DEBATTE CORONA-EPIDEMIE : Rechte von Kindern im Fokus: Mehr Schutz und Teilhabe für die Jüngsten gefordert

15. Mai 2020 // Ulrike Günther

Homeschooling, eingeschränkte Kontakte, gesperrte Spielplätze: Die Schutzmaßnahmen in der Krise machen vielen Kindern das Leben schwer. Die Politik sollte gerade jetzt ihre Sorgen und Bedürfnisse verstärkt in den Blick nehmen, darüber sind sich fast alle Fraktionen des Bundestages einig. In der Debatte am 14. Mai haben sie gefordert, das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt zu rücken.

Kinder brauchen Spiel und Erholung - Bild: Pixnio
Kinder brauchen Spiel und Erholung - Bild: Pixnio

zwd Berlin. Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und die Linke brachten am Donnerstag Anträge (Drs. 19/19146, 19/19145) in den Bundestag ein, mit denen sie die politische Aufmerksamkeit auf die Interessen und Belange der jüngsten Mitglieder der Gesellschaft lenken wollen. Darin machen sie deutlich, in welchem Maße Kinder und Jugendliche von den verhängten Kontaktsperren und anderen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Epidemie betroffen sind.

Vielen von ihnen fehlen Schulalltag und Kitabetreuung, der Austausch mit Freund*innen, Bewegung und Freizeitangebote. Trotzdem hat die Politik nach Ansicht der Grünen und Linksfraktion in den vorausgegangenen Wochen ihre Bedürfnisse und Probleme weitgehend vernachlässigt. Stattdessen bräuchten die Kinder und Jugendlichen den Schutz und die Hilfe der Politiker*innen, ihre Rechte seien auch in der Krise so gut wie möglich zu gewährleisten.

Die Koalition will Kinder verstärkt in den Blick nehmen

Gegenüber der von Grünen und Linken, doch auch vonseiten der Liberalen geäußerten Kritik räumten die Vertreter*innen der Koalition ein, Gesellschaft und Öffentlichkeit hätten das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen, die Frage, wie sie die Corona-bedingten Einschränkungen ihres Alltagslebens bewerkstelligen, zu wenig beachtet. Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion Nadine Schön appellierte an die Politik, bei der angestrebten Rückkehr zu den normalen Abläufen die „Kinder besser in den Blick (zu) nehmen“.

Sie lobte die während der Epidemie von der Regierung weiter funktionsfähig betriebenen Hilfetelefone gegen Gewalt, welche den Familien bei eskalierenden Spannungen zur Seite gestanden hätten. Bei der Notbetreuung, die jetzt erweitert wird, müssten nach Schöns Auffassung soziale wie pädagogische Aspekte eine größere Rolle spielen, und sie sei kindgerecht zu gestalten. In den Schulen sollte es ihrer Meinung nach mit dem Neustart des Unterrichtsbetriebs nicht nur um das Aufholen von verpasstem Schulstoff gehen. Vielmehr müsse es möglich sein, „mit den Kindern diese Krisenzeit aufzuarbeiten“, ihre Erfahrungen und Erlebnisse gemeinsam zu reflektieren. Einen Schwerpunkt legte die Unionsvize darauf, das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben im Land wieder in einer Weise zu aktivieren, die Kindern eine sichere Zukunft garantiert.

SPD: Kindergrundsicherung soll soziale Benachteiligung eindämmen

Die Kinderbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion Susann Rüthrich betonte in der Debatte das Ziel der Bundes- und Länderregierungen sowie des Parlamentes, die Kinderrechte weiter zu stärken und „auf Augenhöhe“ mit den anderen Grundrechten im Grundgesetz zu verankern. In der Krise möchte Rüthrich den mit Fragen von Gesundheit, Erziehung und Psychologie von Kindern betrauten Fachkräften, aber auch den Kindern selbst mehr Gehör verschaffen. Die Ratgeber*innen im Prozess des Aushandelns der richtigen Maßnahmen sollten laut Rüthrich „ein Spiegel für die ganze Vielfalt der Gesellschaft“ sein.

Die kinderpolitische Sprecherin der Sozialdemokrat*innen wies auf die in Zeiten des Homeschoolings stärker spürbaren ungerechten Lebensverhältnisse hin. Soziale Benachteiligung dürfe nicht zu Bildungsarmut führen. Daher warb die SPD-Politikerin für das Konzept der Kindergrundsicherung, das Kinderarmut überwinden helfen und mehr Teilhabe von Minderjährigen erleichtern soll. Darüber hinaus sei bei den jetzt entworfenen Programmen dafür zu sorgen, dass Kinder mit besonderem Hilfe- und Förderbedarf darin „gleichwertig vorkommen“. Außerdem sei aus Sicht der SPD der für Kinder wichtige Bereich der Freizeitangebote zu berücksichtigen, ebenso wie Schutz der Kinder und Jugendlichen vor häuslicher Gewalt und vor sexualisierten Übergriffen im Internet. Rüthrich kritisierte das Missverhältnis der von der Regierung gesetzten Prioritäten, welche über wirtschaftlich nötige Einreisen von Erntehelfer*innen verhandelt, nicht aber die auf griechischen Inseln unter dürftigen Bedingungen ausharrenden Flüchtlingskinder aufgenommen habe.

Grüne fordern kindgerecht gestalteten Alltag

Die familienpolitische Sprecherin der Grünen Katja Dörner mahnte insbesondere an, dass Bundesregierung und Familienministerium die Rechte und Sichtweise von Kindern vorrangig berücksichtigen sollten. Dörner rief die Regierung dazu auf, sich gegen die während der Epidemie teilweise verschärfte Gewalt gegen Kinder zu engagieren. Die Grünen-Sprecherin setzte sich auch für eine Herangehensweise ein, die den Alltag von Kindern während der Krise und bei gewahrter Gesundheitsfürsorge „möglichst kindgerecht“ gestaltet, z.B. durch selbstorganisiertes, wechselseitiges Betreuen von Kindern durch mehrere Familien.

Um Eltern und Kinder zu entlasten, schlagen die Grünen einerseits vor, die Freizeit- und Betreuungsangebote für Kinder auszuweiten, andererseits ein Corona-Elterngeld und einen Anspruch auf Teilzeitarbeit einzuführen, um die Familien finanziell abzusichern. Vor allem Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf seien laut Grünen-Sprecherin Dörner in der Krise auf die Unterstützung von Integrationshelfer*Innen angewiesen, deren Arbeit vor Ort weiterhin zu gewährleisten sei. Dem Grünen-Antrag gemäß sollten wegfallende Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket und steigende Kosten durch einen monatlichen, automatisch an anspruchsberechtigte Kinder zu zahlenden Zuschlag von 60 Euro ausgeglichen werden. Ein „Gerechtigkeitspaket“ soll nach dem Willen der Grünen Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien durch zusätzliche Lernförderung, Sozialarbeit und Freizeitangebote faire Bildungschancen und umfassende Teilhabe ermöglichen. Digitales Lernen sollte nach Auffassung der Grünen für alle Kinder gleichermaßen zugänglich sein und dafür Geräte wie technische Beratung zur Verfügung gestellt werden.

FDP macht sich für gerechte Bildungschancen von Kindern stark

Der Vorsitzende der Kinderkommission Matthias Seestern-Pauly (FDP) bekräftigte das Bestreben der Liberalen, durch pragmatische, in den Regionen ansetzende Maßnahmen allen Kindern alle Chancen zu ermöglichen. Seestern-Pauly hob das Recht der Kinder auf gerechte Bildung hervor, welche durch den von der FDP vorgelegten Plan zur zügigen Kita-Öffnung gefördert worden sei. Weitere Rechte von Kindern, wie das auf Spiel und Freizeit, auf Mitsprache und Schutz seien durch die Corona-Maßnahmen ebenfalls massiv eingeschränkt.

Daher müsse man Seestern-Pauly zufolge immer wieder prüfen, ob die gegenüber Kindern zum Zweck des Gesundheitsschutzes eingesetzten Mittel verhältnismäßig sind. In diesem Zusammenhang begrüßte er die von allen demokratischen Fraktionen in der Kinderkommission in der vorigen Woche unterzeichnete Erklärung, die Bedürfnisse und die von der UN-Kinderrechtskommission bestätigten Rechte von Minderjährigen auch während der Corona-Epidemie im Blick zu behalten. Konkret forderte der kinderpolitische Sprecher der Liberalen digitales Lernen und gerechte Bildungschancen für alle Kinder unabhängig von der Herkunft und eine unbürokratisch auszugestaltende Corona-Elternzeit mit einem gesetzlichen Anspruch auf Arbeitszeitverkürzung.

Linke: Neue Strategie soll Interessen von Kindern Gehör verschaffen

Wie der FDP-Abgeordnete Seestern-Pauly zog der kinderpolitische Sprecher der Linksfraktion Norbert Müller in Zweifel, ob das Ausmaß der umfassenden, auf die Kontakte und Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen bezogenen Reglementierungen verhältnismäßig seien. Für die den Schutzvorkehrungen zugrundeliegende Annahme, Kinder seien Hauptüberträger*Innen der Erkrankung, gebe es keine hinreichenden wissenschaftlichen Belege. Müller warf den Regierungen von Bund und Ländern eine „Politik der Ignoranz“ gegenüber den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen vor.

Nach Ansicht des Linken-Sprechers dürfe es nicht sein, dass bei den allmählich vorgenommenen Lockerungen „Kinder mit ihren Interessen“ immer zuletzt berücksichtigt werden. Müller monierte, dass man Kinder in der öffentlich geführten Debatte in erster Linie als Infektionsgefahr ansähe, dass familiäre Sorgearbeit z.T. geringschätzig bewertet würde und überhaupt die Interessen von Minderjährigen im allgemeinen Diskurs kaum vorkämen. Daher forderte der Linken-Sprecher eine „neue Strategie“, welche die Kinder ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt Dazu sollte dem Linken-Antrag zufolge im Bundeskanzleramt ein „Kindergipfel“ stattfinden,auf dem Kinder und Jugendliche ebenso wie die Familienminister*Innen der Länder und Fachkräfte aus Kinderforschung, Kinderschutzverbänden und Jugendhilfe zu Wort kommen sollen. Das Ziel einer solchen Versammlung wäre es, Rechte und gesellschaftliche Teilhabe von Kindern während der Corona-Krise sicherzustellen sowie finanzielle Hilfen zur Eindämmung der ungünstigen Folgen von Schutzmaßnahmen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit zu gewähren.

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