KOMMENTAR DES ZWD-HERAUSGEBERS : Schäbige Sommerloch-Debatte über Kindergeld-Zahlungen

21. August 2018 // Holger H. Lührig

Das „Sommerloch“ ist eine prächtige Zeit für die Journaille, Themen in Szene zu setzen, die sonst kaum eine Schlagzeile wert wären. So geschehen mit der Debatte über Kindergeldzahlungen an EU-Ausländer, die durch eine parlamentarische Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion (Drs. 19/2999) ausgelöst und von Unionspolitikern dankbar aufgegriffen wurde.

Holger H. Lührig
Holger H. Lührig

zwd Berlin. Das Ansinnen der AfD ist ein alter Hut, der schon in der vergangenen Legislaturperiode von CDU/CSU und SPD beerdigt wurde. Nicht zuletzt europapolitische Bedenken aus Brüssel waren dafür verantwortlich. Auch die rechtsnationale österreichische Bundesregierung, die eine Anpassung der Kindergeldzahlung an die Lebenshaltungskosten am ausländischen Wohnort des Kindes erreichen möchte, hat vom deutschen EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) eine Abfuhr kassiert.

Im Juni dieses Jahren hatte der Sozialministerrat der EU einer Änderung der Rechtslage eine klare Absage erteilt. Gleichwohl lieferten auch Politker*innen der Groko Schlagzeilen für die themenarme Zeit: Zuerst verlangte der parlamentarische Geschäftsführer der CSU im Bundestag, Stefan Müller, dass mit dem „zügellosen Kindergeldtransfer ins Ausland Schluss gemacht“ werden müsse. Sodann sahen SPD-Oberbürgermeister wie Sören Link (Duisburg) und Städtetagshauptgeschäftsführer Helmut Dedy kriminelle Schlepperbanden aus Südosteuropa am Werk, die mit dem Versprechen staatlicher Leistungen in die deutschen Städte lockten – und lokalisierten sie in Rumänien und Bulgarien.

Auch FDP-Chef Christian Lindner und SPD-Vorsitzende Andrea Nahles stiegen in die Debatte ein und kündigten an, gegen „Betrügereien rund um das Thema Familien- und Sozialleistungen“ vorgehen zu wollen. Keine Frage: Betrug muss unterbunden werden. Tatsächlich aber geben die Ermittlungen und statistischen Zahlen der Familienkassen von alledem nicht viel her, geschweige denn einen „flächendeckenden Betrug“. Von 138.000 Kindern rumänischer Eltern leben gerade einmal 19.000 nicht in Deutschland, bei den Bulgaren sind es 6.700 von 84.000 Kindern, die in ihrem Heimatland leben. Zwei Drittel der 236.000 ins EU-Ausland fließenden Kindergelder gehen in die Nachbarländer Polen (117.000), Tschechien (21.000) und Frankreich (16.000). 31.000 Kindergeldzahlungen entfallen darüber hinaus auf Kinder von Deutschen, die im Ausland leben. Insgesamt gehen 343 Millionen Euro Kindergeldleistungen auf Konten ins Ausland – im Vergleich zu 35 Milliarden Euro Kindergelder im Inland, mithin weniger als ein Prozent.

In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Kinder von Eltern handelt, die in Deutschland erwerbstätig sind, die Steuern zahlen und dementsprechend auch einen Rechtsanspruch auf Kindergeld haben. Viele der in Deutschland beschäftigten EU-Ausländer schließen Lücken von Fachkräften, ohne die manche Branchen in erhebliche Nöte geraten würden. Sie werden, z.B. in der Pflege, händeringend gebraucht. Diskutiert die CSU demnächst auch darüber, dass die Lebenshaltungskosten in München teurer sind als etwa in Duisburg? Und welche Konsequenzen ergäben sich dann für die Kindergeld- bzw. Familienleistungen? Die Debatte ist scheinheilig und schäbig. Und, wie ein Kommentator einer Berliner Zeitung schrieb: ein Unterstützungsprogramm für die ausländerfeindliche Agitation der Rechtspopulisten.

Artikel als E-Mail versenden