BERUFSBILDUNGSBERICHT 2020 DEBATTE : SPD und Grüne fordern Ausbildungsgarantie

14. September 2020 // Ulrike Günther

Die Krise bringt viele Lehrstellen in Gefahr. Doch auch vorher war der Berufsbildungsmarkt rückläufig: Weniger Neuverträge, über ein Viertel abgebrochene Ausbildungen, jeder siebente junge Erwachsene ohne Berufsabschluss – SPD, Grüne, Linke und Liberale sehen die Zahlen aus dem Berufsbildungsbericht mit Sorge. Um Ausbildungen zu stärken, haben sie Vorschläge ins Parlament eingebracht, von einem neuen Berufsgesetz über einen Azubi-Pakt bis hin zu einer Ausbildungsgarantie.

Sinkende Ausbildungszahlen könnten den Fachkräftemangel verstärken. - Bild: flickr
Sinkende Ausbildungszahlen könnten den Fachkräftemangel verstärken. - Bild: flickr

zwd Berlin. Trotz eines Rückganges beim Lehrstellen-Angebot um 8 Prozent standen 2019 aufgrund der gleichzeitig gesunkenen Bewerber*innenzahlen laut Berufsbildungsbericht (Drs. 19/19250) einem Ausbildungssuchenden 1,05 Plätze gegenüber. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) wertete das als gute Ausgangsbasis für die Lehrstellenneulinge im neuen Ausbildungsjahr. Die Wirtschaft stelle die zurückgegangene Anzahl der Auszubildenden jedoch vor das dadurch noch schwieriger werdende Problem, den Fachkräftebedarf zu decken. Um Lehrstellen in der Krise zu sichern, habe die Bundesregierung Ausbildungsprämien, Vergütungszuschüsse und Übernahmehilfen für Firmen („Schutzschirm für Ausbildung“, zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) ausgesetzt.

„Eine leistungsstarke berufliche Bildung kann einen großen Beitrag dazu leisten, dass sich die Wirtschaft in ganz Europa schnell erholt“, gab Karliczek einen Ausblick auf das Treffen der europäischen Bildungsminister*innen in Osnabrück am 16. bis 17. September mit dem Schwerpunkt Berufsbildung und das Ziel der Regierung, während der bundesdeutschen EU-Ratspräsidentschaft für die Zusammenarbeit bei den Berufsausbildungen einen neuen Ansatz zu finden Während die Zahl der Ausbildungsanfänger*innen nach Angaben des vom Bundesbildungsministeriums (BMBF) jährlich erstellten Berichtes trotz des demographischen Wandels um fast 1 Prozent (+ 6.400 Lehrlinge) stieg, war bei den Neuverträgen auf dem Gebiet der dualen Ausbildung ein Rückgang um 1,2 Prozent auf rund 525.100 Verträge zu verzeichnen. Der Anstieg bei den Ausbildungsneulingen ist demnach vor allem auf Zuwächse bei den Anfänger*innen im systemrelevanten Bereich des Erziehungs-, Gesundheits- und Sozialwesens um knapp 3,9 Prozent zurückzuführen.

SPD fordert Ausbildungsplatzgarantie

Die Sprecherin der Arbeitsgruppe Berufliche Bildung der SPD Yasmin Fahimi schätzte in der Parlamentsdebatte am 11. September die Lehrstellen-Situation kritischer ein. 26,5 Prozent aufgelöste Lehrstellenverträge im Jahr 2019 gaben Fahimi Anlass, die Güte der Berufsorientierung sowie die Mittel zu hinterfragen, mit denen sich die Attraktivität der Ausbildungsbedingungen steigern ließen. Das modernisierte Berufsbildungsgesetz, das Azubis mehr Rechte gewährt und ihnen eine von den Sozialdemokrat*innen durchgesetzte Mindestvergütung der Ausbildung zuerkennt, sind nach Ansicht der SPD-Sprecherin richtige Schritte in diese Richtung.

Die über 14 Prozent 20- bis 34-Jährigen ohne Berufsabschluss machen Fahimi Sorgen, weshalb sie einen „besseren Übergang von Schule in Ausbildung“ für erforderlich hält. Erfreulich nannte die SPD-Politikerin die Zunahme bei den Ausbildungsanfänger*innen im Bereich Erziehung, Gesundheit und Pflege, forderte jedoch angesichts der Vielzahl unterschiedlicher landesspezifischer Berufsbildungswege abseits des dualen Systems ein neues, bundesweit vereinheitlichtes Berufsgesetz. Überdies erklärte Fahimi, man müsse darüber reden, wie Ausbildungen noch attraktiver zu machen und z.B. Schüler*innen mit Hauptschulabschluss einfacher zu vermitteln seien. Dazu müsse es „eine Ausbildungsplatzgarantie in Deutschland geben“.

Grüne schlagen „Digitalisierungsoffensive“ für Berufsschulen vor

Eine ähnliche Auffassung vertreten auch Bündnis 90/Die Grünen und die Linken. Die Sprecherin der Grünen-Fraktion für Aus- und Weiterbildung Beate Walter-Rosenheimer monierte, dass die kurzfristigen Maßnahmen von Bundesbildungsministerin Karliczek nicht ausreichten, um die während der Krise sichtbar gewordenen Schwächen des Berufsbildungssystems hinsichtlich Digitalisierung sowie Krisenmanagement auszugleichen.

Die Erfahrungen der Epidemie möchten die Grünen für einen „längst überfälligen Modernisierungsschub“ nutzen und schlagen in eigenen Anträgen (Drs. 19/20165, 19/21721) eine Ausbildungsgarantie für einen sicheren Übergang junger Menschen ins Berufsleben, 100 Prozent Kurzarbeitergeld für Azubis von verstärkt durch die Krise betroffenen Betrieben und eine „Digitalisierungsoffensive“ an den Berufsschulen vor, über welche 500 Millionen Euro aus dem DigitalPakt zur digitalen Ausstattung in den Klassenräumen zu nutzen seien. Weiterhin wollen die Grünen die Anerkennung von beruflichen und akademischen Bildungswegen als gleichwertig u.a. über einen Schwerpunkt im Rahmen des Programms zur empirischen Bildungsforschung voranbringen.

Linke: Lehrstellen über „solidarische Umlagefinanzierung“ sichern

Um Azubis in der Krise zu schützen und die Qualität von Ausbildungen zu sichern, verlangen die Linken in einem Antrag (Drs. 19/19486), über eine „solidarische Umlagefinanzierung“ die berufliche Bildung besonders in kleineren Unternehmen finanziell zu fördern. „Wir brauchen ein Recht auf Ausbildung“, hob die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion Birke Bull-Bischoff hervor. Dadurch hätten Lehrstellensuchende ohne Ausbildungsplatz während der Krise einen Anspruch auf einen öffentlich finanzierten Platz im außerbetrieblichen Bereich.

Auch die Linken beabsichtigen, das digitale „Sofortausstattungsprogramm“ für Schüler*innen aus dem Konjunkturpaket für Azubis zu öffnen. In zwei weiteren Anträgen (Drs. 19/22120, 19/22121) fordern sie die Regierung auf, ein bundeseinheitliches Gesetz für die Berufsausbildung zum/ zur staatlich anerkannten Erzieher/ Erzieherin und die Gesundheitsfachberufe vorzulegen. Die von 25 Prozent der Lehrstellenanwärter*innen, darunter eine Mehrheit Frauen, gewählten schulischen Ausbildungen in den Gesundheits-, Pflege- und pädagogischen Berufen sollten nach Ansicht von Bull-Bischoff vergütet, das teilweise zu zahlende Schulgeld abgeschafft und eine Rentenanwartschaft erworben werden.

FDP: „Azubi-Pakt 2020“ soll Ausbildungen abgabenfrei machen

Der studien- und berufsbildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Jens Brandenburg beanstandete wie die Grünen, dass die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zum Abfedern der Krisenfolgen im Bereich der Berufsbildung, wie die Prämien für ausbildende Betriebe, unzureichend seien. Stattdessen hätten die Liberalen (in einem Positionspapier der Partei) einen „Azubi-Pakt 2030“ vorgeschlagen, durch welchen die Ausbildungen ganz steuer- und abgabenfrei gemacht würden.

Zum Zweck, die berufliche Bildung innovativ zu gestalten, wollen die Liberalen nach Aussagen von Brandenburg die Berufsschulen über digitale Lernmethoden angemessen auf die Anforderungen der digitalen Arbeitswelt vorbereiten. Ihrem ebenfalls zur Debatte vorliegenden Antrag (Drs.19/13460) zufolge sollte man außerdem die Begabtenförderung für talentierte Berufs- und Weiterbildungsschüler*innen öffnen, wozu der Bund und die 13 Begabtenförderungswerke ihre gemeinsamen verwaltungsrechtlichen Regelungen zu ändern hätten. Der Berufsbildungsbericht wurde ebenso wie die beiden Anträge der Grünen zur fortgesetzten Beratung an den mit der Federführung betrauten Bildungsausschuss überwiesen, der zweite und dritte Antrag der Linksfraktion an den Familien- bzw. Gesundheitsausschuss weitergeleitet. Der erste Antrag der Linksfraktion und der Antrag der FDP wurden von den Abgeordneten des Parlamentes mehrheitlich abgelehnt.

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