zwd-HERAUSGEBER HOLGER H. LÜHRIG UND zwd-CHEFREDAKTEURIN DR. DAGMAR SCHLAPEIT-BECK : Niedersachsen vor der Wahl: Das Regieren wird schwieriger

10. Oktober 2017 // Holger H. Lührig / Dr. Dagmar Schlapeit-Beck

Der Schock über den Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag und die historische Wahlschlappe von CDU, CSU und SPD am 24. September ist noch nicht bewältigt, da steht nun schon die vorgezogene Landtagswahl am 15. Oktober in Niedersachsen an.

Der Schock über den Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag und die historische Wahlschlappe von CDU, CSU und SPD am 24. September ist noch nicht bewältigt, da steht nun schon die vorgezogene Landtagswahl am 15. Oktober in Niedersachsen an. Glaubt man den Demoskopen, deren Prognosen bekanntlich auch bei der Bundestagswahl im Hinblick auf CSU und CDU einerseits sowie AfD andererseits deutlich daneben gegangen sind, lägen SPD und CDU – jedenfalls nach der letzten repräsentativen Umfrage von Infratest dimap vom 28. September – nahezu gleich auf, wobei der Trend Zugewinne für die SPD und Verluste für die CDU anzeigt. Eine Regierung unter SPD-Führung findet bei 53 Prozent der Befragten Zustimmung, im August waren es noch 6 Prozentpunkte weniger. Eine CDU-geführte Landeregierung wollen nur 38 Prozent der Wähler. Unbeschadet der Frage, ob die Linke und die AfD in den niedersächsischen Landtag einziehen, liefern sich nach jetzigem Stand Rot-Grün und Schwarz-Gelb ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wenn Linke und/oder AfD in das Landesparlament einziehen, könnte die künftige Regierungsbildung durchaus realistisch auf ein Dreierbündnis hinauslaufen. Dabei hat die niedersächsische FDP einer Ampelkoalition von Rot-Grün-Gelb bereits eine Absage erklärt. Es hängt vom Rückenwind für die SPD ab, inwieweit Ministerpräsident Stefan Weil in Niedersachsen sei-nen Führungsanspruch behaupten kann. Sein persönlicher Zustimmungswert liegt bei 48 Prozent, der für seinen CDU-Herausforderer Bernd Althusmann lediglich bei 25 Prozent. Gegenwärtig nicht kalkulierbar ist, welche Mobilisierung die historische Wahlniederlage der SPD auf Bundesebene in Niedersachsen auszulösen vermag. Wovon niemand angesichts der saarländischen Erfahrungen bei SPD, Grünen und Linken sprechen mag: Würde es für Rot-Grün nicht reichen, wäre auch Rot-Rot-Grün nicht undenkbar.

Immerhin wird der SPD in den Politikfeldern Soziales, Bildung und landesspezifische Problemlösungen eine eindeutige Kompetenz zugesprochen, die CDU punktet bei Wirtschaft und Innerer Sicherheit. Dabei darf nicht verkannt werden, dass bei den Wählern in Niedersachsen – ähnlich wie in NRW, wo allerdings die Grünen das Schulressort führten, – Unzufriedenheit mit einigen Aspekten der Bildungspolitik der Landesregierung herrscht. Andererseits hatte sich auch der Vorgänger von Schulministerin Frauke Heiligenstadt, der jetzige CDU-Spitzenkandidat Althusmann, in der damaligen schwarz-gelben Ära nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Die öffentlich geschürten Aus-­einandersetzungen von Heiligenstadt mit dem konservativen Philologenverband im Bündnis mit der Union über die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung von Gymnasial-­lehrkräften und deren Einsatz in den Grundschulen haben der Landesregierung in den Augen der Bürger*innen geschadet. Der Umfang der Lehrverpflichtung von Gymnasiallehrkräften war nicht wissenschaftlich evaluiert und der Umfang des Unterrichts an den Grundschulen im gerade begonnen Schuljahr von der Schulverwaltung nicht sorgfältig genug vorbereitet. Das wird heute von Kultusministerin Heiligenstadt als Fehler angesehen, ebenso wie die Tatsache. das auch das verlängerte Studium der Grundschullehrkräfte absehbar war. Dieses eher margi-nale Thema wurde allerdings in der Sommerpause wahlkampfträchtig von interessierter Seite hochgekocht (vgl. Interview auf Seite 14 ff.).

Zu den Pluspunkten der rot-grünen Regierungsarbeit zählt die Frauenpolitik von Sozialministerin Cornelia Rundt (vgl. Interview in diesem Heft auf Seite 5). Es ist schon ein Treppenwitz, dass das wichtigste Gesetzgebungsvorhaben dieser zu Ende gehenden Legislatur-periode ausgerechnet von der ehemaligen Frauenpolitikerin der grünen Regierungspartnerin ausgebremst wurde. Damit gab es für die Novelle des Niedersächsischen Gleichstellungsgesetzes zuletzt keine Mehrheit mehr (über die frauenpolitische Bedeutung des Vorhabens – u.a. die Einführung einer 50-Prozent-Quote für Führungs­kräfte im öffentlichen Dienst – berichten wir auf Seite 7).

Im neuen Landtag ist es fraglich, ob gegen CDU und FDP dieses Gesetz noch durchsetzbar sein wird. Die FDP lehnt in ihrem Wahlprogramm Quotenregelungen grundsätzlich ab, von der AfD mit ihrem Genderwahn ganz zu schweigen. Wähler*innen, die dem Einzug der Rechtspopulisten in den Landtag ihre Stimme geben, wissen vermutlich in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht, was sie damit in Nie-dersachsen hoffähig machen. Das zeigt das Bundestags-wahlergebnis, aus dessen Analyse hervorgeht, dass für sechs von zehn Wähler*innen der AfD das Programm dieser Partei unwichtig war. Ginge es nach der AfD, würden Frauenquoten und Gleichstellungsbeauftragte in der Wissenschaft ersatzlos gestrichen würden. Nach ihrem Willen wäre die Schließung des Zentrums für Genderstudies in Braunschweig, des Zentrums für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung in Oldenburg und des Instituts für Migrationsforschung und interkulturelle Studien in Osnabrück angesagt. Doch so weit wird es nicht kommen.

Die Landtagswahl hat einen herausragenden Stellenwert für die Entwicklung in Deutschland und die Neuaufstellung der Parteienlandschaft. Seine bundespolitischen Wirkungen erreichen nicht nur die Spitzengarde der Politiker*innen in Hannover, sondern auch in Berlin- Deshalb hat die Redaktion des zwd-POLITIKMAGAZINs die anstehende Wahl zum Thema einer ganzen Ausgabe gemacht.

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