NEUES REGIERUNGSPROGRAMM FÜR HESSEN : Gleichstellungspolitische Pläne von Schwarz-Grün bleiben dürftig

8. Februar 2019 // Julia Trippo und Holger H. Lührig

Die Resonanz auf das frauenpolitische Kapitel in der Koalitionsvereinbarung zur Neuauflage der Landesregierung von CDU und Grünen in Hessen fällt überwiegend negativ aus. Das zwd-POLITIKMAGAZIN hatte dazu die frauenpolitischen Sprecherinnen der Oppositionsfraktionen von SPD, FDP und Linken sowie den LandesFrauenRat Hessen um ihre Einschätzung gebeten.

Plenarsaal des Hessischen Landtages. - Bild: wikimedia.org
Plenarsaal des Hessischen Landtages. - Bild: wikimedia.org

zwd Wiesbaden. Schwarz-Grün hat angekündigt, gemäß der Istanbul-Konvention Frauenhäuser sowie Interventions- und Beratungsstellen weiter zu fördern und deren Ausbau zu ermöglichen. Die Pläne bleiben vage und unkonkret, kritisierte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen des SPD-Bezirks Hessen-Süd (ASF), die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulli Nissen. Die frauenpolitische Sprecherin der Linken-Landtagsfraktion, Christiane Böhm, mahnte eine Verdoppelung des bisherigen Angebots an, um Frauen nach Gewalterfahrung einen Platz im Frauenhaus zu garantieren. Die Vorsitzende des LandesFrauenRates (LFR) Hessen, Sigrid Isser, begrüßte wiederum das durch den schwarz-grünen Koalitionsvertrag beschriebene Vorhaben ebenso wie die Ausweitung des Modells der Schutzambulanz Fulda. Demnach sollen künftig hessenweit Frauen nach einer Vergewaltigung ohne eine Anzeige eine Beweissicherung vornehmen lassen können.

Außerdem wollen die Koalitionäre die rechtlichen Möglichkeiten prüfen, um den Schutz vor Demonstrationen von Abtreibungsgegnern im Umkreis von 150 Metern um Beratungsstellen zu gewährleisten. Brigitte Ott, stellvertretende Vorsitzende des LFR Hessen, begrüßte dieses Vorhaben: „Es ist notwendig, eine Schutzzone um Beratungsstellen rechtssicher zu regeln, so dass der unbehelligte und anonyme Zugang zu Beratung nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz für Frauen in Hessen verlässlich sichergestellt wird.“

Nissen (MdB/SPD): Von den Grünen hätte man mehr erwarten dürfen

Die ASF-Politikerin Nissen hält das schwarz-grüne Regierungsprogramm im Bereich der Frauen- und Gleichstellungspolitik insgesamt für dürftig. Sie zeigte sich insbesondere von der Grünen enttäuscht, dass diese trotz ihres gewachsenen Gewichts zugelassen hätten, dass das Koalitionsprogramm hier unpräzise und unkonkret geblieben sei. Von den Grünen hätte man mehr erwarten müssen, fügte die Politikerin hinzu. Nach ihrer Auffassung hätte die Koalition nicht nur ein konkretes Programm zu Behebung des Mangels an Frauenhausplätzen und Beratungsstellen vorlegen müssen, sondern sich auch klar beim Thema der Reform des Strafrechtsparagrafen 219a positionieren müssen. Es könne nicht angehen, dass die Grünen auf Bundesebene die Abschaffung der Strafrechtsnorm forderten, sich aber auf Landesebene vornehm zurückhielten.

SPD bezweifelt Koalitionsversprechen, der Öffentlichen Dienstes solle bei der Gleichstellung von Frauen eine Vorreiterrolle erhalten

Kritisch reagierten die vom zwd-POLITIKMAGAZIN befragten Gleichstellungsexpertinnen auf die von CDU und Grünen im Regierungsprogramm verankerte Absichtserklärung, die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen abzubauen. Es seien keine Strategien der Umsetzung erkennbar. Der LFR Hessen nannte als Beispiel das Fehlen konkreter Aussagen, wie mit den Ergebnissen des hessischen Lohnatlas' 2017 umgegangen werden soll. Lisa Gnadl, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, präzisierte die Kritik mit dem Hinweis, dass der Lohnatlas nur die Vollzeit-Brutto-Monatsentgelte vergleiche, Frauen in Teilzeitbeschäftigung aber nicht berücksichtigt würden. Auch vor dem Hintergrund, dass vor allem Frauen in Teilzeit arbeiteten, zeige die vom Lohnatlas ermittelte Lohnlücke von 14 Prozent zwischen den Geschlechtern nicht das ganze Bild auf. Aus Sicht der SPD-Politikerin ist eine umfassendere Erhebung notwendig, um die tatsächliche Lohnungleichheit zwischen arbeitenden Frauen und Männern abbilden zu können. Für die Linken-Politikerin Böhm ist es, um die gleiche Bezahlung der Geschlechter zu ermöglichen, besonders wichtig, Berufe in den Fokus zu nehmen, in denen vorwiegend Frauen tätig seien.

Scharfe Kritik übte die SPD-Opposition auch an dem Versprechen der Koalition, dem öffentlichen Dienst im Hinblick auf Frauen in Führungspositionen eine "Vorreiterrolle" zuzuweisen. Die frauenpolitische Sprecherin Gnadl verwies darauf, dass unter Union und Grünen, die bereits in der vergangenen Legislaturperiode die Regierung stellten, immer noch „frauenfreie Zonen“ auf Ebene der Abteilungsleitungen im hessischen Finanz-, Wirtschafts- und Innenministerium bestünden. Ein ähnlich unglückliches Bild gebe die Koalition bei der Frage der paritätischen Besetzung von Gremien ab. „Hier ist in den letzten 5 Jahren wenig passiert“, bemängelte Gnadl. In die gleiche Kerbe schlug auch der LFR, für den "unklar" geblieben ist, wie genau die im Koalitionsvertrag genannten paritätischen Gremien etabliert werden könnten.

Wiebke Knell, frauenpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, legte in ihrer Antwort auf die Anfrage des zwd den Fokus auf die schwierigen Rahmenbedingungen, die Frauen daran hinderten, Karrierechancen zu ergreifen und einem Beruf in Vollzeit nachzugehen. Um die Gleichstellung von Frauen voranzubringen, sind ihrer Meinung nach sowohl flexible Arbeitszeitmodelle als auch eine verlässliche und bedarfsgerechte Kinderbetreuung eine wesentliche Voraussetzung. Die Koalition habe mit der Durchsetzung der Beitragsfreiheit das falsche Signal gesetzt, meinte Knell. Zuerst müssten ihrer Auffassung nach die Finanzmittel in den Ausbau der Plätze gesteckt werden. Auch in die Qualität müsse deutlich mehr investiert werden, bevor an Beitragsfreiheit zu denken sei. Die Öffnungszeiten von Kinderbetreuungsstätten seien darüber hinaus noch nicht an die Arbeitszeiten der Eltern angepasst.

Mehr zum Thema lesen Sie in der aktuellen Ausgabe 366 des zwd-POLITIKMAGAZINs: "Neues Kabinett in Wiesbaden: In Hessen nichts Neues für Frauen"

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