Tatsächlich ist sie innenpolitisch der fast einzig wirksame Gegenspieler. Doch das bestehende Bildungssystem in Deutschland und selbst eine Gesamtschulreform würde den Herausforderungen nicht gerecht. Erforderlich ist eine Bildungsrevolution, die über die Gesamtschule hinausgeht und eine neue Oberstufe und eine Hochschule für praktisch alle schafft.
Von einer Bildungsrevolution hängt unsere Zukunftsfähigkeit gesellschaftlich und global ab
Die 4. industrielle Revolution wird fast alle Routinearbeitsplätze – manuelle wie kognitive – umgestalten bzw. aufheben. Nicht Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitsveränderung ist das Hauptproblem. Die umgewandelten bzw. neuen Berufe verlangen Kreativität, die vor allem eine Hochschulausbildung voraussetzen.
Auch die stark gestiegene Ungleichheit kann am wirksamsten durch mehr Akademiker bekämpft werden. Maßgeblich für die zunehmende Ungleichheit ist die technische Entwicklung. Für die OECD gibt es einen Wettlauf zwischen der Technik und der Hochschulbildung. Die Bildung hat den Wettlauf OECD-weit verloren. Doch selbst der unzureichende Ausbau in den letzten beiden Jahrzehnten hat es geschafft, die wachsende Ungleichheit um die Hälfte zu reduzieren.
Doch gleichzeitig ist umfassendere, längere Bildung für alle unumgänglich, denn die Grundwerte, die demokratische Grundordnung, die übernationale Kooperation sind bei uns und erst recht globale erschüttert und unsere Zukunft ist bedroht. Die westliche demokratische Grundordnung hat nicht nur ihre Vorbildfunktion eingebüßt, sondern selbst dort haben sich autoritäre, demokratiefeindliche und anti-multilaterale Tendenzen ausgeweitet. Diese nutzen einerseits eine soziale Krise, weil sich viele Menschen als abgehängt erleben, und anderseits eine kulturelle, weil sich viele von den Veränderungen verunsichert und überfordert fühlen. Das ist nicht zuletzt ein Versagen von hergebrachter Bildungspolitik. Wer diese Herausforderungen nur als kurzfristig begreift, täuscht sich. Daher reicht nicht nur eine umfangreiche Fortbildung, sondern erforderlich ist auch eine umfassendere, intensivere allgemeine Grundbildung für alle.
Die bestehenden Sekundarstufe II und Hochschule sichern nicht die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft
Um als Gesamtschulanhänger/innen unsere Intentionen von mehr Chancengleichheit und mehr Solidarität zu realisieren, müssen wir unsere bildungspolitischen Ziele weiter stecken. Die bestehende Sekundarstufe II und das Hochschulsystem entsprechen den Herausforderungen nicht.
Die bestehende Sekundarstufe II ist ein 2-Säulen-System aus Hochschulvorbereitung und Berufsausbildung. Die eine Säule sind die hochschulvorbereitenden Bildungsgänge – in Deutschland die gymnasiale Oberstufe des Gymnasiums, der Gesamtschule sowie das berufliche Gymnasium und die Fachoberschule – die andere Säule ist die Berufsausbildung. Sie ist aufgesplittet in die duale und die schulische Berufsausbildung und den Übergangsbereich.
Mit der Ideologie der Gleichwertigkeit will die Wirtschaft die bestehende Ausbildungssäule erhalten
Erforderlich ist eine umfassendere, längere allgemeine Bildung und eine Hochschulausbildung für möglichst alle. Die Wirtschaft und Teile der Politik lehnen eine solche Forderung vehement ab. Denn für sie ist die Berufsausbildung eine tertiäre Bildung wie die akademische Bildung und mit dieser gleichwertig. Eine Akademisierung der Berufsausbildung würde danach einerseits die als Exportmodell gepriesene duale Berufsausbildung gefährden und andererseits ein akademisches Prekariat schaffen.
Für die Wirtschaft scheint die wünschenswerte Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung erreicht zu sein. Tatsächlich ist mit dem Deutschen Qualifikationsrahmen die dreijährige Berufsausbildung dem Abitur und der Meister- und Technikerabschluss dem Bachelor gleichgestellt worden.
Doch die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Ausbildung besteht in der Realität nicht. Eine Gleichstellung würde sozioökonomisch bedeuten, dass sich der Beschäftigungsumfang und die Lebenseinkommen entsprächen. Doch das ist nicht der Fall.
Personen mit Sekundarstufe-II-Abschluss - in Deutschland überwiegend also Facharbeiter -sind um gut 1/3 häufiger erwerbslos und verdienen lebenslang fast 300.000 US $ weniger als Personen mit einem Tertiärabschluss. Sozioökonomisch gleichwertig wären sie höchstens dann, wenn sie in den Tertiärbereich aufstiegen. Aber selbst als Aufsteiger zu Meister und Techniker haben sie gegenüber Fachhochschulabsolventen gut 100.000 € und gegenüber Uni-absolventen ein um mehr als 200.000 € geringeres Lebenseinkommen. Selbst die berufliche Fortbildung über die Fachschule bringt also keine Gleichstellung.
Von einer sozioökonomischen Annäherung könnte man allerhöchstens dann sprechen, wenn der Aufstieg vom Facharbeiter zum Meister und Techniker die Regel wäre. Aber das Gegenteil ist der Fall: der Aufstieg ist eine äußerst begrenzte Ausnahme. Nur jeder 10. Auszubildende besucht eine entsprechende Fachschule. Noch enger ist das Nadelöhr zur Hochschule: nur 3 % aller Studierenden haben kein Abitur.
Von sozioökonomischer Gleichwertigkeit kann keine Rede sein, es handelt sich um eine Irreführung der Jugend aus wirtschaftlichen und ständischen Interessen.
Die duale Berufsausbildung ist ein Sanierungsfall
Die als deutsches Exportmodell hochgelobte duale Berufsausbildung ist nicht gleichwertig, vielmehr ist sie ein Sanierungsfall.
Seit den Konjunkturkrisen der 70er Jahre sichert die duale Berufsausbildung nicht mehr eine Berufsausbildung für fast alle. Vielmehr geht das Ausbildungsplatzangebot in Wellen zurück. Der Bund hat mit immer neuen Ausbildungspakten versucht, die Wirtschaft für mehr Ausbildungsplätze zu gewinnen. Die Wirtschaft wehrte sich mit dem Vorwurf der geringen Leistungsfähigkeit der Schulabgänger. Sie erfand die Nicht-Ausbildungsreife als neue Förderbedürftigkeit.
Eine Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin kommt zu dem Ergebnis: „Es gibt also unter jenen Jugendlichen ohne Mittleren Schulabschluss deutlich mehr Ausbildungsfähige und -willige, als schließlich einen Ausbildungsplatz bekommen. Diesen Jugendlichen fehlt also gerade nicht die viel zitierte „Ausbildungsreife“. Benachteiligt sind sie durch die Gelegenheitsstrukturen, auf die sie reffen – das heißt durch die Auswahlverfahren und -kriterien der Betriebe sowie die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit, wenn sie sich dort als ausbildungssuchend melden.“ (Holtmann, S. 5).
Der Staat baute daraufhin den Übergangsbereich stark aus. Er besteht aus mehr als 100 Maßnahmen, am bekanntesten das Berufsgrundschul-, das berufsbefähigende und berufsvorbereitende Jahr. Wissenschaftliches Ergebnis ist, dass der Übergangsbereich höchstens mit einem zusätzlichen Abschluss die Chance auf einen Ausbildungsplatz erhöht, ansonsten die Jugendlichen eher stigmatisiert. Es ist unfassbar, dass die Politik diesen Übergangsbereich weiterhin zulässt – mit Jährlich mehr als 250.000 Plätze selbst in Zeiten der Hochkonjunktur.
Noch unerträglicher ist, dass im Schnitt Jahre vergehen, bis Jugendlichen eine duale Ausbildung beginnen. Im Durchschnitt beginnt sie mit 20, genauer mit 19,9 Jahren. Für einen Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss – wenn er überhaupt eine Lehre beginnen kann – beginnt sie im Schnitt mit gut 20 Jahren, mehr als 3 Jahre nach dem Schulabgang. Die Zwischenzeit verläuft vor allem mit Bewerben, Warten, Absagen und Neustarten, nur einen geringen Teil fängt der weitgehend erfolglose Übergangsbereich auf. Obwohl für die meisten Jugendlichen Schulpflicht besteht, ist ein Teil von ihnen verschollen. Wertvolle Bildungszeit und erworbene Bildung gehen verloren, Wirtschaft und Staat lassen beides vergammeln.
Die duale Berufsausbildung ist nicht für die niedrige Jugendarbeitslosigkeit verantwortlich, sondern vor allem der späte Beginn der dualen Berufsausbildung. Auszubildende, die im Schnitt mit 20 Jahren ihre Lehre beginnen und mit 23 Jahren beenden, können nur selten unter 25 Jahren arbeitslos werden. Betrachtet man dagegen die Erwerbslosigkeit junger Erwachsener, dann stehen sie mit einem Sekundarstufe-II-Abschluss gegenüber dem Tertiärabschluss in Deutschland im Vergleich zur OECD oder EU nicht besser dar. Sie sind mehr als 1/3 häufiger erwerbslos.
Mit einem durchschnittlichen Ausbildungsbeginn von 20 Jahren gehört die duale Berufsausbildung nicht mehr der Sekundarstufe II an. Nach der Internationalen Standardklassifikation des Bildungswesens (ISCED) der UNESCO gehören nur Bildungsgänge zur Sekundarstufe II, die unmittelbar an die Sekundarstufe I anschließen und gewöhnlich mit 15 bzw. 16 Jahren beginnen. Die duale Berufsausbildung ist danach postsekundär, sie ist Erwachsenenbildung.
Die schulische Berufsausbildung steigt in den Hochschulbereich auf
Eine schulische Berufsausbildung als Ergänzung bzw. Konkurrenz zur dualen Berufsausbildung hat es in Deutschland im Auslandsvergleich kaum gegeben. Die bescheidenen Ansätze sind rückläufig. Die schulische Berufsausbildung besteht inzwischen fast ausschließlich im Bereich der Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufe. Sein Anteil ist auf 80 % gestiegen.
Die Qualitätsanforderungen für diese Berufe haben sich erhöht und erhöhen sich weiter. Fast das gesamte europäische Ausland hat diese Berufe inzwischen akademisiert. Der Wissenschaftsrat fordert wenigstens teilweise eine Hochschulausbildung, so dass entsprechende Studiengänge auch in Deutschland sprunghaft entstehen. Die schulische Berufsausbildung wird in den Hochschulbereich abwandern.
Eine sekundäre Berufsausbildung ist nicht zu restaurieren
Eine unmittelbar an die Sekundarstufe I anschließende Berufsausbildung für alle Nicht-Oberstufenschüler/innen ist nicht mehr durchsetzbar:
Nur eine schulische Berufsausbildung könnte eine sekundäre Ausbildung für alle sicherstellen. Doch der Staat hat trotz des Missstandes der Ausbildungslosigkeit und eines erfolglosen Übergangsbereiches nichts unternommen. Er ist wegen der Kosten und der Drohung der Wirtschaft, sich aus der Ausbildung zurückzuziehen, seit den 70er Jahren untätig geblieben. Vielmehr hat er die spärliche staatliche Ausbildung in Kammerberufen in letzter Zeit nochmals zurückgefahren. Zwar hat Hamburg einen sehr vorsichtigen Versuch einer schulischen Ersatzausbildung für abgelehnte Ausbildungssuchende gestartet, hat aber keine Länder für die Nachahmung gefunden.
Oberstufe und Studium für möglichst alle
Weder eine Berufsausbildung für alle noch eine auf den Schulabgang unmittelbar folgende Ausbildung ist innerhalb der Sekundarstufe II realisierbar. Eine Ausbildung für alle lässt sich nur im postsekundaren bzw. tertiären Bereich realisieren.
Da schon jetzt etwas mehr als die Hälfte eines Jahrganges ein Studium aufnimmt, sollte von allen postsekundären oder nichtakademischen tertiären Bildungsgängen abgesehen werden, sondern die Hochschule zur Hochschule für alle ausgebaut werden.
Der Auszug der Berufsausbildung aus dem Sekundarbereich gibt zugleich die Chance, eine Oberstufe für alle zu schaffen. Sie sollte gemeinsam umfassender auf Gesellschaft und Welt vorbereiten und die Jugendlichen zur Bewältigung der großen Herausforderungen befähigen.
Ein Hochschulabschluss für alle verursacht kein akademisches Prekariat
Die Idee eines Studiums für alle wird auf vehemente Kritik von Wirtschaft und rechter Politik stoßen: sie werden das Schreckgespenst eines akademischen Prekariats an die Wand malen.
Das Horrorszenario ist nach allem bisher Bekannten falsch:
Wer auf dem Horrorszenario besteht, handelt abgesehen von eigenen Interessen national engstirnig:
Das Horrorszenario wird hinterwäldlerisch, wenn man die Akademisierung global betrachtet:
Das Horrorszenario eines akademischen Proletariats führt zu wirtschaftlichem Rückstand, Arbeitslosigkeit und wachsender Ungleichheit.
Die gymnasiale Oberstufe zur Oberstufe für alle weiterentwickeln
Die Konzeption der Gesamtschulanhänger der 60er Jahre für die Sekundarstufe II war die Integration der Berufs- und Allgemeinbildung. Sie sollte eine Ausbildung sowie eine allgemeine Studierfähigkeit sicherstellen.
Dieses Konzept ist irreal geworden, nachdem
Das schon vorhandene und sich ausweitende Vakuum zwischen Sekundarstufe-I-Abgang und Ausbildung bzw. Beschäftigung kann überzeugend nur durch die Weiterentwicklung der hochschulvorbereitenden Schulformen geschlossen werden.
Mögliche Überlegungen, eine neue Schulform zu schaffen, die nur begrenzt auf die Hochschule vorbereitet, würde als gymnasiale Oberstufe 2. Klasse zum Scheitern verurteilt sein. Denn schon jetzt besuchen mehr als die Hälfte eines Jahrganges hochschulvorbereitenden Bildungsgänge.
Diese bestehen als allgemeinbildende in der gymnasialen Oberstufe des Gymnasiums und der Gesamtschule sowie als berufsbildenden in der Fachoberschule und dem beruflichen Gymnasium.
Bei der Hochschulreife dominiert die gymnasiale Oberstufe. An ihr erwerben fast 2/3 das Abitur, nur gut 1/3 an den beruflichen Schulen. Ziel einer Oberstufe für alle sollte die allgemeine Hochschulreife sein, denn seit der Jahrhundertwende geht der Anteil der Fachhochschulreife fast stetig zurück und beträgt nur noch gut 20 % an den Abiturienten.
Fast alle sind zur Hochschulreife und zum Studium zu befähigen
Die Annahme, man könne langfristig fast alle zum Studium befähigen, wird auf viel Skepsis stoßen. Sicher steigt mit dem Anstieg der Abiturientenquote die Schwierigkeit, auch noch die Verbliebenen zu fördern. Dennoch ist Pessimismus nicht angesagt.
Skepsis ist in Deutschland weit verbreitet, denn Vererbungslehre und Charakterologie haben unsere Kultur antiegalitär geprägt. Doch die heutige Genforschung kommt zu einem völlig anderen Ergebnis. Nur ein ganz geringer Teil der Intelligenz – Genforscher Kuhbandner spricht von 4 % - sind durch die Gene bestimmt. Es sind Umwelt und die individuellen Reaktionen, die fast ausschließlich die Entwicklung bestimmen. Öffentliche Erziehung kann somit viel, viel erreichen.
Es ist auch schon viel erreicht worden. Als wir Anfang der 60er Jahre das Konzept der Gesamtschule entwarfen, erwarben gerade 6 % eines Jahrganges die Hochschulreife. Kaum einer hätte die Voraussage gewagt, dass heute 9-mal so viele das Abitur erreichen.
Grund ist, dass sich seitdem nicht wenig in Erziehung und Bildung verändert hat – innerschulisch, strukturell und gesellschaftlich.
Innerschulisch
So bitter die geringen Fortschritte bei der gemeinsamen Schule für alle sind, es hat sich dennoch strukturell viel verändert:
Vor allem aber hat sich gesellschaftlich viel getan:
Diese Veränderungen haben neben anderem bewirkt, dass das stark elitäre Studium der 50er Jahre zum Normalfall geworden ist.
Die möglichen Verbesserungen öffentlicher Erziehung sind nicht abgeschlossen, es muss und kann im gesamten Umfeld von Erziehung und Bildung noch viel geschehen. Dies wird uns ermöglichen, viel mehr und letztlich fast alle Jugendlichen zur Hochschulreife zu führen, besonders wenn die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften intensiviert wird.
In den vergangenen Jahrzehnten ist Deutschland vorangekommen, doch andere Länder haben deutlich mehr geschafft.
Gegenüber der OECD gibt Deutschland an, dass 84 % eines Jahrganges unmittelbar die Hochschulzugangsberechtigung erhalten, also einschließlich aller Jugendlicher mit einer 3-jährigen Berufsausbildung. Selbst mit dieser Irreführung liegt Deutschland unter dem OECD- Durchschnitt. Fast in der Hälfte der Länder erreichen mindestens 90 % die direkte Hochschulreife, in dem bei den Leistungen führenden Finnland sogar der gesamte Jahrgang.
Unsere Jugendlichen sind nicht dümmer, unsere Lehrkräfte nicht schlechter, auch Deutschland könnte alle zum Studium befähigen.
Modelle einer offenen Oberstufe lassen sich durchsetzen
Die Situation der Nicht-Oberstufenschüler/innen in der Sekundarstufe II ist pädagogisch und sozial unerträglich. Es ist nicht hinzunehmen, dass ein beträchtlicher Teil der Schulabgänger lange Zeit im Wartesaal hockt, auf Ausbildung wartet oder verschollen geht. Die einzige Möglichkeit ist die Öffnung der (gymnasialen) Oberstufe und der Hochschule für alle.
Dass eine weitgehende Selektion zur Hochschule nicht mehr beim Übergang aus der Grundschule stattfindet, ist ein Fortschritt, dass aber die Selektion auf das Ende der Sekundarstufe I verlagert wurde, ist unerträglich und pädagogisch nicht zu rechtfertigen. Wie sich ein Mensch entwickelt, ist immer wieder offen. Pädagogisch sollte beim Übergang auf die Hochschule höchstens die zuletzt gezeigte Leistungsfähigkeit entscheiden.
Theoretisch ist diese Aufnahmesituation bei der Berufsausbildung vorhanden. Der fachgebundene, aber auch allgemeine Hochschulzugang ist unabhängig vom Abschluss der Sekundarstufe I, selbst beim Abgang ohne Abschluss. Selbst abiturähnliche Leistungen entscheiden nicht, sondern der Abschluss einer mindestens 2-jährigen Berufsausbildung zusammen mit einer mehrjähriger Berufspraxis. Faktisch allerdings unterhöhlen die Bundesländer den Deutscher Qualifikationsrahmen, indem sie die Aufnahme auf Grund unterschiedlicher Zusatzkriterien begrenzen. Trotz der Handhabungen bei Ausgebildeten ist es Willkür, für Oberstufenschüler/innen einen qualifizierten mittleren Abschluss vorauszusetzen, für Facharbeiter/innen erfreulicher Weise nicht.
Von der Politik jedoch ist eine generelle Öffnung – selbst nur für jeden Realschulabschluss ohne Zusatzqualifikation – auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Die Wirtschaft, das Gymnasialklientel und Teile der Politik werden vor dem Leistungsverfall, dem Facharbeitermangel und dem Akademiker-Prekariat warnen.
Doch ein Einstieg in eine offene Oberstufe scheint mir durchsetzbar. Zu Modellversuchen einer offenen Oberstufe werden Landesregierungen bereit sein. Voraussetzung ist mithin zunächst die Basis. Solche Initiativen setzen pädagogisches und soziales Engagement voraus, ich erwarte es vor allem von Gesamtschulen, von denen ja bisher viele diese Einstellung mit großem Erfolg bewiesen haben
Aber auch das Eigeninteresse einer Schule kann Ausgangspunkt für den Antrag auf eine Modell-Oberstufe sein. Vor allem Gesamtschulen ohne eigene Oberstufe werden am ehesten Modelle einer offenen Oberstufe beantragen. Denn Gesamtschulen mit Oberstufe sind zumeist attraktiver als Gesamtschule ohne sie. So haben bei der Aufhebung von Haupt- und Realschule zugunsten der Schulen des gemeinsamen Lernens diese in Hamburg generell eine Oberstufe erhalten. Als Gesamtschule mit offener Oberstufe können sie auf die Schülerzahl kommen, die zurzeit für eine Genehmigung erforderlich ist. Das Modell einer offenen Oberstufe wird sicher auch von Gemeinden unterstützt werden, die sich mit einer Oberstufe eine Aufwertung ihrer Kommune versprechen. Es scheint ebenso in einigen Bundesländern durchsetzbar zu sein, wenn zunächst nicht bei den Kultusministerien, dann bei der Basis linker Parteien in Wahlprogrammen.
In Deutschland mit seinem Föderalismus und der kommunalen Schulträgerschaft wird es auch zu anderen Lösungen kommen. Aus Finanzgründen und ökonomischen Interessen werden zentrale Lösungen über Fachoberschule und berufliches Gymnasium Unterstützung finden. Es wird auch unter ihnen Schulen geben, die sich für eine offene Oberstufe aussprechen - vor allem wohl in Konkurrenz zu den Gesamtschulen ohne Oberstufe, die auf eine eigene Oberstufe drängen.
Zu begrüßen ist jede Schulinitiative, die ein qualifiziert hochrangiges Bildungsangebot für möglichst alle Jugendlichen der Sekundarstufe II schaffen will.
Die Strategie bestimmt mit über das Konzept einer offenen Oberstufe
Eine Oberstufe für alle würde durch eine bessere pädagogische Förderung im Vorfeld erleichtert, so durch
Doch Modelle offener Oberstufen sollten um der Jugendlichen willen nicht auf bessere Voraussetzungen warten. Auch die Gesamtschulen haben unter schlechteren Voraussetzungen und einem sehr schwierigen gesellschaftlich-politischen Umfeld Erstaunliches geleistet.
Leider sind die bestehenden Rahmenvorgaben für die gymnasiale Oberstufe nicht optimal, weder um die Jugendlichen optimal auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten noch um sie bestmöglich zu fördern. So kritisiert Keuffer die „Normierung, Standardisierung und Vereinheitlichung der Anforderungen“ durch Kerncurricula und Zentralabitur.
Doch selbst unter den jetzigen Bedingungen ist viel zu erreichen:
Für kleine offene Oberstufen, die besonders an Gesamtschulen ohne bisherige Oberstufe entstehen werden, wird es besonders wichtig sein, mit Fächerintegration, jahrgangsübergreifendem Unterricht und speziell mit Projekten zu arbeiten. Dann sind auch diese Oberstufen leistungsfähig.
Hiervon wird manches nur in Schritten der Schulaufsicht abzuringen sein. Offene Oberstufen werden umso erfolgreicher arbeiten, je intensiver sie zusammenarbeiten, gerade auch länderübergreifend.
Modelle offener Oberstufen bestehen nicht, aber es gibt erste Ansätze
Die gymnasialorientierte Oberstufe ist schon jetzt die mit absoluter Mehrheit dominierende Schulform der Sekundarstufe II. Diese Ausweitung ist durch die Gründung von Fachoberschulen, beruflichen Gymnasien und Gesamtschulen erfolgt. Diesen Schulen ist es zu verdanken, dass nicht nur Gymnasiasten/innen, sondern auch Jugendliche mit qualifiziertem Realschulabschluss die Hochschulreife erlangen können. Die Tosca-Studie belegt, dass das Abitur an den beruflichen Gymnasien in Baden- Württemberg keinen Leistungsabfall bewirkt.
Die Gesamtschulen haben darüber hinaus belegt, dass Jugendliche, denen die Grundschule keinen qualifizierten Abschluss zutraute, nicht nur den Realschulabschluss, sondern teils selbst die Abiturprüfung bestanden haben.
Bei der Öffnung der Oberstufe ist das Oberstufenkolleg Bielefeld Vorreiter. Es liest zwar Bewerber aus, aber nicht nach ihren erworbenen Abschlüssen, sondern nach ihrer jetzigen Leistungsfähigkeit. Bis zu 50 % der Aufgenommenen haben keinen Qualifikationsvermerk zum Besuch einer gymnasialen Oberstufe. Dass viele von ihnen das Abitur erreichen, gelingt u.a. durch weitgehende Fächerintegration und umfangreiche Projektarbeit.
Keine stärkere Öffnung, aber didaktisch eine sehr weitgehende Reform plant die Evangelische Schule Berlin-Mitte, für die sie bisher nur Teile genehmigt bekam. Didaktisch will sie die Einzelfächer weitgehend zugunsten von Projekten aufgeben, für die Schülerinnen und Schüler eigenständige, selbstverantwortliche mehrwöchige Lernexpeditionen vorsehen und ergänzend in wenigen Kursstunden Kompetenzen trainieren.
Der Tertiärbereich explodiert, die Berufsbildung steigt auf
Auf die Sekundarstufe II folgen der postsekundäre und der tertiäre Bereich. Er besteht aus dem akademischen Tertiärbereich vornehmlich mit Fachhochschule und Universität, dem nicht-akademischen Fortbildungsbereich der Akademien und Fachschulen sowie der postsekundären dualen Berufsausbildung.
Die eigentliche Bildungsexplosion in Deutschland findet im Hochschulbereich statt.
Der nicht-akademische Tertiärbereich - die Fachschulen – wird in den Hochschulbereich aufsteigen.
Auch die duale Berufsausbildung und die Berufsschule steigen auf:
Somit zeichnen sich erste Aufstiege sowohl der dualen Berufsausbildung als auch der Berufsschule in den Hochschulbereich ab.
Eine gemeinsame Oberstufe und Hochschule für alle wird kommen
Das Bildungswesen in Deutschland wird sich revolutionieren. An die Stelle des überlieferten selektiven und hierarchischen wird ein weitgehend einheitliches und längerfristig gemeinsames Bildungswesen mit einer 12/13-jährigen allgemeinen Bildung und einer anschließenden Hochschulausbildung für alle treten. Das ist für Deutschland revolutionär, doch die Realisierung wird sehr zäh und nur in Schüben verlaufen.
Der Ausbau der Hochschulen und der Aufstieg der Berufsbildung werden stark expandieren, weil
Besonders dringend aus pädagogischen und sozialen Gründen ist die Öffnung der Oberstufe für alle. Sie ist umso mehr, weil sich die Berufsausbildung immer stärker aus der Sekundarstufe II zurückzieht:
Für diese unerträgliche Situation ist in absehbarer Zeit keine umfassende und selbst keine breitere politische Lösung in Sicht. Vorankommen werden wir nach meiner Ansicht nur, wenn sich Schulen zu Versuchen mit einer offenen Oberstufe bereitfinden., sei es die Öffnung für möglichst alle Schulabgänger der Sekundarstufe I oder für alle Abgänger mit einem Schulabschluss.
Solche Schulmodelle kann man voraussichtlich in manchen Ländern durchsetzen. Wegen ihres pädagogischen und sozialen Engagements sind es wahrscheinlich vor allem Gesamtschulen – und vor allem kleine Gesamtschulen ohne bisherige Oberstufe –, die zu solchen Modellen mit offenen Oberstufen bereit sein werden.
Je mehr sich solche Modelle durchsetzen, je stärker sich die Hochschulen für immer mehr öffnen, desto anachronistischer wird ein selektives und hierarchisches Bildungswesen in der Sekundarstufe I und II. Die Lebenszeit für dieses traditionelle Bildungswesen wird auch in Deutschland ablaufen. Selbst hier werden wir zu einem gemeinsamen Lernen nicht nur in der Sekundarstufe I wie II kommen, sondern längerfristig sogar im Hochschulbereich.
Quelle mit Literaturangaben:
- https://ggg-web.de/z-bund-diskurs/131-bildungspoli...
- A. C. Holtmann u.a. Unentdeckte Kompetenzen Jugendliche ohne Mittleren Schulabschluss finden schwer einen Ausbildungsplatz, WZBrief Bildung, 36, September 2018