ZU WENIGE PLÄTZE : Situation der Frauenhäuser bundesweit alarmierend

21. August 2018 // Dagmar Schlapeit-Beck

„In mehreren Bundesländern sind seit Wochen keine freien Frauenhausplätze zu bekommen. Betroffene Frauen sind verzweifelt auf der Suche nach einem Schutzplatz. Faktisch herrscht vielerorts Aufnahmestopp!“ Bereits im September 2017 hat sich die bundesweite Frauenhauskoordinierung mit diesem Appell an die Bundestagsfraktionen, die Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz (GFMK) und die kommunalen Spitzenverbände gewandt. Passiert ist seitdem kaum etwas.

zwd Bremerhaven. Die finanzielle Situation und der Platzmangel der 350 Frauenhäuser und 40 Schutzwohnungen sind alarmierend. Die zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) weist darauf hin, dass an einem Stichtag im März 2018 in drei Bundesländern kein einziger freier Frauenhausplatz zu finden war. In Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz als auch in Hessen mussten alle anfragenden Frauen (und deren Kinder) abgewiesen werden. Jede zweite Anfrage auf Aufnahme in einem Frauenhaus muss derzeitig abgelehnt werden, so die bundesweite Frauenhauskoordinierung. Die schlechteste Versorgung besteht in Bayern und Sachsen. In mindestens 125 Landkreisen und kreisfreien Städten existiert überhaupt kein Frauenhaus. Frauen finden keinen Schutz, obwohl sie unmittelbar in Gefahr sind, bedroht durch Schläge oder Vergewaltigungen.

Nicht genügend Frauenhausplätze in Deutschland

„Der Bedarf in Ballungsgebieten ist deutlich höher als im ländlichen Raum“, so Sylvia Haller von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser. Die Situation der Frauenhäuser wird durch den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in den Großstädten und dadurch verlängerten Aufenthaltszeiten sowie die personalintensive Betreuung von Frauen mit Fluchterfahrung und Migrationshintergrund erschwert. Frauen mit Behinderungen, die überproportional von Gewalt betroffen sind, finden so gut wie keine Frauenhausplätze. Lediglich 10 Prozent der Frauenhäuser sind behindertengerecht.

Die niedersächsische Sozialministerin Carola Reimann (SPD) verweist auf die regionalen Unterschiede bei der Auslastung von Frauenhäusern und präferiert eine tagesaktuelle Auslastungsübersicht im Ampelsystem nach nordrhein-westfälischem Vorbild (www.Frauen-Info-Netz.de). Doch welche Hilfe ist das für Frauen, wenn in ganz Süddeutschland kein einziger freier Platz vorhanden ist, wie von der ZIF beschrieben? Reimanns Kritik, dass Frauenhäuser keine Plätze weitervermitteln würden, wird von der ZIF dementiert: „Die Kolleginnen vor Ort können sich in einigen Bundesländern in interne Datenbanken einloggen und geben somit nur Nummern von Frauenhäusern weiter, die in die Datenbank einen freien Platz eingetragen haben. Nur NRW hat bisher eine offene Homepage, auf der freie Plätze eingetragen werden.“

Information via Online-Portale

Die ZIF hält eine Homepage, auf der sich sowohl Betroffene selbst, aber auch Kolleginnen vor Ort oder die Mitarbeiterinnen des bundesweiten Hilfetelefons direkt über freie Plätze informieren können, für absolut sinnvoll und bereitet dafür derzeitig einen Förderantrag an das BMFSFJ vor. Auch Heike Herold, Geschäftsführerin der Frauenhauskoordinierung, befürwortet Online-Portale zum schnellen Auffinden von freien und für die betreffende Frau und ihre Kinder geeigneten Frauenhausplätzen. Allerdings zeigten die Erfahrungen mit vorhandenen Portalen: „Die Zahl der zu vermittelnden Frauenhausplätze reicht einfach nicht. Das Problem ist nicht vorrangig das Finden, sondern das Fehlen von Frauenhausplätzen,“ so Herold.

In den Beschlüssen der 28. GFMK (7./8. Juni 2018) sind jedoch kaum Maßnahmen gegen die akute Platzmisere in den Frauenhäusern und deren Unterfinanzierung zu erkennen. Obwohl Artikel 22 und 23 der Istanbul-Konvention die Zugänglichkeit von spezialisierten Hilfsdiensten und Schutzunterkünften für alle Frauen erfordern, sieht die GFMK Bedarfe eher in der Anzahl der Fachberatungsstellen und der geografischen Verteilung von Frauenhäusern, insbesondere in den ländlichen Gebieten. Alle weiteren Hoffnungen beruhen auf der schnellen Einberufung eines Runden Tisches auf Bundesebene, mit dem Ziel, Gewalt gegen Frauen in Deutschland besser und effektiver zu bekämpfen. Zu seinem Aufgabenkatalog gehört auch die Etablierung eines Rechtsanspruchs auf Hilfen bei häuslicher Gewalt.

Ein Frauenhaus auf 16.350 Einwohner*innen

Der Bund verweist in Bezug auf die prekäre Platznot in den Frauenhäusern auf sein Modellprojekt „Bedarfsanalyse und -planung zur Weiterentwicklung des Hilfesystems zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“. In dem Modellprojekt geht es darum, gemeinsam mit den Ländern Instrumente zu entwickeln und in der Praxis zu erproben, mit denen die Länder ihr Hilfesystem künftig besser den Bedarfen der von Gewalt betroffenen Frauen anpassen könnten.

Mit durchschnittlich einem Frauenhausplatz auf 12.500 Einwohner*innen ist die Versorgung in Deutschland defizitär. Der Wert von 1:12.5000 ergibt sich allerdings nur, wenn Plätze für Frauen und Kinder berücksichtigt werden. Zieht man die Plätze für Kinder ab, kommt durchschnittlich ein Frauenhausplatz auf 16.350 Einwohner*innen. Werden in Bayern die Plätze für Kinder nicht berücksichtigt, liegt die Quote hier sogar bei 1:36.000.

Istanbul-Konvention seit Februar 2018

Zur Einrichtung von leicht zugänglichen Schutzunterkünften in ausreichender Zahl hat sich die Bundesrepublik mit Ratifizierung der Istanbul Konvention verpflichtet. Artikel 8 der Istanbul- Konvention verpflichtet die Bundesrepublik, die finanziellen Mittel für die Umsetzung von Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bereitzustellen. Artikel 22 und 23 der Konvention verpflichten zur Vorhaltung von Unterstützungsdiensten und Schutzunterkünften.

Das ‚Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder‘ sieht für Deutschland somit erstmalig koordinierte und systematische Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vor. Das BMFSFJ weist auf Anfrage des zwd darauf hin, dass sich die Länder mit der Zustimmung zur Ratifizierung der Istanbul-Konvention verpflichtet hätten, für eine kontinuierliche Weiterentwicklung und bedarfsgerechte Anpassung von Schutz- und Beratungseinrichtungen Sorge zu tragen. Zurzeit gibt es in Deutschland rund 350 Frauenhäuser mit 6.700 Plätzen für Frauen und ihre Kinder. Laut Konvention sollte es 1 Family Place pro 10.000 Einwohner*innen/Gesamtbevölkerung geben. Deutschland benötigt danach 8.200 Plätze in Frauenhäusern, akut fehlen 1.500 Familienzimmer.

Keine verlässliche Finanzierung

Politischer Handlungsdruck besteht nicht nur beim quantitativen und qualitativen Ausbau der Frauenhäuser, sondern auch bei der Absicherung und Neuorganisation ihrer Finanzierung. Die Finanzierung der Frauenhäuser ist heute in keiner Weise gesichert. Die Lückenhaftigkeit, Inkonsistenz und Komplexität der Finanzierungsregelungen für Frauenhäuser stellt sogar ein Zugangshindernis für Frauen in prekären Lebenssituationen dar. In jedem Bundesland, in jeder Kommune ist die finanzielle Situation der Frauenhäuser heute unterschiedlich geregelt.

Der Nachteil einer einzelfallabhängigen Finanzierung eines Frauenhausaufenthaltes ist, dass die Kostenübernahme abhängig davon ist, ob die gewaltbetroffene Frau einen Anspruch auf Sozialleistungen hat. Dadurch haben Frauenhäuser Probleme bei der Aufnahme ortsfremder Frauen und die Aufenthaltszeiten werden durch Kostenträger begrenzt.

Auf die Fördermittel durch Land und Kommune besteht zudem kein Anspruch, sie sind in aufwändigen Verfahren jährlich neu zu beantragen und meist nicht kostendeckend. Überdies setzen sie meist Eigenleistungen der Träger voraus. Die Einnahmen durch Spendenakquise und Zuweisung von Bußgeldern sind erheblich zurückgegangen. Die jährliche Beantragung von Personal- und Sachmitteln bei diversen Geldgebern bindet Ressourcen, die eigentlich den Betroffenen zugutekommen sollten. Frauen mit eigenem Einkommen müssen Sozialleistungen beantragen oder sich verschulden, da die Tagessätze ein durchschnittliches Einkommen deutlich übersteigen. Die Vorhaltung und Finanzierung von Frauenhäusern ist den Kommunen als freiwillige Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge zugewiesen. Damit ist das Angebot vor Ort von der jeweiligen kommunalen Haushaltslage abhängig.

Der Zugang zu Frauenhäusern muss durch eine verlässliche Finanzierung garantiert sein. Schutz und Unterstützung gewaltbetroffener Frauen sind staatliche Pflichtaufgaben. Ihre bedarfsdeckende Finanzierung ist durch bundeseinheitliche Regelungen sowie die Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel zu sichern.

Groko denkt über Entlastung nach

Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD auf Bundesebene wurde eine Überprüfung der Frauenhausfinanzierung vereinbart: „Um für Status Quo der Finanzierung von Frauenhäusern Frauenhäuser werden entweder pauschal finanziert auf Grundlage eines Landesgesetzes (nur in Schleswig-Holstein) oder pauschal finanziert im Rahmen freiwilliger Leistungen (Berlin, Hamburg) oder mischfinanziert mittels pauschaler freiwilliger Leistungen von Ländern und Kommunen, kombiniert mit einzelfallbezogenen Leistungen wie den Kosten der Unterkunft und Betreuungskosten oder komplett einzelfallfinanziert über Tagessätze nach SGB II, SGB XII (Baden-Württemberg, Bremen, Saarland) zwd-POLITIKMAGAZIN 361/2018 | die betroffenen Frauen den Zugang zu ermöglichen und ihnen bei der Tragung der Unterbringungskosten zu helfen, werden wir prüfen, ob und inwieweit analog zum Unterhaltsvorschussgesetz eine vorläufige Übernahme der Kosten bei gleichzeitigem Übergang der Unterhaltsforderung auf den Kostenträger verankert werden kann.“

Die vorläufige Kostenübernahme nach dem Vorbild des UVG wäre für die betroffenen Frauen entlastend, da sie heute unmittelbar nach Einzug in ein Frauenhaus umfangreiche Antragstellungen bei den kommunalen Sozialämtern vornehmen müssen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass es einen Kostenträger gibt, was nur im Fall von Sozialleistungsempfängerinnen gegeben ist. Zahlreiche Personengruppen gehören jedoch nicht dazu. Eine Tagessatzfinanzierung der Frauenhäuser über SGB II und XII umfasst nicht alle betroffenen Frauen: Schülerinnen, Studentinnen, Auszubildende, Asylsuchende, Migrantinnen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus sowie neu zugezogene EU-Bürgerinnen haben darauf keine Ansprüche.

Zur Beteiligung des Bundes an den Kosten gefragt, verweist ein Sprecher des BMFSFJ auf seine mittelbare Beteiligung im Rahmen des SGB II, da der Bund die Kosten für die Unterkunft anteilig erstattet, die im Wege der Tagessatzfinanzierung anfallen. Zudem seien für die Einrichtung und finanzielle Absicherung des Frauenhilfesystems verfassungsrechtlich in erster Linie die Länder und Kommunen zuständig.

Vorschlag: 3 Säulen Modell zur Finanzierung

Die Autonomen Frauenhäuser fordern die Abkehr von der Tagessatz-Finanzierung. Sie favorisieren das 3-Säulen-Modell zur einzelfallunabhängigen und bedarfsgerechten Frauenhausfinanzierung. Es besteht aus den 3 Finanzierungssäulen: Sockelbetrag, Platzpauschalen und Unterbringungskosten.

Im 3-Säulen-Modell werden Frauenhäuser als Institutionen finanziert. Die Finanzierungsverantwortung liegt beim Staat und nicht bei den gewaltbetroffenen Frauen. Diese Forderung wird von der CEDAW-Allianz und dem Deutschen Frauenrat unterstützt. Die Finanzmittel sollten aus einer Hand ausgezahlt und jeder Kommune nach einem festzulegenden Schlüssel zugewiesen werden. Als Bemessungsgrundlage sollte die Empfehlung der Istanbul-Konvention (1 Familienzimmer pro 10.000 Einwohner*innen/ Gesamtbevölkerung) zugrunde gelegt werden. Hier müsste der tatsächliche Bedarf zugrunde gelegt werden, der in Großstädten und Ballungsgebieten überproportional hoch ist. Der Deutsche Juristinnenbund präferiert eine bundesgesetzliche Regelung für einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe bei Gewalt für alle Frauen, der etwa in § 23 SGB XI geregelt werden könnte. Für Asylsuchende sollten die Leistungen zum Schutz vor Gewalt explizit in § 6 AsylBLG (Sonstige Leistungen) verankert und mit einem Rechtsanspruch verbunden werden.

Neue gesetzliche Regelung erforderlich

Bereits 2009 hat der CEDAW-Ausschuss die Bundesrepublik aufgefordert, eine ausreichenden Anzahl von Frauenhäusern im gesamten Bundesgebiet sowie deren angemessene Finanzierung, die einkommensunabhängige Zugänglichkeit und deren behindertengerechte entsprechende Ausstattung zu gewährleisten. Bundesministerin Franziska Giffey (SPD) will im Rahmen des im Koalitionsvertrag auf Bundesebene vereinbarten Runden Tisches zum „Schutz von Frauen vor Gewalt“ gemeinsam mit den Ländern und Kommunen einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe bei Gewalt für alle Frauen im Rahmen eines Bundesgesetzes erarbeiten.

Der Bund ist nunmehr in der Pflicht. Nach Ratifizierung der Istanbul-Konvention muss eine ausreichende Kapazität von Frauenhausplätzen geschaffen werden. Die heutige Situation einer komplexen und bürokratischen Unterfinanzierung für nicht einmal alle Personengruppen muss durch eine kostendeckende bundesgesetzliche Pauschalfinanzierung pro Frau und Kind pro Tag sichergestellt werden, die die erforderlichen Beratungs- und Fortbildungsaufgaben hinreichend umfasst. Die Kostenaufteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden muss über einen Schlüssel erfolgen. Die Frauenhäuser dürfen nur noch einen behördlichen Ansprechpartner haben.


Der Artikel von Dr. Dagmar Schlapeit-Beck erschien zuerst im zwd-POLITIKMAGAZIN 361 als Titelthema, das Sie hier als pdf abrufen können.

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