zwd-CHEFREDAKTEURIN DR. DAGMAR SCHLAPEIT-BECK : Niedersachsen: Die alternativlose GroKo

16. November 2017 // Dr. Dagmar Schlapeit-Beck

Bei den Landtagswahlen hat die niedersächsische SPD mit 4,3 Prozent Zugewinn mit insgesamt 36,9 Prozent einen herausragenden Erfolg erzielt und ist zum ersten Mal seit 1998 wieder die stärkste Fraktion im Landtag. Dennoch verlor die bisherige rot-grüne Landesregierung aufgrund der Verluste des grünen Regierungspartners ihre Mehrheit.

Dr. Dagmar Schlapeit Beck ist beim zwd Chefredakteurin für den Bereich Frauen und Frauengesundheit.
Dr. Dagmar Schlapeit Beck ist beim zwd Chefredakteurin für den Bereich Frauen und Frauengesundheit.

zwd Hannover. Die beiden großen Volksparteien erreichten zusammen im Unterschied zur Bundestagswahl nicht lediglich 53, sondern ca. 70 Prozent der Stimmen. Dabei erzielte die SPD bei den Angestellten, Beamt*innen und Arbeitslosen über 30 Prozent und bei den Arbeiter*innen und Rentner*innen sogar über 40 Prozent der Stimmen, wie Dr. Matthias Micus vom Göttinger Institut für Demokratieforschung analysiert hat.

Worin liegt das Geheimnis dieses Erfolges und welche Lehren muss die SPD daraus ziehen?

Ausschlaggebend für den Erfolg der SPD war die klare Profilierung zwischen den Volksparteien, ein authentischer Spitzenkandidat sowie intakte Rest-Milieus, wie sie für die SPD etwa in Ostfriesland bestehen.

In einem Mitgliederrundbrief hat sich Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am 1. November dafür ausgesprochen, mit der CDU Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Zuvor hatte die FDP einer Ampelkoalition eine Absage erteilt, weil sie kein „Steigbügelhalter“ einer rot-grünen Regierung sein wollte. Die Grünen wiederum lehnten ein Jamaika-Bündnis mit CDU und FDP ab, wären aber offen für eine Ampel-Koalition mit SPD und FDP angesichts von Schnittmengen bei den Bürgerrechten, Datenschutz, bei der Bildungsgerechtigkeit und Inklusion mit den Liberalen.

Minderheitsregierung mit hohem Risiko

Angesichts der Tatsache, dass dem rot-grünen Bündnis nur zwei Stimmen zur Landtagsmehrheit gefehlt hatten, wäre, wenn keine andere Koalitionsbildung zustande kommt, auch eine Minderheitsregierung denkbar – wohl mit der Konsequenz baldiger Neuwahlen. Dieses Szenario lehnt Weil jedoch ab: „Das Risiko eines solchen Vorgehens für die SPD ist sehr hoch und meines Erachtens gegenüber unserer Partei nicht zu verantworten.“ Wohl wahr, sähe sich doch eine solche Regierung einem konservativen Block aus CDU, FDP und AfD gegenüber. Folgerichtig gab Weil einer stabilen Koalition mit der Union den Vorzug. Das Ergebnis der Verhandlungen über die Große Koalition soll nun schnell folgen. Sie wird über 105 der 137 Sitze im Landtag und damit über eine Drei-Viertel-Mehrheit verfügen. Es wären Voraussetzungen für ein gutes Regieren.

Trotz aller Differenzen zur CDU sind die Gegensätze zwischen beiden Parteien nicht unüberwindbar. Die Formel von CDU-Landeschef Bernd Althusmann, „eine denkbare Große Koalition muss auch etwas Neues sein“, gilt ebenso wie sein Anspruch, das Land voranzubringen. Ohnehin herrscht zwischen den Parteien in den Politikfeldern Wirtschaft, Inneres und Infrastruktur große Übereinstimmung. Differenzen bestehen insbesondere in der Bildungspolitik. Die CDU will die Inklusion für ein Jahr aussetzen und die Empfehlung für weiterführende Schulen wieder einführen, beides wird von der SPD abgelehnt. Andererseits hat die CDU angekündigt, das bestehende von der rotgrünen Regierung vorgelegte Schulgesetz substanziell nicht ändern zu wollen, so dass damit in den nächsten 5 Jahren ohne Infragestellung der Schulstrukturen eine Qualitätsverbesserung der Schulen erfolgen könnte. Nach der Rücktrittsankündigung der bisherigen Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) sind hier auch personell Chancen für einen Neuanfang gegeben.

Allerdings kann eine GroKo, wie die Juso-Landesvorsitzende Amy Selbig warnt, die AfD und somit den rechten Rand stärken. Trotzdem steht diese Koalition unter anderen Vorzeichen als jene, die die SPD gerade im Bund mit Verve ausgeschlossen hat. In Hannover liegt die Führung bei den Sozialdemokrat*innen. Insofern ist die Frage naheliegend: Was bewegt die CDU, Juniorpartner in einer GroKo zu werden, wenn das Schicksal der SPD auf Bundesebene eine Gesetzmäßigkeit besitzt, dass der Juniorpartner in einer großen Koalition nicht wahrgenommen wird, sondern die Erfolge nur dem Regierungschef oder der Regierungschefin zugesprochen werden?

Was bewegt die CDU, was braucht die SPD?

Für die CDU bedeuten die 33,6 Prozent das schlechteste Resultatbei einer Landtagswahl in Niedersachsen seit 1959. Offenbar fand die triumphale Inszenierung des Wechsels der grünen Abgeordneten Elke Twesten zur CDU beim Wahlvolk keine hinreichenden Sympathien, weil es nach einem Regierungswechsel mit Geschmäckle roch.

Insofern war auch Jamaika, die rechnerisch mögliche Koalition von CDU, FDP und Grünen, keine wirkliche Option für die krachend unterlegene Union. Sie muss sich erst einmal neu aufstellen. Dabei gilt es zu beachten: „Die Landtagswahl in Niedersachsen zeigt, dass Volksparteien die Balance zwischen Tradition und Moderne halten müssen, um erfolgreich zu sein: fundamentale Konflikte, Bedrohungen von außen, charismatische Führer, all das, was moderne Parteien im modernen Stimmenkampf angeblich überwunden haben sollten durch Pragmatismus, Entideologisierung, Sachlichkeit – all das bleibt wichtig“, resümiert Demokratieforscher Micus. Er kommt auch zu dem Ergebnis, dass es weniger eine Organisationsreform ist, die die SPD bei ihrer Erneuerung braucht, als eine politische Vision oder eine konkrete Utopie. Dazu hat sie in Hannover nun alle Chancen.

Es verbietet sich, zum gegenwärtigen Zeitpunkt das beliebte Spiel „Wer wird was im Kabinett“ mitzumachen. Der alte und künftige Regierungschef muss aber aus Gründen der Glaubwürdigkeit alles daran setzen, dass sein künftiges Kabinett paritätisch von Frauen und Männern besetzt wird.

Artikel als E-Mail versenden