GUTACHTEN HEBAMMENVERSORGUNG : Personelle Engpässe in Geburtskliniken: Viele Stationen mit Hebammen unterversorgt

22. Januar 2020 // Ulrike Günther

Die Geburtskliniken im Bundesgebiet sind zwar überwiegend gut mit Hebammen versorgt. Doch in Großstädten sind diese Stationen häufig überlastet, viele Hebammen müssen mehr als drei Schwangere gleichzeitig beim Geburtsvorgang begleiten.

Kind bei der Geburt - Bild: puxabay / Daniel Nebrada
Kind bei der Geburt - Bild: puxabay / Daniel Nebrada

zwd Berlin. Zu diesem Ergebnis kommt das vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Auftrag gegebene Gutachten des IGES Institutes zur stationären Hebammenversorgung. Demzufolge sind die Krankenhäuser mit Geburtshilfe-Stationen für werdende Mütter gut erreichbar. 88 Prozent brauchten weniger als 30 Minuten Fahrzeit bis zur Klinik, über 80 Prozent waren mit der Leistung der Hebammen zufrieden. Fast alle der zur Befragung herangezogenen Mütter konnten in ihrem bevorzugten Krankenhaus ihr Kind entbinden. Trotzdem verfügen laut Gutachten Geburtszentren in größeren Städten oft nicht über ausreichende Kapazitäten, um werdende Mütter mit Hebammen zu versorgen.

Unbeschadet der Tatsache, dass vier von fünf Müttern mit der Betreuung durch Ärzte und Hebammen während der Geburt zufrieden waren, wurde allerdings kritisch darauf hingewiesen, dass sich nur bei 7 Prozent der Befragten durchgängig eine Entbindungshelfer*in um die Gebärende kümmerte. Nach der Geburt fühlten sich nur noch 68 Prozent der Mütter ihren Bedürfnissen gemäß gut gepflegt. Das IGES Institut befragte 287 Geburtskliniken, das sind ca. 42 Prozent aller Krankenhäuser mit entsprechenden Stationen, darüber hinaus 2.264 Hebammen, die an 483 Kliniken arbeiten und rund 20 Prozent aller stationär tätigen Geburtshelfer*innen umfassen, sowie 1.770 Mütter.

Fehlende Kapazitäten in einem Drittel der befragten Kliniken

Der parlamentarische Staatssekretär des BMG Thomas Gebhardt (CDU) kündigte mit Blick auf die Bedingungen der Arbeit von Geburtshelfer*innen im Januar an, man werde sich gemeinsam mit den Hebammenverbänden und anderen Beteiligten darüber verständigen, wie diese „schnell und wirksam weiter verbessert werden können.“ Ein Drittel der befragten Krankenhäuser mit Abteilungen zur Geburtshilfe musste im Jahr 2018 mindestens einmal Schwangere mit einsetzenden Wehen aus Mangel an Arbeitsfreiraum bei den beschäftigten Hebammen oder an Zimmern abweisen. Auf alle bundesdeutschen Gebärkliniken hochgerechnet wären das dem Gutachten zufolge ca.8.790 Fälle oder 1,1 Prozent der gebärenden Mütter. Dabei entstanden die Probleme bei der Aufnahme von Gebärenden nach Angaben des IGES Instituts vor allem in den sog. Level 1-Perinatalzentren, die insbesondere Frühgeburten und mit einem höheren Risiko verbundene Schwangerschaften intensiv betreuen.

Die Grünen fordern bessere und attraktivere Arbeitsbedingungen

Anlässlich der Veröffentlichung des Gutachtens forderte Kirsten Kappert-Gonther, stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/‘Die Grünen, dass „die Arbeitsbedingungen in der Geburtshilfe ( …) verbessert“ werden müssten. Das BGM dürfe die Situation von Hebammen nicht schönreden. Die Kliniken seien derart mit Geburtshelfer*innen auszustatten, dass sie ein Betreuungsverhältnis von einer Hebamme je gebärender Frau gewährleisten könnten. Weiterhin verlangte die Grünen-Fraktionsvize und Sprecherin für Gesundheitspolitik, dass die Hebammen von fachfremden Tätigkeiten wie Saubermachen zu entlasten seien.

Kappert-Gonther moniert, dass bundesweit zu viele Geburten durch medizinisch nicht erforderliche Kaiserschnitte erfolgten, Kreißsäle müssten immer wieder aus Personalmangel ihre Funktion aufgeben. Um diesem Missstand abzuhelfen, solle der Beruf der Hebamme attraktiver azsgestaltet werden. Die im September vom Bundestag beschlossene Reform zur Akademisierung der Hebammenausbildung (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) sei „nur der erste Schritt“. Die Bedingungen für die Arbeit von Entbindungspfleger*innen seien familienfreundlich zu gestalten, die Kooperation mit Ärztinnen solle sich im Team „auf Augenhöhe“ vollziehen, so die Gesundheitssprecherin.

SPD und Linke: Hebammen nicht mehr über Fallpauschalen bezahlen

Die zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion Bettina Müller wies in ihrem Kommentar zum Gutachten hin, ihre Partei habe schon mehrfach vergeblich darauf hingewirkt, eine gesetzliche Berichtspflicht für Kliniken und Stationen einzuführen. Die meisten Studien zur Frage, wie auch die IGES-Erhebung, beruhten auf freiwilligen Angaben..Um den Missständen wie Personalmangel, regional rückläufige Geburtenraten und fehlender Wirtschaftlichkeit einzelner Krankenhäusern in ländlichen Gebieten Abhilfe zu verschaffen, sind laut Müller weitere Maßnahmen erforderlich, die über bisher ergriffene Mittel, wie Zuschläge zur Sicherung der Arbeit von unverzichtbaren Kliniken und Geburtsstationen, hinausgehen.

Dazu schlägt die SPD-Abgeordnete u.a. vor, dass das in Verträgen für freiberufliche Hebammen bereits festgesetzte maximale Betreuungsverhältnis von 1 : 2 auch auf für die angestellten Geburtshelfer*innen gelten sollte, um die Arbeit in Kliniken attraktiver zu machen. Wie bei den Freiberuflichen seien auch die Leistungen der angestellten Entbindungspfleger*innen außerhalb der sog. Fallpauschalen zu bezahlen. Auch die Linken möchten die Geburtshilfe laut ihrer stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und frauenpolitischen Sprecherin Cornelia Möhring aus dem System der Bezahlung pro Behandlungsfall herauslösen, um ökonomische Anreize für ärztliche Eingriffe auszuschalten. Müller zufolge sollten sich Krankenhäuser und Stationen außerdem verstärkt für die ambulante Geburtshilfe öffnen, um Personalengpässe zu überbrücken.

Hebammenverband verlangt Eins-zu-eins-Betreuung

Etwa 70 Prozent der Hebammen halten ein Verhältnis von 1 : 1 für die Betreuung von Gebärenden für angemessen, lediglich gut ein Viertel erachten auch ein Verhältnis von 1 : 2 als zumutbar. Mehr als zwei Drittel der Geburtskliniken erwartet innerhalb der nächsten fünf Jahre einen steigenden Bedarf an Entbindungshelfer*innen. Der Deutsche Hebammenverband (DHV) nimmt das Gutachten des IGES Instituts zum Anlass, seine bisherigen Forderungen zu bekräftigen. Dazu gehören bessere Personalschlüssel, Entlastung der Gebärhelfer*innen von fachfremden Arbeiten und der Abbau von hierarchischen Strukturen. Das würde die Tätigkeit für Berufsanwärter*innen wieder interessanter machen, so der DHV. „Dass eine Hebamme ihre Tätigkeit so ausüben kann, wie es ihren Ansprüchen an die eigene Arbeit entspricht, ist bei uns keine Selbstverständlichkeit“, erklärte die Präsidentin des Verbandes Ulrike Geppert-Orthofer.

In den Geburtskliniken herrschten aber Bedingungen, die „nur für 16 Prozent der Kolleginnen die Eins-zu-eins-Betreuung von Gebärenden“ ermögliche. Die Fraktionsvize der Linken Möhring mahnt aufgrund der im IGES-Gutachten aufgezeigten Mängel in der Geburtshilfe "dringenden Handlungsbedarf" an. Sie fordert eine bedarfsgerechte Zuteilung von Personal aller Berufssparten in Krankenhäusern und ein gesetzlich verankertes Betreuungsverhältnis, demzufolge sich eine Hebamme jeweils um eine Gebärende kümmert. Zudem wendet sich Möhring gegen die Empfehlung des Gutachtens, die Defizite in der Versorgung mit Geburtskliniken durch Zusammenlegen überlasteter städtischer und nicht ausgelasteter ländlicher Stationen zu beheben. Um den tatsächlichen Bedarf insgesamt abzusichern verlangt sie stattdessen, die Kapazitäten in den Städten auszubauen und dennoch die übrigen Strukturen aufrechtzuerhalten.

Aufnahmeprobleme in Kliniken keine Einzelfälle

Das Institut urteilte, dass die Aufnahmeprobleme in Geburtskliniken zwar nicht flächendeckend aufträten, aber sicherlich keine Einzelfälle darstellten. Aufgrund des Geburtenanstiegs seien große Gebärzentren und Kliniken in Großstädten nicht in der Lage, der gewachsenen Nachfrage zu entsprechen. Zu dem Fehlen von Hebammen in solchen Krankenhäusern trage laut Gutachten bei, dass nur ein Drittel der Gebärhelfer*innen in Vollzeit arbeiten. Knapp drei Viertel der befragten, in Teilzeit arbeitenden Hebammen gaben an, wegen der zahlreichen Überstunden, Nacht- und Bereitschaftsdienste ihren Beruf nicht ganztägig an fünf Wochentagen ausüben zu wollen.

Viele Hebammen (fast 40 Prozent) äußerten in der Befragung, mit ihrer Tätigkeit unzufrieden zu sein. Über drei Viertel von ihnen müssten mehr Stunden arbeiten als von ihnen geplant. Rund 50 Prozent beschrieben, dass sich die Arbeitsbedingungen seit drei Jahren leicht bis stark verschlechtert hätten. Mehr als 40 Prozent der Geburtshelfer*innen fühlen sich in ihrem Beruf nicht hinreichend anerkannt. Ebenso viele waren der Ansicht, dass die Anzahl der im Kreißsaal tätigen Ärzte nicht hoch genug sei, fast 50 Prozent, dass dort nicht ausreichend viele Hebammen verfügbar seien. Rund zwei Drittel kritisierten, dass man sie zu häufig für fachfremde Tätigkeiten einsetze.

Viele Hebammen sind bei der Arbeit übermäßig belastet

Den Engpässen in den städtischen Ballungsräumen stehen dem Gutachten zufolge die unterdurchschnittlich ausgelasteten Geburtskliniken in den ländlichen Regionen gegenüber. Insgesamt haben knapp 60 Prozent aller Krankenhäuser mit Geburtshilfestationen Schwierigkeiten, planmäßig vorhandene Stellen mit Hebammen zu besetzen. Ursachen hierfür liegen laut Gutachten in erster Linie in der hohen arbeitsmäßigen Belastung der Geburtshelfer*innen und den relativ niedrigen Gehältern.

Als aussagekräftiges Anzeichen für die Situation in den Krankenhäuser wertet das Institut das Verhältnis von Hebammen und vor der Geburt zu betreuenden Schwangeren, das bundesweit stark variiert. Während über 80 Prozent der Entbindungspfleger*innen in einer gewöhnlichen Schicht höchstens zwei Gebärende betreuen, berichteten 20 Prozent von ihnen, sich um vier oder mehr Frauen im Kreißsaal kümmern zu müssen. In den Level 1-Perinatalzentren waren es sogar über ein Drittel der dort tätigen Hebammen. In fast 30 Prozent der Schichten haben die Geburtshelfer*innen allerdings für überdurchschnittlich viele Gebärende zu sorgen, so dass in diesen Zeiten auf 85 Prozent der Hebammen vier oder mehr zu betreuende Schwangere entfallen.

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