NS-RAUBGUT : Neue Geschäftsstelle in Berlin soll Restitution vereinfachen

25. November 2019 // Ulrike Günther

Die „Beratende Kommission“ (BK) zur Rückgabe von NS-Kulturgütern wird reformiert und erhält eine eigene Geschäftsstelle in Berlin. Einen entsprechenden Antrag der Koalitionsfraktionen CDU/ CSU und SPD hat der Bundestag am 15. November angenommen.

Max Liebermann:
Max Liebermann: "Zwei Reiter am Strand", aus dem Schwabinger Kunstfund. - Bild: wikimedia.org

zwd Berlin. Für den Antrag (Drs. 19/13511) stimmten auch die Abgeordneten der FDP-Fraktion, hingegen stimmten die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und AfD gegen die Koalitionsvorlage. Anträge von FDP und Linken sowie Grünen wurden abgelehnt. Mit dem Bundestagsbeschluss haben die Koalitionsparteien die Bundesregierung aufgefordert, mehr Mittel aufzuwenden, um die Provenienz von durch das NS-Regime geraubten oder anderweitig entzogenen Kulturobjekten intensiver zu erforschen. Die nun geplante Geschäftsstelle der BK wird dem bewilligten Antrag zufolge in die Lage versetzt, ihre verwaltenden Aufgaben selbständig auszuführen, die Kommission wissenschaftlich zu beraten und sie dabei zu unterstützen, spezifische Fälle sachgemäß zu bewerten. Nach dem Willen der Koalitionsfraktionen soll das neue Berliner Büro der BK hinlänglich mit Personal und einer eigenen Internet-Präsenz auszustatten ist. Darüber hinaus soll die Bundesregierung der Kommission wie der Zweigstelle für ihre Arbeit ein ausreichendes Budget beimessen, das aus Mitteln des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste (DZK) zu finanzieren sei.

Individuelle Hilfsangebote für Antragsteller*innen

Hinter jedem der geraubten Kunstwerke stehe „das individuelle Schicksal eines Menschen“, sagte Kulturstaatsministerin Prof.´ in Monika Grütters (CDU) in der Sitzung des Bundestages am 15. November. „Das anzuerkennen und darüber aufzuklären“ sei die Bundesrepublik den Opfern der NS-Terrorherrschaft und ihren Nachfahren schuldig, betonte sie. Sie halte es für selbstverständlich, dass vom Bund geförderte Kultureinrichtungen auf das Ersuchen von Anspruchsberechtigten hin die BK mit der Erforschung von speziellen Rückgabe-Fällen beauftragen. Ihrer Ansicht zufolge sollten auch Länder und Kommunen von ihnen subventionierte Museen dazu bewegen, sich der Anliegen von Anspruchsteller*innen in ähnlicher Weise anzunehmen.

Die Frage, ob man Personen, die auf vom NS-Staat entzogene Kulturgüter Anspruch erheben, die Möglichkeit gewähren sollte, die BK einseitig anzurufen, werden laut Koalitionsantrag Bund, Länder und Kommunen im Rahmen der zweimal pro Jahr stattfindenden Kulturpolitischen Spitzengespräche diskutieren. Die Bundesregierung wird der Vorlage gemäß auch zu prüfen haben, ob das sog Help-Desk NS-Raubgut ebenfalls seinen Platz in der Geschäftsstelle finden wird. Derzeit ist das DZK noch mit dem Aufbau einer solchen Kontakt- und Informationsstelle für Personen oder deren Nachkommen beschäftigt, die dem Raub von Kulturobjekten durch die NS-Herrschaft zum Opfer gefallen sind. Dort soll ein/e zentrale/r Ansprechpartner*in ihnen dabei helfen, gestohlene Kulturgüter ausfindig zu machen, zu identifizieren und gegebenenfalls wieder zurückzubekommen.

SPD: Perspektive von NS-Opfern als „Maßstab allen Handelns“

Vor der Abstimmung im Parlament erklärte Helge Lindh, zuständiger Berichterstatter der SPD und Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien, seine Bundestagsfraktion habe sich dafür eingesetzt, die Sichtweise der NS-Opfer und ihrer Nachkommen in das Zentrum des Koalitionsantrages zu rücken. Beim Umgang mit den durch das NS-Regime geraubten Kulturgütern gehe es „um mehr als nur um die Klärung von Eigentumsverhältnissen“, sagte er. Es gehe um „historische Verantwortung und moralische Verpflichtung gegenüber den Opfern des Holocausts und ihrer Erben“. Den Antrag der Koalitionsfraktionen nannte Lindh ein „Signal an die Opferverbände“.

Der SPD-Abgeordnete hält es für unerlässlich, Opfer und ihre Nachkommen in dem Prozess um die Erforschung der gestohlenen Kunst- und Kulturgüter würdevoll zu begleiten. „Wir müssen begreifen, dass die Perspektive der Opfer und ihrer Nachfahren der Maßstab allen Handelns ist“, sagte er in der Sitzung des Bundestages. Aufgabe der Regierung sei es, die rechtmäßigen Eigentümer*innen der gestohlenen Kunst- und Kulturobjekte zu ermitteln und „faire und gerechte Lösungen“ zu erarbeiten. Vor dem Bundestag hob Lindh hervor, es sei „eine bittere Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus und des systematischen Kunstraubs und des Entzugs von Kunst“, dass man „vermeintliches Recht eben nicht blind gegenüber Moral gestalten“ könne. Daher sei es gerade in diesem Zusammenhang wichtig, sowohl rechtlich als auch moralisch zu argumentieren. Laut Antrag der Koalitionsfraktionen ist die Bundesregierung insbesondere dazu aufgefordert, die BK dahingehend zu beeinflussen, ihren Umgang mit den Anliegen von Betroffenen weiterzuentwickeln, indem sie verstärkt juristische und mit Fragen der Restitution vertraute Fachleute sowie Vertreter*innen von Opferverbänden in ihre Arbeit mit einbezieht.

Regierung soll Gesetzeslage zugunsten Anspruchsberechtigter überprüfen

Dem Beschluss des Bundestages zufolge wird es darüber hinaus künftig auch außerhalb der Bundesrepublik lebenden Opfern des NS-Regimes möglich sein, beim DZK einen Antrag auf Förderung zu stellen, um den gegenwärtigen Standort der entwendeten und innerhalb von Deutschland vermuteten Kulturobjekte zu ermitteln. Umgekehrt soll die Regierung darauf hinwirken, dass auch private Personen, Archive, Bibliotheken o.ä. Einrichtungen, in deren Besitz sich in der NS-Zeit geraubte Kunst- und Kulturgüter befinden, gemäß den Washingtoner Prinzipien von 1998 bzw. der „Gemeinsamen Erklärung“ von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden handeln und zum Auffinden der gesuchten Wertobjekte beitragen.

Im Folgenden wird die Regierung gemäß der Vorlage außerdem Gesetzesvorschläge überprüfen, durch welche sich die Rechtslage für frühere Eigentümer*innen von durch das NS-Regime geraubtem Kulturgut verbessern ließe. Brigitte Freihold, die als Abgeordnete der Linken-Bundestagsfraktion auch im Kultur- und Medienausschuss vertreten ist, monierte die Schwächen in der Arbeitsweise der BK. In ihrer Stellungnahme vor dem Bundestag wies sie darauf hin, dass die beratende Expertengruppe auf internationaler Ebene viel Kritik erfahre. Freihold warf den Koalitionsparteien vor, dass Grundsätze für die von der Commission for Art Recovery (Kommission zur Rückgabe von Kunstwerken) angemahnte, für alle Beteiligten durchsichtige, effektive Tätigkeit der BK sich in dem Antrag der Koalitionsparteien nicht in ausreichendem Maße wiederfänden.

Bündnis 90/ Die Grünen: Fakten zur bisherigen Rückgabe sind skandalös

In ihrer Rede vor dem Bundestag referierte die Linken-Abgeordnete Fakten zu unter der NS-Herrschaft entzogenen Kulturgütern: Rund 2.800 in bundeseigenen Kunstsammlungen befindliche Werke aus dem sog. Reichsbesitz seien vermutlich ihren früheren Eigentümer*innen durch das Nazi-Regime geraubt worden. Dennoch hätten Anspruchsberechtigte im Verlaufe von 15 Jahren in nur 15 Fällen die Kommission angerufen. Um die Herkunft der gestohlenen Objekte aufzuklären, stünden bundesweit lediglich 2,8 Stellen für Personal zur Verfügung. Der Obmann im Ausschuss für Kultur und Medien Erhard Grundl (Bündnis 90/ Die Grünen) bezeichnete die genannte Zahl der 15 Anrufungen einen „Skandal“, der die gesamte Herangehensweise der Politiker*innen an die BK betreffe.

Der beachtlichen Menge von laut Grundl allein in nordrhein-westfälischen Museen lagernden rund 770.000 Kunstwerken aus der NS-Zeit mit ungeklärter Herkunft stünde die verschwindend geringe Anzahl von tatsächlich erfolgten Restitutionen gegenüber. Der nordrhein-westfälische CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling, stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien, hielt dagegen, dass die geringe Anzahl der von der Kommission bearbeiteten Fälle sich durch die Probleme erkläre, die sie den Bearbeiter*innen hinsichtlich einer in Aussicht genommenen Restitution geboten hätten.

FDP: Finanzmittel für Digitalisierung von Sammlungen bereitstellen

Der Obmann des Kulturausschusses Grundl nannte den Antrag der Koalition zwar einen „Schritt in die richtige Richtung“, verlangte aber, die Kommission müsse als „Ansprechpartnerin“ für Opfer und Angehörige fungieren. Dazu bräuchte sie ein klareres Profil, also eine vom DZK unabhängige Geschäftsstelle, mehr und international erfahrenes Personal sowie Stellen zur Erforschung der Provenienz von NS-Raubgütern. Überdies sollten Betroffene die Möglichkeit erhalten, selbst Gutachten von außenstehenden Fachleuten einzuholen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Hartmut Ebbing, ebenfalls Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien, kritisierte, dass in dem Antrag der Koalitionsparteien zu viele Fragen offen geblieben seien. Vor allem sei dort nicht aufgeführt, wie viele Gelder und Personal für die BK und die neue Geschäftsstelle verfügbar zu machen seien.

Gleichermaßen seien die institutionelle Anbindung des einzurichtenden Help-Desk sowie ein Voranschlag der für die Digitalisierung der Sammlungen erforderlichen Finanzmittel bisher nicht hinreichend geklärt. Auch Ebbing unterstrich, dass statt der Interessen der deutschen Museen die Bedürfnisse der Antragsteller*innen in den Mittelpunkt zu stellen seien. In einem eigenen, vom Bundestag in derselben Sitzung abgelehnten Antrag (19/ 5423) hatte die Fraktion der FDP u.a. gefordert, eine Stiftung bürgerlichen Rechts einzusetzen, die anstelle des DZK alle möglichen Streitfälle zur NS-Raubkunst für die BK untersuchen solle. Deren Arbeit sei einerseits transparenter zu gestalten und allen an dem Prozess Beteiligten Einsicht in die Akten zu gewähren, andererseits der Anteil von Fachleuten und Vertreter*innen der jüdischen Gemeinden in dem Gremium deutlich zu erhöhen. Zudem setzte sich die FDP in ihrem Antrag dafür ein, die bundeseigenen Bestände mit Hilfe eines zu entwickelnden Finanzkonzeptes zu digitalisieren sowie Länder und Kommunen in dem Vorhaben zu unterstützen, ihre Sammlungen in digitaler Form zugänglich zu machen.

Die Linken: Restitution von NS-Raubgut gesetzlich verankern

Die Linken-Abgeordnete Freihold beanstandete darüber hinaus, dass die Entscheidungen der BK auch mit dem Koalitionsantrag unverbindlich und nicht für Betroffene anfechtbar blieben. Den Fraktionen von CDU/ CSU und SPD warf Freihold vor, sie lebten in einer von den realen Erfordernissen losgelösten Welt, „in der die rechtliche Verantwortung der Bundesrepublik für den im NS staatlich organisierten Kunst- und Kulturraub nicht existiert“. In ihrem in der gleichen Sitzung vom Parlament abgelehnten Antrag (19/ 8273) forderte die Linksfraktion die Bundesregierung auf, die Rückgabe von NS-Kulturgütern gesetzlich zu verankern. Sie solle einen Entwurf für ein Gesetz vorlegen, demzufolge die Leitsätze der „Gemeinsamen Erklärung“ einen rechtsverbindlichen Charakter annehmen würden, und sowohl die Tätigkeit der Beratenden Kommission als auch die Rückerstattung von Raubgut durch Privatpersonen auf eine gesetzliche Grundlage stellen. Der Unionsabgeordnete Heveling gab angesichts der der geltenden Rechtslage zu bedenken, dass die Verjährungsfrist zwar dem gesetzlichen Anspruch auf den Schutz des zivilrechtlichen Eigentums entgegenwirke. Allerdings zog er in Zweifel, ob dieser im Allgemeinen geltende Einwand einer Verjährung angesichts des einzigartigen, hinter den NS-Kunstrauben stehenden Geschehens „tatsächlich der richtige Ansatzpunkt zum rechtlichen Umgang“ mit möglichen Rückgabeersuchen sei.

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