KOLUMNE: DAGMAR SCHLAPEIT-BECK : SPD-Parteivorstand schwächt Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen

19. März 2020 // Dr. Dagmar Schlapeit-Beck

Der Parteivorstand der SPD hat am 20. Februar 2020 neue „Grundsätze und Richtlinien für die Tätigkeiten der Arbeitsgemeinschaften in der SPD“ beschlossen. Aus finanziellen Gründen wird die Eigenständigkeit, Organisationsfähigkeit und öffentliche Wahrnehmbarkeit der Arbeitsgemeinschaften eingeschränkt, von denen die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) die wichtigste ist.

Dr. Dagmar Schlapeit-Beck
Dr. Dagmar Schlapeit-Beck

zwd Berlin. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen kämpft hierbei um ihr Überleben. Seit ihrer Gründung im Jahr 1973 gehören der ASF alle weiblichen Parteimitglieder an. Das sind 137.000 Frauen, 32,6 Prozent aller SPD Mitglieder. Die ASF ist damit eine der größten deutschen Frauenorganisationen.

In der vom Parteivorstand erlassenen und inzwischen an die regionalen Parteigremien weitergeleiteten Richtlinie, die am 1. September dieses Jahres in Kraft tritt, wird neu eine Registrierungspflicht für die jeweiligen Arbeitsgemeinschaften eingeführt. Genossinnen, die künftig bei der ASF mitarbeiten wollen, müssen sich zuvor in ein Verzeichnis aufnehmen lassen. Konkrete Folgen hat die Zahl der aktiv registrierten Mitglieder für die künftige Gremien-Zusammensetzung. Das ist jedoch nicht das Schlimmste. Die ASF selbst rechnet damit, dass sich künftig vielleicht nur ein kleiner Teil der weiblichen Mitglieder als aktive ASF-Mitglieder registrieren lassen und damit ein erheblicher Verlust an politischem Einfluss und Durchsetzungsfähigkeit droht. Zudem könnten die Parteitage künftig Kandidatinnen unterschiedlich bewerten, je nachdem ob sie Mitglied der ASF sind oder nicht. Registrierten ASF-Frauen würden feministische Positionen zugeordnet, durch die sie in den immer noch männlich dominierten Ämtern und Gremien gegenüber den nicht registrierten Kandidatinnen benachteiligt werden könnten.

Einzig die Jungsozialistinnen (Jusos) behalten ihren bisherigen Status. Doch wo bleibt die Solidarität der Jusos gegenüber dem Bedeutungsverlust der ASF? Der stellvertretende Parteivorsitzende Kevin Kühnert gilt als Königsmacher des neuen Parteivorsitzenden-Duos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Dabei haben die Jusos ihre digitale Infrastruktur genutzt und ihre rund 57.000 Mitglieder per Rundmailing angesprochen und für die Wahl des Duos Esken/Walter-Borjahns geworben. Es herrscht Konsens darüber, dass diese Mobilisierung für das Wahlergebnis ausschlaggebend war, zumal die beiden damaligen Kandidaten sich zu diesem Zeitpunkt noch als Groko-Gegner/innen ausgaben

Die ASF hat darauf verzichtet, auf eine frauenpolitisch besonders engagierte Paarung zu setzen und sich für diese zu engagieren. Eine vertane Chance? Kritiker der Kandidat*innenkürung auf allein 23 Regionalkonferenzen und einem monatelangen Führungsvakuum der SPD in 2019 beanstanden die Festlegung auf vorher vereinbarte Duos. Gleichstellungspolitisch hätte mehr durchgesetzt werden können, wenn die beste Frau und der beste Mann jeweils einzeln gewählt worden wären.

Die ASF war zuletzt stark geschwächt. So fiel ihre Vorsitzende Maria Noichl bei den Wahlen zum SPD-Parteivorstand durch und besitzt dort - anders als ihre Vorgängerinnen Inge Wettig-Danielmeier, Karin Junker und Elke Ferner, die dem Parteipräsidium und Vorstand angehörten - lediglich beratendes Stimmrecht. Zudem zeigt das Vorstandstableau der ASF die fehlende Verankerung der Arbeitsgemeinschaft in den Länderparlamenten, im Deutschen Bundestag, in den jeweiligen Regierungen oder in den Spitzenpositionen der Wissenschaft, Justiz oder der Wirtschaft. Gerade auch die einflussreichen politischen Repräsentantinnen der SPD wie etwa Manuela Schwesig, Franziska Giffey, Katarina Barley oder Malu Dreyer, die auch ihre Karrieren den Gleichstellungserfolgen der ASF und der Quotierung in der SPD zu verdanken haben, fehlen als Aushängeschilder und Netzwerkerinnen der ASF. Der bestehende Bedeutungsverlust dieser aufgrund ihrer historischen Errungenschaften wichtigsten Arbeitsgemeinschaft darf aber nicht als Argument dafür herhalten, die Organisationskraft dieser Arbeitsgemeinschaft weiter zu schwächen.

Der Parteivorstand hat beschlossen, die Funktions- und Arbeitsfähigkeit sämtlicher Arbeitsgemeinschaften in allen Unterbezirken, sprich Großstädten und Landkreisen, zu evaluieren. Bereits heute gibt es diverse Arbeitsgemeinschaften innerhalb der SPD, die eher berufsbezogen ausgerichtet sind und nicht (mehr) flächendeckend existieren. Dies gilt jedoch nicht für die drei großen Arbeitsgemeinschaften, die wie die Jusos und 60 plus nach dem Senioritätsprinzip und wie die ASF nach dem Geschlecht ausgerichtet sind.

Die 420.000 SPD Mitglieder sind automatisch Mitglied in einer dieser drei Arbeitsgemeinschaften, die unter 35 jährigen bei den Jusos, die über 60 jährigen bei 60 plus und alle Frauen sind in der ASF. Bei den übrigen Arbeitsgemeinschaften, wie der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), der AG der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG), der AG für Bildung (AfB), der AG sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ), der AG Selbständige (AGS), der AG für Akzeptanz und Gleichstellung (SPDqueer), der AG Migration und Vielfalt und der AG Selbst Akti ist eine aktive Zuordnung des einzelnen Parteimitglieds für die jeweilige Arbeitsgemeinschaft erforderlich. Die Vielzahl der Arbeitsgemeinschaften reduzieren zu wollen und diese ggf. in Facharbeitskreise umzuwandeln, ist grundsätzlich nachvollziehbar, zumal manche dieser Arbeitsgemeinschaften nur noch auf Bezirks- oder Landesebene, aber nicht mehr auf der Ebene der Unterbezirke funktionieren.

Dies verhält sich jedoch bei den drei genannten Arbeitsgemeinschaften ASF, Jusos und 60 plus grundlegend anders, da sie flächendeckend in der SPD vertreten sind. Die vorgesehene Registrierungspflicht gilt künftig für alle Arbeitsgemeinschaften bis auf die Jusos. Die grundlegende Organisationseinheit, in der die SPD aufgebaut ist, ist der Ortsverein, der sich am Wohnort orientiert, an der Nachbarschaft, am Quartier. Nicht alle Parteigenoss*innen finden jedoch ihre Interessen ausreichend im lokalen Zusammenhang berücksichtigt. Deshalb ist die Organisation von Arbeitsgemeinschaften parallel zum Regionalprinzip sinnvoll. Die Arbeitsgemeinschaften verrichten eine nicht zu unterschätzende inhaltliche Arbeit, treiben Fachthemen voran, schaffen Zusammenhalt oder verstehen sich wie die Jungsozialistinnen als sozialistische Richtungsorganisation.

Die ASF besitzt im Unterschied zu den anderen Arbeitsgemeinschaften ein klares politisches Profil, indem sie seit ihrer Gründung 1973 die Gleichstellung der Frauen fordert. Sie kann auf historische Erfolge verweisen, wie die innerparteiliche Quote, die Reform des § 218, das Verbot von Gewalt in der Ehe, die Einrichtung von Gleichstellungsstellen für Frauen oder die Implementierung von Gender Mainstreaming. Die Frauengleichstellungsstellen in Kommunen, Behörden, Universitäten oder Unternehmen geben nicht nur der Gleichstellungspolitik das nötige Rückgrat, sondern sind auch selbst ein wichtiges Jobangebot und Karrieresprungbrett für qualifizierte Frauen. Ein einzigartiger Verdienst der ASF.

Die Genderfrage bleibt aktuell, man denke an die gescheiterte Abschaffung des § 219a, dem rückläufigen Frauenanteil in den Parlamenten oder an die Versuche, Parité-Gesetze in den Bundesländern und auf Bundesebene durchzusetzen. Bisher besitzen nur die Länder Brandenburg und Thüringen eine solche gesetzliche Regelung.

Die ASF ist über Parteigrenzen hinweg in der frauenpolitischen Szene vernetzt und meinungsbildend. Gleichstellung ist zwar in allen demokratischen Parteien etabliert, jedoch in Zeiten der AfD umkämpft und bedroht, wie lange nicht. Ihre Wahrnehmbarkeit außerhalb der SPD wird durch die SPD-Parteiführung jetzt empfindlich geschwächt. Warum führt der SPD-Parteivorstand diese Marginalisierung bewusst herbei?

In einer solchen Phase wird die ASF durch den Beschluss des SPD-Parteivorstands marginalisiert, indem ihre Organisation massiv verkleinert und gespalten wird und Bundeskonferenzen reduziert und nur noch im Willy-Brandt-Haus in Berlin stattfinden sollen - ein Verlust an politischer Durchsetzungskraft und öffentlicher Wahrnehmbarkeit.

Im Unterschied zu den Jusos, deren Konferenzen weiterhin 300 Delegierte umfassen, müssen sich ASF und 60 plus künftig mit 150 Delegierten begnügen - Eine geringere Repräsentanz der Regionen, Einbeziehung der Basis und schwächeren Karriereförderung von Frauen. Die Übung der politischen Rede auf Großveranstaltungen, die Debattenkultur und der Umgang mit Medien werden auf solchen Bundesdelegiertenkonferenzen geschult. Die dezentralen Veranstaltungsorte führen zu einer höheren medialen Aufmerksamkeit der Konferenzen und Beschlüsse. In Berlin fällt eine solche Konferenz nicht weiter auf, weil solche in der Bundeshauptstadt zur täglichen Routine gehören. Stillschweigend wurde zudem vom Parteivorstand akzeptiert, dass die Jusos ihre Bundeskonferenzen auf einen jährlichen Turnus ausgeweitet haben, ein erheblicher Kostenfaktor zu Lasten der anderen Arbeitsgemeinschaften, die nur in jedem zweiten Jahr auf Bundesebene konferieren.

Bereits unter der Vorsitzenden Andrea Nahles gab es einen Anlauf, die Arbeitsgemeinschaften aus Kostengründen abzuschaffen. Dieser konnte verhindert werden. Übrig blieb der Versuch der Streichung der Historischen Kommission, der mithilfe prominenter Stimmen zurückgezogen wurde.

Der Zerfall ihrer gesellschaftlichen Milieus gilt als wesentliche Ursache für die Krise der SPD. Hier wird ein wichtiges an die SPD gebundenes Milieu, die emanzipierten erwerbstätigen Frauen, durch eine solche fahrlässige Entscheidung der SPD-Spitze abgekoppelt. Der Verlust weiterer Wählerinnen-Stimmen wird die Folge sein.

Die SPD muss angesichts ihrer schlechten Wahlergebnisse sparen. Aber doch an solchen Stellen, die sich nicht negativ auf die gesellschaftliche Bindung und die frauenpolitische Schlagkraft der SPD auswirken. Insider*innen sehen ein beträchtliches Sparpotential in der Berliner Parteizentrale. Mit Interesse wird zu betrachten sein, wie sich die neue Parteiführung in ihrer Personalausstattung in Zukunft im Willy-Brandt-Haus bewegen wird.

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