zwd Berlin. „Wir werden Gewalt gegen Frauen konsequent bekämpfen“, betonte die Vize-Vorsitzende der SPD-Fraktion Sonja Eichwede, mit Blick auf die erschreckend gestiegenen Zahlen bei häuslicher und Partnerschaftsgewalt sei „entschlossenes Handeln“ gefragt. Annäherungsverbote im Rahmen von Gewaltschutzanordnungen allein reichten nicht aus, da sie von Tätern häufig nicht eingehalten würden, erklärte Eichwede in einem Kommentar über die am Freitag veröffentlichten aktuellen Lagebilder des Bundeskriminalamtes (BKA) im Bereich häusliche Gewalt und geschlechtsspezifische Straftaten gegen Frauen. Deshalb seien elektronische Fußfesseln erforderlich, mit denen sich Täter überwachen und Opfer rechtzeitig warnen ließen, ebenso wie mehr Täterarbeit. Die Fraktions-Vize empfahl, das Parlament solle den Gesetzentwurf von Justizministerin Hubig rasch beraten, weitere Reformen würden folgen.
Laut BKA stieg mit über 53.450 an Frauen verübten Sexualstraftaten die Anzahl der weiblichen Opfer 2024 gegenüber dem Vorjahr um 2,1 Prozent. Jeweils mehr als ein Drittel der Betroffenen erlitten sexuelle Belästigung (36,4 Prozent) oder Vergewaltigung, sexuelle Nötigungen und sexuelle Übergriffe (35,7 Prozent), etwas unter einem Drittel sexuellen Missbrauch (27,5 Prozent). Fast die Hälfte der weiblichen Betroffenen (49,2 Prozent) von Sexualdelikten war jünger als 18 Jahre. 17,2 Prozent der Tatverdächtigen waren minderjährig, unter einem Drittel (29,9 Prozent) zwischen 18 und 30 Jahren. Digitale Gewalt gegen Frauen stieg mit über 18.220 Betroffenen um 6,0 Prozent, politisch motivierte, frauenfeindliche Straftaten mit 558 Fällen um 73,3 Prozent.
Prien plant stärkere Gewaltprävention und Hilfsstrukturen
Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) versicherte bei der Vorstellung der BKA-Statistiken zu häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt, sie setze sich dafür ein, gewaltbedrohten Frauen „durch gezielte Maßnahmen und stärkere Prävention, bessere Daten und ein starkes Hilfsnetzwerk“ Schutz zu gewähren. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) kündigte an, man werde sog. K.O.-Tropfen – Betäubungsmittel, die Straftäter u.a. bei Vergewaltigungen einsetzen - als Waffe einstufen, um die Basis „für spürbar strengere Strafverfolgung“ zu schaffen. Der Präsident des BKA Holger Münch forderte angesichts der Tatsache, dass Opfer bloß einen Bruchteil erlebter Gewalt melden würden, es sei darauf hinzuwirken, „dass mehr Betroffene den Mut finden, Taten anzuzeigen“, um Schutz und Hilfe für sie zu verbessern.
Von 265.942 Opfern häuslicher Gewalt (+ 3,8 Prozent) waren 187.128 Frauen (+ 3,5 Prozent). Etwa zwei Drittel der Straftaten (64,3 Prozent) entfielen auf Partnerschaftsgewalt, rund ein Drittel (35,7 Prozent) auf innerfamiliäre Gewalt. Mit 135.713 weiblichen Opfern (79,3 Prozent) verzeichneten bei Frauen durch (Ex-) Partner:innen begangene Gewalttaten verglichen mit dem Vorjahr einen höheren Anstieg (+ 2,1 Prozent) als bei Männern (+ 1,3 Prozent). Insgesamt 859 Frauen (- 8,4 Prozent) wurden Opfer von (versuchten bzw. vollzogenen) Tötungsdelikten, 308 von ihnen erlagen der Gewalt. 132 weibliche Betroffene wurden von ihrem (Ex-) Partner umgebracht, 59 im innerfamiliären Kontext.
Die Grünen schlagen Gewaltschutz nach Istanbul-Konvention vor
Die Sprecherin für Frauenpolitik der Grünen-Fraktion Ulle Schauws hob auf der Grundlage erster Ergebnisse der Dunkelfeldstudie des BKA LeSuBiA (Lebenssituation und Belastung im Alltag) besonders die bei Partnerschaftsgewalt äußerst geringe Anzeigenquote der Strafdelikte von weniger als 5 Prozent hervor. Die Anzahl der Gewaltfälle gegen Frauen erhöhe sich deutlich mehr als die allgemeine Gewaltkriminalität, den starken Zuwachs bei politisch motivierten, gegen Frauen gerichteten Straftaten beurteilte Schauws als Anzeichen von gesteigertem „Antifeminismus und Frauenhass“ als gemeinsamem Element „unterschiedlicher rechter Ideologien“.
Repressive Mittel der Strafverfolgung, wie der von der Bundesregierung geplante Einsatz elektronischer Fußfesseln, gehörten nach Ansicht der Grünen-Politikerin als Bestandteil zu einer Strategie zum Schutz gewaltbedrohter Frauen, böten jedoch „keine flächendeckende Lösung“. Schauws hält einen „umfassenden Gewaltschutz nach Vorgaben der Istanbul-Konvention“ für ausschlaggebend, mit mehr Prävention und Maßnahmen nach dem Vorbild Spaniens, die Vorbeugung, Sensibilisierung, Opferschutz und strafrechtliche Verfolgung verbinden. Seit 2020 nahmen die Fälle häuslicher Gewalt um 17,8 Prozent zu, Partnerschaftsgewalt um 14,7 Prozent, Gewalt innerhalb der Familie um 23,9 Prozent. Nach BKA-Angaben liegt die Quote gemeldeter Gewalttaten allgemein bei unter 10 Prozent, in Partnerschaften bei unter 5 Prozent.
Hubig bereitet Reformen zu Strafverschärfungen und Opferschutz vor
Die Geschäftsführerin des DF Judith Rahner sprach sich wie die Grünen für umfangreiche Gewaltvorsorge „vom Kindergarten bis zum digitalen Raum, vom Sportplatz bis zur Chefetage“ aus, während das Vorstandsmitglied von UN Women Deutschland Dr. Carolin Weyand dazu aufrief, „benachteiligende Strukturen (…) konsequent abzuschaffen, um Mädchen und Frauen zu schützen“. Im Rahmen seiner Kampagne Orange the World, mit dem das deutsche Komitee der UN-Frauenorganisation auf an Mädchen und Frauen verübte Gewalt aufmerksam macht, wirbt dieses für „ressortübergreifende, umfassende Gesamtstrategien gegen geschlechtsspezifische Gewalt".
Vorher hatte Justizministerin Hubig über den am Mittwoch vom Bundeskabinett bewilligten Gesetzentwurf hinaus weitere Reformen in Aussicht gestellt. „Wir müssen mehr tun, um Frauen zu schützen“, teilte die SPD-Politikerin ihre Einschätzung gegenüber der dpa mit. Außer der vom Entwurf eingeführten elektronischen Aufenthaltsüberwachung (eAÜ) für Gewalttäter brauche man strafrechtliche Verschärfungen, z.B. hinsichtlich der Verwendung von K.O.-Tropfen bei Vergewaltigungen, gestärkten Opferschutzes und ein Recht von Betroffenen häuslicher Gewalt auf psychosoziale Prozessbegleitung. Sie werde schon bald Gesetzesvorschläge dazu vorlegen, so Hubig.
SPD unterstützt Reformen im Umgangs- und Sorgerecht
Die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Carmen Wegge unterstrich nach der Abstimmung im Kabinett, dass sich die elektronischen Fußfesseln in Spanien als wirksam erwiesen hätten, da keine der über die Geräte geschützten Frauen durch Gewalt umgekommen seien. Als ebenfalls entscheidend wertete sie die im Gesetzentwurf verankerten, obligatorischen Trainings für Täter gegen Gewalt. In einem weiteren Schritt sei aus Sicht von Wegge - wie auch von DF, UN Women und Linken - dafür zu sorgen, dass die sorge- und umgangsrechtlichen Vorschriften Gewalt angemessen berücksichtigen und die Behörden von Strafverfolgung und Gerichten bessere Schulungen gegen frauenfeindliche Gewaltdelikte erhielten.
Linke rufen zu grundsätzlicher Wende in Gewaltschutz-Politik auf
Die DF-Sonderbeauftragte für Gewalt gegen Frauen Sylvia Haller kritisierte, dass elektronische Fußfesseln zwar in einigen Situationen Schutz gewähren könnten, doch Polizei und Justiz nicht über die benötigte Ausstattung verfügten, um „Bedrohungslagen zuverlässig zu erkennen“. Wer bestrebt sei, Femizide zu vermeiden, müsse früher ansetzen, mit Finanzieren von Frauenhausplätzen, Stärkung von Beratungsstellen sowie Schulungen von Polizei- und Justizbehörden.
Dennoch befürwortete der DF, dass man die Gesetzesvorlage, die Gewaltvorsorge stärke und richterliche Anordnungen von Täterarbeit nicht nur im Gewaltschutzgesetz, sondern auch im Familienrecht ermögliche, aufgrund der Hinweise von Fachleuten und feministischen Vereinen gegenüber dem Referentenentwurf verbessert habe. Die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion Kathrin Gebel bemängelte, dass die elektronischen Fußfesseln bloß in wenigen Einzelfällen einsetzbar, doch technische Fernhaltungen vielfach nicht praktikabel seien, da Frauen teilweise noch mit den Tätern zusammenlebten. Gebel verlangte „eine grundlegende Wende und eine ganzheitliche Strategie in der Gewaltschutzpolitik.“, die ihrer Auffassung nach, ähnlich wie in den Konzepten von Grünen, UN Women und DF, Finanzierung von Schutzplätzen, verpflichtende Weiterbildungen von Polizei und Justiz sowie Täterprogramme nach gesicherten Qualitätsstandards enthalten sollte.