RUNDER TISCH GEMEINSAM GEGEN GEWALT AN FRAUEN : Schutz aller Menschen vor Gewalt: Gremium will Eckpunkte für Rechtsanspruch erarbeiten

10. Juni 2020 // Ulrike Günther

Die Corona-Krise hat an das Hilfesystem zu häuslicher Gewalt erhöhte Anforderungen gestellt. Dabei hat sich aus Sicht von Fachleuten gezeigt, dass viele Angebote bisher nicht genug finanziell abgesichert sind. Vertreter*innen von Bund, Ländern und Kommunen beim Runden Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ möchten daher einen gesetzlichen Anspruch auf Schutz und Beratung einführen, über den sich auch die Finanzfrage neu regeln ließe.

Frauen brauchen wirksamen Schutz vor Gewalt. - Bild:  Pixabay / Tumisu
Frauen brauchen wirksamen Schutz vor Gewalt. - Bild: Pixabay / Tumisu

zwd Berlin. Bei der über eine Videoschaltung abgehaltenen Sitzung am Montag (09. Juni) haben die Beteiligten vereinbart, dass Gewalt gegen Frauen sowie die Frage von Krisenbewältigung und gut organisierten Hilfsstrukturen in allen Ländern im Bundesgebiet ein Hauptthema bilden solle, betonte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) auf der anschließenden Pressekonferenz. Die Mitglieder des Gremiums hatten zuvor auf ihrem Treffen eine Bestandsaufnahme der Hilfsangebote gegen Gewalt an Frauen gemacht und die weiteren Schritte zur Verbesserung des Schutzes von Betroffenen festgelegt.

Gleichstellung und Gewalt gegen Frauen werden nach Aussagen von Giffey bei der EU-Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik ab Juli „wichtige Schwerpunktthemen“ darstellen. Als ein besonderes Anliegen nannte Giffey ihr Vorhaben, das Hilfetelefon „Gegen Gewalt an Frauen“ auch für die anderen europäischen Länder zugänglich zu machen. „Unsere europäischen Partner haben ein großes Interesse an dieser bisher in Europa einzigartigen Hilfetelefon-Ausgestaltung“, hob sie hervor.

Fachleute sehen Anstieg bei der Nachfrage nach Beratung voraus

Obwohl die erwartete Zunahme bei der Nachfrage nach Schutz und Beratung in der Krise bisher ausgeblieben sei, liege die Dunkelziffer von unbekannten Fällen nach Meinung von Expert*innen weitaus höher, erklärte die Familienministerin. Deshalb sehen die Fachleute für die Zeit der voranschreitenden Normalisierung des Lebensalltags eine stärkere Inanspruchnahme der Hilfsangebote für von Gewalt betroffene Frauen voraus. Die Bundesländer sind nach Aussagen von Giffey auf diesen steigenden Bedarf vorbereitet und würden hinreichend viele Plätze in Zufluchtsstätten für bedrohte Frauen zur Verfügung stellen.

Das Hilfetelefon für gewaltbetroffene Frauen konnte laut Giffey die Beratungen vom Beginn der Epidemie an fortsetzen, personell wurde es mit 13 neuen Stellen aufgestockt. Damit bieten über das Telefon zurzeit fast 100 Beraterinnen gefährdeten Frauen rund um die Uhr eine wichtige Unterstützung. Dazu kommen im Hilfesystem gegen Gewalt bundesweit 350 Frauenhäuser sowie Fachberatungsstellen. Die Arbeit von Beschäftigten in diesen Einrichtungen habe in der Krise als systemrelevant eingestuft und dafür gesorgt, dass Angestellte in Frauenhäusern und Beratungsstellen selbst erforderliche Dienste, wie die Kindernotfallbetreuung, in Anspruch nehmen konnten, so die Familienministerin.

Bundesprogramm fördert die Hilfsstrukturen für bedrohte Frauen

Die Initiative „Stärker als Gewalt“ hat nach Aussagen von Giffey während der Krise ihre Bemühungen im Kampf gegen Gewalt noch intensiviert und mit einer Plakat-Aktion, an der bundesweit ca. 26.000 Supermärkte beteiligt sind, auf die Hilfsangebote zur häuslichen Gewalt aufmerksam gemacht und zur Solidarität mit Betroffenen aufgerufen. Für das 2020 gestartete und bis 2023 mit 120 Millionen Euro ausgestattete Bundesinvestitionsprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ haben inzwischen 11 der 16 Bundesländer Verwaltungsvereinbarungen unterzeichnet, welche die Grundsätze zur Finanzierung der baulichen Maßnahmen an Einrichtungen des Hilfssystems für gewaltbetroffene Frauen regeln.

Giffey bezeichnete das auf Bundesebene angesetzte Programm als “in dieser Höhe einmalig in der Geschichte unseres Landes“. Es werde dazu beitragen, „Frauenhäuser und andere Hilfseinrichtungen für gewaltbetroffene Frauen zu stärken und weiterzuentwickeln“. Über 50 Projektanträge sind nach Angaben der SPD-Politikerin bisher beim Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) eingegangen. Die Antragsfristen sind mit Rücksicht auf Anbieter*innen von Hilfs- und Beratungsleistungen, die wegen der Krise die Formalitäten nicht rechtzeitig erfüllen konnten, bis zum 30. Juni bzw. 15. September verlängert.

Gremium will Eckpunkte für Anspruch auf Schutz und Beratung erarbeiten

Vor dem Hintergrund der schwierigen Situation während der Epidemie sei laut der Familienministerin bei der Arbeit des Runden Tisches, der seit 2018 jetzt zum vierten Mal zu einer Sitzung zusammenkam, die Frage in den Mittelpunkt gerückt, wie sich künftig ein Rahmen für eine stabile, auskömmliche Finanzierung der Hilfsstrukturen schaffen ließe. Als möglichen Lösungsansatz sehen die Mitglieder des Runden Tisches eine „bundesgesetzliche Regelung zur Finanzierung des Hilfesystems“ an, die eine einheitliche, langfristig wirksame und verlässliche Grundlage für das Bereitstellen von Fördermitteln liefern würde.

Gesetz soll Rechtssicherheit und bessere Finanzierung gewährleisten

Dem von den Vertreter*innen des Gremiums bestellten Rechtsgutachten des Juristen Prof. Stephan Rixen von der Universität Bayreuth zufolge sind die Finanzfragen bei zahlreichen Frauenhäusern nicht gesichert. Außerdem sei der Zugang zu den Hilfsangeboten für eine Reihe gesellschaftlicher Gruppen nicht geklärt, fasste Giffey einige Ergebnisse des Gutachtens zusammen. Z.B. seien bestimmte EU-Bürger*Innen, Asylsuchende, ebenso Studierende und Azubis bislang vom Anspruch auf die Hilfeleistungen ausgeschlossen. Giffey erkennt eine „große Problematik“ der Hilfsangebote darin, dass es bis jetzt keine einheitlich gültigen Kriterien für den Umgang mit den unterschiedlichen Personengruppen gebe. Stattdessen streben die Mitglieder des Runden Tisches laut Giffey nun ein Gesetz an, das den „individuellen Rechtsanspruch von allen Betroffenen auf Schutz und Beratung“ festschreibe.

„Kein Mensch, keine Frau, kein Kind in unserem Land soll Gewalt ertragen müssen. Und wenn es zu Gewalt kommt, müssen sich die Betroffenen, insbesondere Frauen mit ihren Kindern, darauf verlassen können, dass sie schnell Schutz finden, dass sie fachlich gut beraten werden und Unterstützung bekommen“, unterstrich Giffey die Zielsetzung des Vorhabens. Nach Auffassung der Ministerin besitzt es „wichtige politische Priorität“. Bis zum Frühjahr 2021 sollen die Vertreter*innen des Ausschusses gemeinsam mit den Ländern Eckpunkte einer solchen gesetzlichen Regelung für einen Anspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Menschen entwerfen. Der auf diese Weise zu schaffende „Rechtsrahmen für mehr Rechtssicherheit“ soll darauf ausgerichtet sein, ein bundesweit einheitliches Vorgehen zu gewährleisten.

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