TAG DER PFLEGE 2020 : Pflege am Limit: Krisen-Zuschüsse, gerechte Löhne und mehr Personal gefordert

12. Mai 2020 // Ulrike Günther

In der Corona-Krise leisten sie unter schwierigen Verhältnissen unerlässliche Arbeit, und auch in gewöhnlichen Zeiten ist ihr täglicher Einsatz unverzichtbar: Pflegekräfte, darunter über 80 Prozent Frauen, sorgen unermüdlich für Schwache und Gebrechliche, retten Menschenleben. Zum heutigen Tag der Pflege fordern linke Parteien, Gewerkschaften und Sozialverbände höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für Krankenschwestern und Pfleger*innen.

Florence NIghtingale, Pionierin der Krankenpflege - Bild: Wikimedia.org / Henry Hering
Florence NIghtingale, Pionierin der Krankenpflege - Bild: Wikimedia.org / Henry Hering

zwd Berlin. Während der Corona-Epidemie wird einmal mehr deutlich, welche Mühen und Anstrengungen Pflegekräfte jeden Tag, erst recht unter den gegenwärtigen erschwerten Bedingungen, auf sich nehmen, welchen Belastungen sie ausgesetzt sind, um Gesundheit und Wohlbefinden von kranken, alten und hilfsbedürftigen Menschen herzustellen oder zu erhalten. Unter dem Motto „Die Welt gesund pflegen“ wird am 12. Mai in allen Ländern der Erde der Tag der Pflege begangen, der zugleich an die britische Krankenschwester und Pflege-Aktivistin Florence Nightingale erinnert. Nightingale, die in diesem Jahr ihren 200. Geburtstag gefeiert hätte, gilt als Begründerin der modernen Krankenpflege. Sie entwickelte in ihren Schriften eine eigene Pflegetheorie und reformierte die Gesundheitsfürsorge in Großbritannien und Indien, wofür sie u.a. statistische Methoden, wie von ihr erfundene Diagramme und Fragebögen, nutzbar machte.

SPD fordert Tariflöhne für Pflegekräfte und mehr Personal

Der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter von sozialen Diensten (bpa) hob zum weltweiten Pflegetag hervor, dass die Pflegebeschäftigten, darunter ca. 700.000 in Altenpflegeheimen, gerade während der Corona-Epidemie „bis an die Grenzen ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit“ arbeiten, um die vielfach hochbetagten und für die Krankheit umso anfälligeren Hilfsbedürftigen professionell zu versorgen. Da Pflegekräfte häufig ohne angemessene Schutzkleidung arbeiten müssen, riskieren sie ständig ihr eigenes gesundheitliches Wohlergehen oder dasjenige ihrer Familien, stellte auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) heraus.

Dass sich in den Zeiten der Corona-Krise die gesellschaftliche Aufmerksamkeit verstärkt auf die in Pflegeberufen Tätigen richtet, befürwortet die Pflegebeauftragte und stellvertretende gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Heike Baehrens. „Pflegekräfte verdienen unseren Respekt und unsere Anerkennung dafür, was sie tagtäglich leisten“, betonte Baehrens anlässlich des internationalen Pflegetages. Sie bekräftigte das Bestreben der Sozialdemokrat*innen, für die in der Pflege Beschäftigten bessere Arbeitskonditionen und tariflich festgelegte Gehälter durchzusetzen sowie überhaupt für mehr Personal in den Krankenhäusern und Pflegeheimen zu sorgen. Mit diesen Zielen stimmen Grüne, Linke, Gewerkschaften und Sozialverbände grundsätzlich überein, kritisieren jedoch das derzeit vom Bundestag diskutierte Konzept zur Stärkung der Pflegekräfte während der Corona-Krise und erheben darüber hinausgehende Forderungen.

DGB und SoVD wollen Pflegeberuf konsequent aufwerten

Die Tätigkeit der Pfleger*innen in dieser schwierigen Situation mehr gesellschaftlich anzuerkennen sei zwar wichtig, das sollte jedoch nach Ansicht des Mitglieds im geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand Anja Piel mit „konkreten Verbesserungen“ verbunden sein. Unabhängig von der aktuell angespannten Lage sei „Pflege immer systemrelevant“, erklärte Piel. Daher bräuchten Pflegekräfte bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen, die denen in anderen Branchen vergleichbar sind. Die im Koalitionsvertrag angekündigte flächendeckende Bezahlung nach Tarif müsse laut Piel jetzt ebenso eingeführt werden wie eine bundeseinheitliche Bemessung des Personals.

Das sieht der Sozialverband Deutschland (SoVD) ebenso. Es sei ein „Armutszeugnis“, wenn viele erst in der Krise bemerkten, welcher „entscheidende Stellenwert“ der Pflege innerhalb der Gesellschaft zukomme, urteilte SoVD-Präsident Adolf Bauer. Die neuerdings sichtbare öffentliche Solidarisierung mit dem Pflegepersonal in Kliniken und Altenheimen dürfe nun nicht verblassen, mahnte Bauer, sondern sollte dazu führen, den Pflegeberuf konsequent aufzuwerten.

Kritik an eingeschränkter Krisen-Prämie für Altenpfleger*innen

An dem Pflegekräften in einem Gesetzentwurf der Koalition (Drs. 19/18967) in Aussicht gestellten Krisen-Bonus in Höhe von 1.500 Euro beanstanden Grüne und Linke, aber auch Politiker*innen aus den Reihen der SPD, dass der Einmalzuschuss nur an Pfleger*innen in Altenheimen vergeben werden soll. Die Vize-Vorsitzende des SPD-Landesverbandes von Nordrhein-Westfalen Lisa-Kristin Kapteinat wandte sich gegen das im Entwurf angelegte Aufspalten der Pflegebeschäftigten je nach Arbeitsfeld und setzte sich wie die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di dafür ein, dass die vorgeschlagene Prämie an alle in der Kranken-, Alten- und Kinderkrankenpflege Tätigen gezahlt wird.

Laut der Koalitionsvorlage sollen Pflegeeinrichtungen ihren Angestellten gestaffelte, von den Kranken- und Pflegeversicherungen zu erstattende Sonderprämien in Höhe von bis zu 1.000 Euro zahlen, welche Länder und Arbeitgeber*innen um weitere, steuer- und sozialabgabefreie 500 Euro aufstocken können. Ab Juli dieses Jahres wollen die Bundesministerien für Gesundheit und Finanzen miteinander vereinbaren, inwieweit der Bund die gesetzlichen Versicherungen bezuschussen wird, um die Beitragssätze zu stabilisieren. Bundessozialminister Hubertus Heil erklärte demgegenüber in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung, dass es das Ziel der Initiative sei, allen Pflegekräften ungeachtet ihres Einsatzbereiches zeitnah einen Bonus für die in der Krise geleistete Arbeit zu zahlen.

Grüne: Gerechte Gehälter und Mitsprache für Pflegekräfte

Die Grünen-Bundestagsfraktion wertet den im Koalitionsentwurf vorgeschlagenen Bonus für Altenpflegekräfte als „Signal in die richtige Richtung“. Mit einem eigenen Antrag, über den das Parlament am 13. Mai debattieren wird, möchten die Grünen professionelle Pflegekräfte „wertschätzen und entlasten“, nicht nur während der Krise. Demnach fordern sie eine Prämie für alle im Gesundheits- und Pflegewesen Beschäftigten, die während der Corona-Epidemie besondere Risiken zu tragen haben.

Neben weiteren auf die Krise bezogenen Maßnahmen, wie ausreichende Schutzanzüge, eine Rücknahme der durch die Regierung per Gesetz ermöglichten Ausweitung von Arbeitszeiten und Kriseninterventionen bei akut auftretenden Fällen, will auch die Grünen-Fraktion eine grundlegende Aufwertung des Pflegeberufs erreichen. Dazu sind aus ihrer Sicht tarifrechtlich gebundene Löhne und eine am tatsächlichen Bedarf orientierte Bemessung des Personals erforderlich. Außerdem sollen Pflegekräfte in höherem Maße eigenverantwortlich arbeiten und mehr Mitspracherechte im Gesundheitswesen erhalten.

Linke: Pflegebetrieb solide und solidarisch mit Geldmitteln ausstatten

Das wochenlange „Gezerre“ um den Einmal-Bonus für Altenpfleger*Innen nannte die pflegepolitische Sprecherin der Linksfraktion Pia Zimmermann ebenso wie der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion von NRW Mehrdad Mostofizadeh „unwürdig“. Es sei eine unkomplizierte und solidarische Lösung erforderlich, so dass die Beschäftigten die Summe rasch erhielten und die zusätzlichen Kosten nicht zulasten der Pflegebedürftigen bzw. der BeitragszahlerInnen von Pflegeversicherungen gingen, unterstrich Zimmermann.

Allgemein sieht die Linken-Sprecherin die Bundesregierung in der Pflicht, Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen „massiv zu stärken“ und ihren Beruf „spürbar aufzuwerten“. Dazu sei der gesamte Pflegebetrieb solide und fair zu finanzieren. Die Änderung des Arbeitszeitgesetzes bezeichnete Zimmermann als „unsolidarisch“. Pfleger*innen einen 12-Stunden-Dienst zuzumuten bedeute, die Lasten in der Krise ungerecht auf die ohnehin am meisten beanspruchten Erwerbstätigen abzuwälzen. Die Landes-Grünen von NRW schlagen eine über Steuergelder finanzierte Krisen-Prämie vor, außerdem insgesamt verlässliche, mit dem Familienleben zu vereinbarende Arbeitszeiten sowie dezentrale Strukturen zur Versorgung der Pflegebedürftigen im häuslichen Umfeld.

Pfleger*innen zählen trotz ihrer hohen Bedeutung für ein funktionierendes Gesellschaftsleben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) neben Fachkräften im Lebensmittelhandel zu den am niedrigsten entlohnten Erwerbsgruppen. Häufige Schichtwechsel, Nacht- und Wochenenddienste gehören bei Pflegekräften zur Tagesordnung. Der Frauenanteil in Pflegeberufen betrug laut Destatis 2018 84 Prozent. Eine im Februar veröffentlichte Studie der Universität Bremen veranschlagt den zusätzlichen Personalbedarf in Pflegeeinrichtungen für das laufende Jahr auf ca. 120.000 Vollzeitkräfte, bis 2020 wird der Mangel an Beschäftigten nach den Berechnungen der Forscher*innen auf 185.000 Pfleger*innen ansteigen.

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