PROGRAMM DER EU-RATSPRÄSIDENTSCHAFT : Politik der Gleichstellung soll zu einem gerechteren Europa beitragen

30. Juni 2020 // Ulrike Günther

Die Corona-Krise hat andere Fragen zeitweilig aus dem Blickfeld der Politik verdrängt. Daher hat die Koalitionsregierung die Reaktion Europas auf die Pandemie in den Mittelpunkt ihres Programms zum EU-Ratsvorsitz gerückt. Doch auch ein gerechtes Europa zu gestalten und Fortschritte bei der Gleichberechtigung zu erreichen hat sie sich zum Ziel gesetzt. Die SPD möchte Frauen in Führungspositionen stärken, der Deutsche Frauenrat fordert, die EU-Strategie für Gleichstellung finanziell abzusichern.

Gleichberechtigung verwirklichen. - Bild:  Pixabay / Gerd Altmann
Gleichberechtigung verwirklichen. - Bild: Pixabay / Gerd Altmann

zwd Berlin. Gleichstellung ist ein thematischer Schwerpunkt auf der heute (30. Juni) veröffentlichten Agenda der bundesdeutschen EU-Ratspräsidentschaft. Zwar bilden die Sorge um einen wirksamen Schutz der Gesundheit und das Erfordernis, die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Krise zu bewältigen, die Vorsorge zu verbessern und digitale Strukturen auszubauen, laut dem Programm die zentralen Aufgaben, denen sich die Koalitionsregierung ab dem 01. Juli widmen möchte. Aber die Regierung hat sich ebenfalls vorgenommen, in und nach der Krise den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und auch längerfristig ein gerechteres Europa zu schaffen. Dazu gehört den Plänen gemäß, die Gleichstellung von Männern und Frauen weiter zu verwirklichen. Die Bundesrepublik tritt den sechsmonatigen Vorsitz im Europäischen Rat turnusmäßig im Rahmen der Trio-Ratspräsidentschaft, unterstützt von Portugal und Slowenien an. die in den darauffolgenden Halbjahren das Amt übernehmen werden.

Gleiche Löhne und Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt

Die Regierung ist der Ansicht, dass eine institutionell aufgewertete, umfassende Politik der Gleichberechtigung zum europäischen Zusammenhalt beitragen kann. An erster Stelle gelte es, das Gebot des gleichen Lohns für gleiche Arbeit umzusetzen, heißt es in dem Programm. Übereinstimmend mit Leitlinien der neuen, von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (EPP) im März vorgestellten EU-Gleichstellungsstrategie (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) wird sich die Regierung für gleichberechtigte Teilhabe von weiblichen Erwerbstätigen auf dem Arbeitsmarkt und für den Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt zu engagieren.

Für die Gleichstellung von Frauen im Berufsleben sieht es die Regierung als erforderlich an, dass beide Geschlechter in ganz Europa die Lasten von Erwerbs- und Pflegearbeit partnerschaftlich tragen. Mit sog. Ratsschlussfolgerungen, für die Politik der EU richtungsweisenden Entscheidungen des Europäischen Rates, beabsichtigt die Regierung daher, „ein politisches Zeichen zur Unterstützung“ von gleichberechtigter Sorgearbeit zu setzen. Ungünstige soziale wie wirtschaftliche Folgen der Pandemie auf Frauen plant die Regierung nach eigenen Angaben abzumildern und Frauen dabei zu helfen, sich eigenständig ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Mehr Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt

Um den Schutz von Frauen vor Gewalt auch in Krisen zu verbessern, wird die Regierung dem Programm zufolge darauf hinwirken, dass die Europäische Union sowie alle ihre Mitgliedsstaaten die Istanbul-Konvention zur Verhütung und zum Kampf gegen häusliche Gewalt ratifizieren. Darüber hinaus will die Regierung den europaweiten Zugang von gewaltbetroffenen Frauen zu Hilfsstrukturen und Beratungsangeboten ausbauen. Weiterhin ist ein informelles Treffen der Gleichstellungsminister*innen geplant, bei dem die EU-Mitgliedsländer intensiver in Austausch über die Praxis der Gleichberechtigung miteinander treten.

Außerdem ist die Regierung nach eigenen Aussagen bestrebt, während ihres EU-Ratsvorsitzes die Gleichstellung von Frauen auf dem Kultursektor zu fördern. Zu diesem Zweck wird sie gleiche Chancen von Frauen verwirklichen helfen sowie ihre Teilhabe an kreativen Schaffensprozessen erhöhen. Um die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Rolle von Frauen weltweit zu stärken, will die Koalitionsregierung die EU-Kommission (EK) dabei unterstützen, den neuen Aktionsplan zur Gleichstellung (Gender Action Plan III) auf den Weg zu bringen, und auch zu diesem Thema Ratsschlussfolgerungen erarbeiten.

SPD setzt sich für Frauen in Führungspositionen ein

Die SPD-Bundestagsfraktion, die wie die Regierung die Gleichstellungsstrategie der EK befürwortet, trägt die im Programm der EU-Ratspräsidentschaft dargelegten gleichstellungspolitischen Ziele mit. Die Sozialdemokrat*innen heben in einer ebenfalls am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme zur Agenda hervor, dass sie sich zusammen mit den SPD-geführten Ressorts während der Zeit des bundesdeutschen EU-Ratsvorsitzes für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzen werden.

Dabei nennen sie neben dem im Arbeitsplan der Regierung aufgelisteten Streben nach Entgeltgleichheit und dem Kampf gegen geschlechtsbezogene Gewalt als weitere Aufgaben, Gender Budgeting (gendergerechtes Management von Finanzen) durchzuführen und die Position von Frauen in Führungsriegen zu stärken. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung war das Ziel, mehr Frauen in die Führungsetagen zu bringen, in einem Entwurf des Programms noch eingeklammert enthalten. Wie die Zeitung mitteilt, stritten die SPD- und unionsgeführten Ministerien über diese Passage. Trotz des von den SPD-Politiker*Innen vorgebrachten Arguments, dass es sich um eine wichtige Forderung aus der EU-Strategie von der Leyens handle, konnten sie sich gegen den Widerstand des Koalitionspartners nicht durchsetzen. Diese Frage solle nicht auf der Ebene der europäischen Politik behandelt werden, lautete der Tenor vonseiten der Union, der Absatz wurde gestrichen.

DF fordert Gender Budgeting und Folgenabschätzung bei allen Vorhaben

Der Deutsche Frauenrat (DF) beurteilt die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Zeit der Krise als „wichtiger denn je“. Die Pandemie mache die geschlechtsbezogenen Ungleichheiten besonders deutlich sichtbar, erklärte die DF-Vorsitzende Mona Küppers vor dem Beginn der bundesdeutschen EU-Ratspräsidentschaft. Daher müsse die Bundesregierung die EU-Gleichstellungsstrategie vorantreiben und vor allem finanziell vor Krisenfällen absichern. Voraussetzung dafür sei es, dass Frauen tatsächlich die Hälfte der Fördermittel zugutekommen, so die DF-Vorsitzende. Aus ihrer Sicht hat der „Fair Share“ (engl. für „gerechter Anteil“) zentrale Bedeutung bei der Frage, ob sich das Zusammenleben der Menschen nach der COVID-19-Pandemie, Wirtschaft und weltweite Beziehungen „sozialer, friedlicher und umweltfreundlicher“ gestalten werden.

Konkret drängt auch der DF darauf, dass die EU alle zum Überwinden der Krise aufgelegten Konjunkturpakete, wie das 750 Milliarden schwere „Next Generation Europe“-Programm und eine aktualisierte Fassung des Mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2021 bis 2027, einem konsequenten Gender Budgeting unterzieht. Ebenso seien nach Auffassung des DF die Maßnahmen zum Umsetzen des von der EU-Kommission entworfenen „Green Deal“ für eine umwelt- und klimaschonende EU-Wirtschaft sowie die Schritte zur Förderung des digitalen Wandels hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Folgen zu überprüfen und in der Art anzupassen, dass sie die Gleichstellung der Geschlechter angemessen berücksichtigen.

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