuelle Übergriffe. In Berlin ist am Montag im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) der „Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengetreten.

Bild: pixabay / Ulrike Mai
Bild: pixabay / Ulrike Mai

zwd Berlin. Anlässlich des 5. "Europäischen Tages gegen sexuelle Gewalt und Ausbeutung von Kindern" und knapp zehn Jahre nach der Gründung des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch“ hatten die Bundesjugendministerin Franziska Giffey (SPD) und Johannes-Willhelm Rörig, der Unabhängige Beauftragte für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs, den neu eingerichteten „Nationalen Rat“ einberufen. Hochrangige Vertreter*innen von über 40 staatlichen und nicht-staatlichen Gremien und Verbänden nahmen an der Sitzung teil, darunter Fachleute aus Politik und Wissenschaft, dem Betroffenenrat und der „Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“.

Nach Angaben des BMFSFJ begreift sich der Rat als ein Ort, an dem ein interdisziplinärer, die Ebenen des Bundes, der Länder und Gemeinden einbeziehender Dialog stattfinden soll, um an Kindern und Jugendlichen verübte Gewalt und ihre Folgen dauerhaft zu bekämpfen. Geplant ist, dass das Gremium bis zum Sommer 2021 ein die Ressorts der Teilnehmer*innen übergreifendes Konzept erarbeitet, welches konkrete Schritte zur besseren Vorsorge, Intervention und Hilfe für durch sexuelle Gewalt betroffene oder gefährdete Kinder und Jugendliche sowie Maßnahmen zu deren Umsetzung beschreibt. Wie das BMFSFJ im Vorfeld der Sitzung bekanntgab, wird der Rat als Gemeinschaft von Expert*innen Verantwortung für sexuelle Gewalt an Kindern in der Gesellschaft übernehmen und sich über ein geeignetes Vorgehen beim Bekämpfen des sexuellen Missbrauchs verständigen. Dabei sollen alle Beteiligten konstruktive Beiträge in den Arbeitsprozess einfließen lassen.

Wirksame Maßnahmen zum Schutz von Kindern dringend erforderlich

Giffey betrachtet es als „unsere gemeinsame Pflicht, Kinder und Jugendliche zu schützen“, sagte sie zum Auftakt der Veranstaltung. Daher müsse die Gesellschaft „für wirksame Schutzkonzepte und Hilfen sorgen.“ Den Rat wertet die Familienministerin als „Bekenntnis zur Zusammenarbeit“ und als einen „Startschuss für einen Schulterschluss auf höchster Ebene zwischen Staat, Zivilgesellschaft, Verantwortungsträgern, Wissenschaft und Betroffenen“, betonte sie. Der Unabhängige Beauftragte Rörig wies in seiner Stellungnahme auf die erschreckend hohen Zahlen von Fällen von Kindesmissbrauch hin, aus denen er einen eindeutigen Handlungsbedarf ableitet: „Wir müssen von 1 bis 2 betroffenen Kindern in jeder Schulklasse ausgehen – dieses Ausmaß darf nicht länger hingenommen werden“, hob er anlässlich der ersten Sitzung des Ausschusses hervor. Seiner Ansicht nach sei es ein dringliches Ziel für den Nationalen Rat, in der Bundesrepublik „einen spürbaren Rückgang der Missbrauchsfälle“ zu erreichen.

Komitee bezieht Sichtweisen von Betroffenen in seine Arbeit ein

Von sexueller Gewalt betroffene Kinder müssten rechtzeitig wahrgenommen und der Missbrauch so früh wie möglich gestoppt werden, erklärte Rörig. Dazu hält er eine umfassende Forschung zu den vorhandenen Fällen von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und ihren Wirkungen für entscheidend. Darüber hinaus schlägt er eine bundesweite Initiative vor, welche die Bevölkerung über sexuellen Kindesmissbrauch aufklären und sensibilisieren soll. Der Betroffenenrat sieht es als wesentlichen Fortschritt an, dass das Komitee von Anfang an Opfer sexueller Gewalttaten mit ihren Sichtweisen und Erfahrungen in ein gesamtgesellschaftlich angelegtes Vorhaben miteinbezieht. „Wir setzen (…) auf ein gestärktes konsequentes Handeln mit dem Ziel, am Bedarf Betroffener orientiert in flächendeckende Unterstützung und Hilfe, (…) in Aufarbeitung und Prävention zu investieren“, unterstrichen Mitglieder der Betroffenengruppe. Als Nächstes werden laut BMFSFJ auf spezielle Themen ausgerichtete Facharbeitsgruppen sich mit den Fragen von Schutz und Hilfe, kindgerechter Justiz, Ausbeutung von Kindern und internationale Kooperation sowie Forschung und Wissenschaft beschäftigen. Dafür werden die Arbeitsgruppen im Jahr 2020 zweimal und 2021 einmal tagen, um danach ein gemeinsames Gesamtkonzept zu vereinbaren.

Auch Grüne und CDU/ CSU unterstützen Vorschlag einer bundesweiten Kampagne

Die familienpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Katja Dörner befürwortet die Einrichtung des neuen, verschiedene Bereiche umspannenden Komitees. In einem Statement zur Gründungssitzung forderte sie von dem Ausschuss, konkrete Vorschläge zur wirksamen Verbesserung von Schutz und Vorsorge vor sexuellen Übergriffen auf Minderjährige zu unterbreiten. Ihre Grünen-Fraktion unterstütze ausdrücklich Rörigs Forderung nach einer bundesweiten Kampagne, welche die Aufmerksamkeit der Bürger*innen für in der Gesellschaft auftretende Fälle von Kindesmissbrauch schulen soll, erklärte die Vize-Fraktionschefin von Bündnis 90/ Die Grünen. „Wir dürfen die hohe Zahl an Missbrauchsfällen in Deutschland nicht länger akzeptieren“, unterstrich sie.

Auch die Bundestagsfraktion von CDU/ CSU begrüßte, dass sich das neue Gremium zum Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen formiert hat. Die stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Nadine Schön rief den Rat dazu auf, schnell Ergebnisse vorzulegen, da schon zahlreiche Ideen dazu bereitlägen. U.a. verwies sie auf ein von der CDU/ CSU schon im Februar 2019 entwickeltes Konzept, das sich mit darin vorgeschlagenen Maßnahmen gegen den Missbrauch an Kindern wendet. Schön kritisierte, dass sich der neu gegründete Ausschuss mit dem Vorhaben, handlungsleitende Richtlinien bis Mitte 2021 zu entwerfen, ein zu wenig ehrgeiziges Ziel gesetzt habe. Sie erachtet es für wichtig, die bundesdeutsche Öffentlichkeit über eine möglichst rasch durchgeführte Kampagne über das Problem sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen zu informieren.

Erschreckende Menge von Fällen von Kindesmissbrauch

Außerdem verlangte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Bund und Länder sollten verstärkt kooperieren und überhaupt mehr Geld für Vorsorge und Hilfe für betroffene Kinder und Jugendliche zur Verfügung stellen. Der Statistik des Bundeskriminalamtes zufolge wurden im Jahr 2018 bundesweit 14.410 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellem Missbrauch. Das sind aber lediglich die polizeilich erfassten Gewalttaten, die Forschung geht von einer erheblich höheren Dunkelziffer aus. Demzufolge haben rund 13 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen als Kinder oder Jugendliche sexuelle Gewalt erlebt. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass im gesamten Bundesgebiet ungefähr eine Millionen Mädchen und Jungen schon sexualisierte Gewalt erfahren haben.

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