STUDIE BERTELSMANN STIFTUNG : Rückfall in traditionelle Rollen? – Frauen leiden unter der Krise

7. Dezember 2020 // Ulrike Günther

Mehr als zwei Drittel der Frauen erledigen in der Corona-Krise die Arbeiten im Haushalt allein, mehr als die Hälfte kümmert sich um Home-Schooling und Kinderbetreuung, viele geraten an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Eine neue Umfrage der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass die Rollen überwiegend traditionell verteilt sind. Die Grünen fordern daher eine „Care-Revolution“ für gerechtere Aufteilung der Sorgearbeit.

Viele Frauen tragen in der Krise die Hauptlast der Familienarbeit. - Bild: Pxfuel
Viele Frauen tragen in der Krise die Hauptlast der Familienarbeit. - Bild: Pxfuel

zwd Berlin/ Gütersloh. Aus der am Donnerstag (03. Dezember) veröffentlichten repräsentativen Studie der Bertelsmann Stiftung geht hervor, dass der größte Teil der Aufgaben in Haus und Familie während der Pandemie auf den Frauen lastet. Demnach gaben 69 Prozent der befragten Frauen an, die allgemeine Hausarbeit überwiegend allein zu übernehmen, bei den Männern waren es nur 11 Prozent. Auch bei den in Folge der Kontaktsperren und Schulschließungen zusätzlich anfallenden Tätigkeiten, wie Home-Schooling und Betreuen der Kinder, scheinen sich vielfach die traditionellen Rollenbilder durchzusetzen:

51 Prozent der Frauen erklärten, dass sie ihre schulpflichtigen Kinder meistens selber betreuen, sie unterrichten und beim Lernen für die Schule unterstützen. Von den Männern behaupteten das bloß 15 Prozent. Zwei Drittel (66 Prozent) der weiblichen Teilnehmer*innen der Befragung koordinierten nach eigenen Aussagen auch die Termine ihrer Kinder und widmeten sich den klassischen Tätigkeiten im Haushalt (62 Prozent), wie dem Zubereiten der Mahlzeiten, gegenüber weniger als einem Fünftel der männlichen Befragten (18 bis 14 Prozent). Das Marktforschungsunternehmen Ipsos befragte im Auftrag der Bertelsmann Stiftung im Mai über ein Online-Panel 1.060 Personen (537 weiblich, 523 männlich) im Alter von 16 bis 75 Jahren.

Die Hälfte der Frauen leidet unter den Belastungen der Krise

Die Umfrage der Bertelsmann Stiftung lässt auch eine auffällige Diskrepanz in der Art erkennen, wie Frauen und Männer die mit den Einschränkungen in der Krise einhergehenden Belastungen wahrnehmen. Viele Männer sehen zwar ein, dass Frauen viele der aufgeführten Arbeiten erledigen. Dennoch sind 66 Prozent laut der Studie der Ansicht, die Aufgaben in Haushalt und Kindererziehung seien gerecht verteilt. Die Frauen hingegen schätzen die Situation anders ein. Über zwei Fünftel (43 Prozent) äußerten, dass es ihnen in der Krise schwerer falle als sonst, Beruf und Familie zu vereinbaren (Männer: 32 Prozent), da die meisten Lasten der Familienarbeit auf sie zurückfielen.

Der Studie zufolge leidet fast die Hälfte aller weiblichen Befragten (49 Prozent) nach eigenen Angaben unter der aktuellen Lage, so dass sie an die Grenzen ihrer körperlichen und/ oder emotionalen Belastbarkeit geraten. Demgegenüber sind lediglich 30 Prozent der Männer in der Krise einem hohen Stress ausgesetzt. Doch auch vor der Epidemie waren die Rollen in Haushalt und Familie nach Auffassung der Hälfte der Frauen ungleich aufgeteilt, von den Männern bewerteten 39 Prozent das Verhältnis der Partner*innen hinsichtlich der jeweils geleisteten Anteile an den Arbeiten ähnlich.

Grüne fordern faire Aufteilung von Haus- und Sorgearbeit

Die Grünen-Bundestagsfraktion fordert angesichts der Datenlage eine „Care-Revolution“: „Sorge- und Hausarbeit zwischen den Geschlechtern fair aufzuteilen, ist eine Frage der Gerechtigkeit“, hob die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Ulle Schauws in einer Stellungnahme zur Studie hervor. Die Forschung habe ergeben, dass die partnerschaftliche Beziehung durch mehr als zwei Partnermonate mit Elterngeldbezug für die Väter gestärkt werde.

Schauws warb für das grüne Modell der KinderZeit Plus, die es beiden Elternteilen ermöglichen soll, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen und über mehr Partnermonate die Arbeiten in der Familie gerechter aufzuteilen. Das Einführen einer flexiblen Vollzeitarbeit, bei der Eltern 30 bis 40 Stunden wöchentlich arbeiten könnten, würde aus Sicht der Grünen Familien und Frauen entlasten.

Studie: Rollenmuster vor der Krise noch nicht aufgebrochen

49 Prozent der weiblichen Umfrage-Teilnehmer*innen zweifeln sogar daran, dass sich nach der Krise die Verteilung der Aufgaben wieder gerechter gestaltet. Stattdessen befürchten sie, dass sie künftig wieder den größeren Teil der Familienarbeit zu tragen haben und dadurch auch berufliche Aktivitäten einschränken müssen werden. Das Forscherteam urteilt, die Krise habe weniger eine Rückwendung zu alten Rollenmustern bewirkt, als die bisher kaum aufgebrochene Rollenverteilung zwischen Partner*innen in der Bundesrepublik zutage gefördert. Traditionell als weiblich geltende Arbeiten, die in gewöhnlichen Zeiten verschiedene Dienstleister*innen, Kitas oder Großeltern ausführen, würden „scheinbar selbstverständlich wieder den Frauen“ zufallen.

Stiftung schlägt breiten gesellschaftlichen Diskurs vor

Die Projekt-Managerin im Kompetenzzentrum Unternehmenskultur der Bertelsmann Stiftung Barbara von Würzen forderte daher, dass Frauen und Männer sich mit ihren Rollen in Beruf- und Privatleben auseinandersetzen und gemeinsam die Verteilung der Aufgaben mit Rücksicht auf die Partnerin/ den Partner aushandeln sollten. Der Fachmann der Bertelsmann Stiftung für Führungskultur Martin Spilker empfiehlt außerdem einen „interdisziplinären gesellschaftlichen Diskurs( ) über die Vor- und Nachteile einer modernen Arbeitswelt“. Erwerbspolitik, Familien- sowie Gesundheitspolitik könne man nicht mehr gesondert betrachten.

Spilker hält es für wichtig, dass die Organisationen Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf breiterer Grundlage diskutieren und an Tendenzen auf dem Arbeitsmarkt anpassen sollten. um sie zu einer „ganzheitlichen Personalentwicklungsstrategie“ auszubauen. Er warnte jedoch davor, dass verstärkt einzusetzende zu verstärkende flexiblere Arbeitsformen zwar verstärkt einzusetzen seien, aber nicht auf Kosten der persönlichen Work-Life-Balance gehen dürften. Sonst drohte eine Abwärtsspirale mit steigenden Belastungen, geringeren Leistungen und höheren Krankenständen.

Artikel als E-Mail versenden