BUNDESTAGS-AUSSCHUSS: ANHÖRUNG NS-RAUBKUNST : Rückgabe-Reform: Erwartungen auf Kultur-MK gerichtet

12. März 2024 // Ulrike Günther

Reform der Beratenden Kommission, einseitige Anrufung, verstärkte Provenienzforschung finden als Ziele für NS-Raubgut-Restitution im Kulturausschuss mehrheitlich Konsens, die Kultur-Ministerkonferenz soll den Durchbruch bringen. Parallel könnte man laut Fachleuten ein Rückgabe-Gesetz entwickeln, besonders für Privatbesitz. Die SPD wirbt wie die Claims Conference dafür, Opfer-Interessen ins Zentrum zu rücken.

Lovis Corinth: Römische Campagna (1914), an Nachfahren des Besitzers restituiert.  -  Bild:  Wikimedia
Lovis Corinth: Römische Campagna (1914), an Nachfahren des Besitzers restituiert. - Bild: Wikimedia

zwd Berlin. Fachleute und Politiker:innen stimmten in der Sitzung des Bundestags-Kulturausschusses am Montag überwiegend überein, dass man die Beratende Kommission zur Restitution von NS-Raubgut reformieren sollte. Insbesondere zeigten sie sich überzeugt, es sei sinnvoll, eine bloß von einer Konfliktpartei eingeleitete Anrufung des Gremiums zu ermöglichen. Eine „Qualifizierung der Beratenden Kommission mit der einseitigen Anhörung“, unabhängig von den finanziellen Verhältnissen „derer, die ein Anrecht haben“, müsse beim kulturpolitischen Spitzengespräch am 13. März „auf jeden Fall ein Ergebnis sein“, resümierte die Ausschuss-Vorsitzende Katrin Budde (SPD) die von der Mehrheit der Abgeordneten wie geladenen Sachverständigen geäußerten Erwartungen. Ebenso müsse es „mehr Möglichkeiten zur Provenienzforschung“ geben, aufseiten der Museen und durch die Beratende Kommission. Restitution von NS-Raubkunst in Privatbesitz sei „nur durch ein Gesetz zu regeln“.

SPD: Betroffenen soll Gerechtigkeit widerfahren

Der Sprecher für Kulturpolitik der SPD-Bundestagsfraktion Helge Lindh betonte in seinem Eingangs-Statement als für die Raubkunst-Debatte leitende Frage, wie Opfer des NS-Regimes „Gerechtigkeit erfahren“. Lindh unterstützte die Kritik der Jewish Claims Conference (JCC) an der bisherigen Restitutions-Praxis. In ihrer Stellungnahme hatte die Organisation für Entschädigungsansprüche jüdischer NS-Opfer konstatiert, der Vorsatz, die Washingtoner Prinzipien auf der Grundlage einer „unverbindlichen Selbstverpflichtung“ zu verwirklichen, führe „nicht zu zufriedenstellenden Lösungen“. Der SPD-Politiker monierte, im Bemühen um Rückgaben von NS-Raubgut habe man die „Interessen der Opfer“ gegenüber anderen, u.a. Organisation, Entschädigungen, Museen betreffenden Schwerpunkten, vernachlässigt. Stattdessen solle es das Ziel sein, „die Betroffenen (…) in den Mittelpunkt zu stellen“. Damit befindet sich Lindh in einer Linie mit den am 05. März in Washington vorgestellten „Best Practices“, welche die vor 25 Jahren von 44 Staaten vereinbarten Grundsätze zur Restitution von NS-Raubkunst zugunsten der Opfer und ihrer Nachfahren erweitern.

JCC: Restitutionsgesetz würde Antragsteller:innen stärken

Für ein von SPD, Grünen, Linken und auch Beratender Kommission (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) angestrebtes, umfassendes Rückgabegesetz sprachen sich in der Anhörung der Jurist Dr. Christoph Partsch und der deutsche Vertreter der JCC Rüdiger Mahlo aus. Laut Kulturstaatsministerin Claudia Roth (BKM, Die Grünen) würden Betroffene mit Restitutions-Ansprüchen heute in der Bundesrepublik als Bittsteller:innen angesehen, hob Mahlo hervor. Ein Gesetz „würde die Position der Antragsteller stärken“. Im Kontext der Aufarbeitung von NS-Unrecht sei das „ein völlig normaler Prozess“, für alle anderen Formen – bis auf die Raubkunst - gebe es bereits Spezialgesetze. Aus Sicht beider Fachleute sind Kommission und Restitutionsgesetz nicht als Alternativen zu beurteilen, sondern ließen sich in den Worten von Mahlo „sehr gut verbinden“. Eine große, gesetzgeberische Variante für verbesserte Rückgaben müsste nach Auffassung des Juristen Partsch die „problematischen Themen“ im Interesse der Betroffenen regeln, d.h. die Umkehr der Beweislast festlegen, die Verjährungseinrede und die Ersitzung bei Herausgabeansprüchen aufheben.

Schnelle Rückgaben bei Raubgut in öffentlichem Besitz empfohlen

Partsch plädierte besonders dafür, Opfern und ihren Nachkommen einen Anspruch auf Zugang „zu allen restitutionsrelevanten Informationen“ zu gewähren. Als untergesetzliche, administrative Lösungen schlug der Rechtsanwalt angesichts von ca. 25.000 NS-Raubgütern im öffentlichen Besitz vor, „schnellstmöglich in vertiefte Provenienzforschung“ sowie, wo möglich, „in Rückgaben einzutreten“. Um ein rascheres Restitutionstempo zu erreichen und die ca. 70.000, in der Lost Art Datenbank verzeichneten Verdachtsfälle zu erforschen, ist es nach Ansicht von JCC-Vertreter Mahlo erforderlich, die Überlebenden des NS-Regimes und ihre Nachfahren zu ermächtigen, in dem Prozess „proaktiv (…) voranschreiten“ zu können. Darüber hinaus sollte man ein sog. „Labelling“ (engl. Etikettierung) nach dem Willen der JCC für öffentliche Einrichtungen gesetzlich vorschreiben. Dadurch wären sie verpflichtet, die Provenienz aller ausgestellten, zwischen 1933 und 1945 entstandenen oder erworbenen Kulturgüter für Besucher:innen zu kennzeichnen..

SPK: Rückgabe-Gesetz betrifft vor allem Private

Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) Prof. Hermann Parzinger setzte die geringe Anzahl der Kommissions-Empfehlungen zur Menge der von der SPK und anderen Museen eigenverantwortlich, faktisch „geräuschlos“ durchgeführten Restitutionen und Recherchen ins Verhältnis. Die Kultureinrichtungen würden „ihre moralische Verpflichtung“ kennen, unterstrich Parzinger, Provenienzforschung, d.h. „die Geschichte der Werke“ zu rekonstruieren, sei „im Grunde das Zentrale“. Der SPK-Präsident befürwortete, dass die Beratende Kommission in Streitfällen eigene Herkunftsforschung veranlassen können sollte, ohne dass man Museen von dieser „primäre(n) Aufgabe“ entlasten dürfe. Ein Restitutionsgesetz betrifft Parzinger zufolge „in erster Linie Private“, für öffentliche Institutionen würden die – von Partsch genannten - festzuschreibenden Regeln längst gelten. Ein inhaltlich genau abzuwägendes Gesetz, das vermutlich ein zeitaufwendiges Prozedere zu durchlaufen hätte, sei nur parallel zur vorrangigen Reform der Beratenden Kommission zu überdenken.

Der Rechtsanwalt Dr. Ulf Bischof begrüßte ausdrücklich die geplante Stärkung des Gremiums, die außer der einseitigen Anrufung das frühzeitige Einschalten der Kommission und von dieser beauftragte Provenienzforschung beinhalten müsse, als „praktischen und erreichbaren“ Ansatz. Man benötige „schnelle Abhilfe“, da viele der Erb:innen inzwischen hochbetagt seien. Nur wenn sich in der Kultur-MK einzelne Länder dieser Kommissionsreform widersetzen sollten, sei für in öffentlich-staatlichen Einrichtungen befindliches NS-Raubgut ein Gesetz unumgänglich. Für „Raubkunst in Privatbesitz“ hingegen brauche man „ganz zwingend ein Gesetz“, argumentierte auch Bischof, da Konfliktfälle in diesem Bereich nicht anders zu regeln seien.

Problem bei Gesetz: Abzusteckender Rahmen für Restitutionen

Die Leiterin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) Prof.in Marion Ackermann stellte zwar heraus, dass man für Rückgaben von NS-Raubgut eine „absolute Beschleunigung der Vorgänge“ brauche. Wie SPK-Präsident Parzinger legt sie Wert auf eine „proaktive, systematisierte Provenienzforschung“. Aufgrund der Vielzahl zur Regelung von Rückgaben geschaffener Institutionen bevorzugt die SKD-Leiterin es allerdings gegenüber einem neu einzuführenden Gesetz, auf vorhandenen Instrumenten aufzubauen und untergesetzliche Maßnahmen auszuschöpfen. Die renommierte Anwältin für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit NS-Kunstraub Dr. Agnes Peresztegi gab mit Blick auf ein Rückgabegesetz das Problem zu bedenken, wo „die Schwelle angesiedelt“ wäre, ab der man für eine Restitution entscheiden würde, ob man z.B. die „Art der Enteignung“ juristisch in einem so weiten Sinne bestimmt, dass tatsächlich viele Rückgabe-Anträge Aussicht auf Erfolg hätten. Die Juristin wies umgekehrt auch darauf hin, dass man, „wenn ein solches Gesetz richtig geschrieben“ wäre, alle diskutierten Probleme vermeiden könnte.

Digitalisierung der Museumsbestände gefordert

Peresztegi erklärte, es dürfe bei einem Restitutionsgesetz andererseits keine Fristen geben, solange die relevanten Informationen nicht digital verfügbar seien. Außerdem forderte die Rechtsanwältin, ein Gesetz sollte „im Interesse des Restitutionsprozesses“ alle Museen und privaten Einrichtungen verpflichten, „ihre Bestände zu veröffentlichen“, da Anspruchsteller:innen zumeist nicht bekannt wäre, wo ihre Kulturgüter aufbewahrt sind. Wie die Vorsitzende Budde zum Verfahrensverlauf mitteilte, wird der Kultur-Ausschuss, wie mit der Obleute-Runde im Vorfeld besprochen, nach der Anhörung und den fraktionsinternen Auswertungen einen Entschließungsantrag ins Parlament einbringen, damit dieses die Forderungen unterstützt. Die BKM arbeitet nach Angaben ihres Amtschefs Dr. Andreas Görgen gemeinsam mit dem Bundesjustiz- und Bundesfinanzministerium seit Monaten intensiv an den im Koalitionsvertrag anvisierten gesetzlichen Regelungen für verbesserte Rückgaben, d.h. zum Herausgabeanspruch, zur Verjährungseinrede und einem einheitlichen Gerichtsstand, so dass der Bund diese voraussichtlich demnächst in die Ressortabstimmung geben werde.

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