MARTIN HABERSAAT | ERNST DIETER ROSSMANN : Staatliche Bildungskooperation in Deutschland neu denken

15. April 2021 // Gastbeitrag

In einem Gastbeitrag für das zwd-POLITIKMAGAZIN (Ausgabe 384) haben die SPD-Bildungsexperten Martin Habersaat und Ernst Dieter Rossmann Perspektiven für eine neue und bessere Bund-Länder-Zusammenarbeit formuliert, die schnell und nicht erst 2024, wie die aktuelle Bundesbildungsministerin plant, auf den Weg gebracht werden sollten. Habersaat ist bildungspolitischer Sprecher und Fraktionsvize der Kieler SPD-Landtagsfraktion, Ernst Dieter Rossmann ist Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages.

Martin Habersaat (links), Ernst Dieter Rossmann
Martin Habersaat (links), Ernst Dieter Rossmann

Über ein Jahr ist es jetzt her, dass die Extremföderalisten in der Bildungspolitik – die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg und die Kombination von CSU und Freien Wählern in Bayern – den Nationalen Bildungsrat gekippt haben. Gegen den Koalitionsvertrag und gegen jede Vernunft. Von Corona war damals noch keine Rede. Und von vielem anderen auch noch nicht.

Mittlerweile soll ein ständiger wissenschaftlicher Beirat bei der Kultusministerkonferenz berufen werden, länderexklusiv ohne Beteiligung von Bund, Kommunen und gesellschaftlichen Organisationen. Und es gibt eine 44 Artikel umfassende Ländervereinbarung für das Schulwesen. Aus dem aktuellen Anlass der Pandemie und dem zwingenden Bedarf an Homeschooling und digitalem Lernen hat der Bund zusammen mit den Ländern über den Digitalpakt hinaus Sonderprogramme im Umfang von 1,5 Milliarden Euro aufgelegt zur Finanzierung nicht nur von Endgeräten für die Schülerschaft, sondern auch für die Lehrkräfte und die Schuladministratoren. Weiterhin sind Bund und Länder in Verhandlungen über länderübergreifende Kompetenzzentren im Kontext der digitalen Ertüchtigung der Schulen.

Bei den Debatten um den Nationalen Bildungsbericht 2020 im Bundestag wurden schließlich seitens der CDU/ CSU sehr interessante, ganz neue Töne angeschlagen. Über fast zwei Jahrzehnte hatte sich die CDU/CSU gegen eine Revision des Kooperationsverbotes gewehrt, das dem Bund die Förderung von schulischer Bildung untersagt hatte. Ja, die CDU und CSU hatten das Vorhandensein eines Kooperationsverboten in vielen Reden im Bundestag mit Vehemenz geradezu geleugnet, um dann unter dem Druck der Verhältnisse und der SPD mit Grundgesetzänderungen in 2009, 2014, 2017 und 2019 letztlich doch schrittweise mehr Bund-Länder-Kooperation und eine höhere Bundesverantwortung zuzulassen.

Die Erfahrungen mit der Pandemie, die Notwendigkeit der Digitalisierung und die Frustration über den selbst verschuldeten Tiefschlag gegen den Nationalen Bildungsrat beförderten dann offensichtlich ein Umdenken im Lager von CDU und CSU, ohne dass die anderen Parteien und die Öffentlichkeit jetzt schon wirklich einschätzen können, ob es zum wiederholten Mal Wahlkampfgeklingel oder eine ernsthaft gewollte Abkehr von alten Dogmen ist. Die Bundesbildungsministerin kündigte noch sehr allgemein und unverbindlich an, dass sie sich um eine Verfassungsänderung bemühen würde, die dann ab dem Jahr 2024 wirksam werden sollte.

Umdenken bei der CDU? Brinkhaus: „Es macht keinen Sinn, die Digitalisierung der Schulen 16 Bundesländern und 16 Datenschutzbeauftragten jeweils individuell zu überlassen.“

Der CDU-Abgeordnete Tankred Schipanski hielt im Bundestag in der Debatte zum Nationalen Bildungsbericht 2020 eine Wenderede, in der er mehr Kooperation von Bund und Ländern in der Bildungspolitik einforderte. Er zitierte den CDU/CSU -Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus, der in einem Interview der „Welt am Sonntag“ am 21. Februar 2021 erklärt hatte: „Es macht keinen Sinn, die Digitalisierung der Schulen 16 Bundesländern und 16 Datenschutzbeauftragten jeweils individuell zu überlassen.“ Und er forderte, „die einzelnen Ebenen vom Bund bis zur Kommune besser miteinander (zu) vernetzen“. Der Bildungssprecher der CDU/CSU im Bundestag, Albert Rupprecht, hatte in dieser Debatte vorgelegt und postuliert: „Ja, der kooperative Föderalismus muss weiterentwickelt werden…Natürlich macht es keinen Sinn, dass jedes Bundesland eine eigene Schul-Cloud hat.“ Er hat zugleich für die CDU und CSU entsprechende Vorschläge angekündigt, „klug und vernünftig“, wie der Sprecher in Aussicht stellte.

Die Debatte ist also eröffnet. Worauf kommt es jetzt an? Wie können wir in Deutschland aus den richtigen Fragen zu den richtigen Antworten kommen, die dann auch mit 2/3-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat eine konstruktive Zusammenarbeit über alle politischen Ebenen hinweg in allen Abschnitten der Bildungsbiografie befördern? Hierzu 3 Fragen, die auch bereits Antworten in sich tragen:

1.Bildungsförderung in Deutschland ist schon lange eine Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen geworden und wird es in der gemeinsamen Verantwortung noch viel mehr werden, wenn es um die Modernisierung der Schulen, die Implementation von Digitalisierung in die Schulbildung, den Ausbau von bester Betreuung und Bildung in Kindertagesstätten und Ganztagsschulen bis zu Verbesserungen und Innovationen in der allgemeinen Weiterbildung geht. Die gewachsene Bedeutung der Kommunen weisen auch die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes für die vergangenen 10 Jahre aus. Danach haben die Kommunen ihre Bildungsausgaben um 58 % gesteigert, die Länder um 49 % und der Bund um nicht ganz 35 %. Wie können die Kommunen entsprechend ihrem wachsenden Gewicht und ihrer regionalen Gestaltungskraft früher, stärker und verbindlicher in die Bildungspolitik einbezogen werden? Die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände an einem neu konstruierten Nationalen Bildungsrat 2.0 kann hier ein konkreter Einstieg sein, so wie auch der Bund dabei einbezogen werden sollte. Eine neue Offenheit in der KMK für einen solchen neuen Geist an Kooperation durch wirklich alle Landesregierungen und die dahinterstehenden Parteien wäre ein Hoffnung gebendes Zeichen, das dann auch Mut für Mehr machen würde, z.B. bei der Digitalisierung.

2.Denn die Digitalisierung als neue Dimension im Bildungswesen sprengt die Grenzen von Schulen, Kommunen und Ländern. Schon von der Immanenz des Mediums her wird sie sich in einem nationalen, wenn nicht europäischen und globalen Rahmen bewegen, was die Entwicklung, die Angebotsseite und die Regulation betrifft. Die bisherigen Bestimmungen des Artikel 91 c Grundgesetz zu den Gemeinschaftsaufgaben und zur Verwaltungszusammenarbeit bei den informationstechnischen Systemen sind allerdings so restriktiv gefasst, dass nicht einmal die Finanzierung des 5 Milliarden Euro schweren Digitalpakts Schule hierüber abgesichert werden konnte.

„Ein neu definierte Gemeinschaftsaufgabe Bildungsdigitalisierung, die allen Bereiche des Bildungswesens einschließt“

Dass die CDU-Minister Johanna Wanka und Wolfgang Schäuble dieses nach dem Saarbrücker Digitalgipfel von 2016 jahrelang versucht haben, war leider einer der Kernfehler der eigentlich längst überfälligen Digitalisierungsstrategie für die Schulen. Diese CDU-Irrtümer aus Unkenntnis und Halsstarrigkeit haben wertvolle Jahre gekostet, die jetzt bitter fehlen. Wie könnte dieser Bedarf an Digitalisierung im Bildungswesen verfassungsmäßig so unterlegt werden, dass diese über die Planung und den Betrieb informationstechnischer Systeme für die Zwecke der Verwaltung im Sinne des jetzt gültigen 91 c GG hinausgeht und eine gemeinsame Verantwortung für die Digitalisierung in allen Bereichen des Bildungswesens einschließt? Diese ist für deren zukunftsweisende Gestaltung genauso notwendig wie für deren nachhaltige Finanzierung. Hieran muss jetzt zügig gearbeitet werden. Ein neu definierte Gemeinschaftsaufgabe Bildungsdigitalisierung kann hier ein Weg sein.

3.Bund und Länder müssen sich endlich ehrlich machen, dass die faktische Zusammenarbeit im Bildungswesen vielfach weiter reicht als die Verfassung eigentlich strenggenommen zulässt. Und dass die Verfassung noch längst nicht so viel ermöglicht, wie es die Aufgaben und Probleme im deutschen Bildungswesen eigentlich verlangen. Hier ist eine klare und unvoreingenommene Statusanalyse unbedingt notwendig. Das Bundesbildungsministerium fördert Bildungsprojekte von „Jugend forscht“ bis zum „Haus der kleinen Forscher“, engagiert sich bei „Leistung macht Schule“ und beim Programm „Schule macht stark“ und fördert auch die allgemeine Weiterbildung. Dafür sind manche zugedrückten Augen, Dehnungen des Verfassungsverständnisses und komplizierte Konstruktionen von Programmen notwendig. Wer wollte das bei guter Absicht und breit getragenen Maßnahmen auch kritisieren? Aber ist es denn nicht zielführender, den Artikel 91 b des Grundgesetzes auf die Höhe der Zeit zu heben und zukunftsfest zu machen? Weshalb sollen Bund und Länder eigentlich nur zur „Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens“ (§ 91 b (2)) zusammenwirken und nicht bei der Förderung von dessen Leistungsfähigkeit? Der Aufbau von Personalkapazitäten an Schulsozialarbeitern als „Chancenhelfer“ an Schulen sollte doch genauso gut durch das Bundesbildungsministerium förderfähig sein wie die Förderung von Fachkräften in den Sprach-Kitas durch das Bundesministerium für Jugend und Familie. Die Bedarfe in der Bildungsbiographie von Kindern richten sich nun einmal eben nicht nach der Differenziertheit von Verfassungsbestimmungen aus. Diese Bedarfe müssen vielmehr eingelöst werden, im ganzen Land, mit gleichen Chancen. Und weshalb ist in den Begründungen für die Finanzhilfe zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der kommunalen Bildungsinfrastruktur (§ 104 c GG) nicht ausdrücklich an die gesamte Bildungskette und alle Bildungsaufgaben gedacht, sondern sind relevante Bereiche ausgeschlossen? Inklusion, Bekämpfung der Bildungsarmut und Weiterbildung sind doch als Handlungsfelder für einen kooperativen Föderalismus allemal wichtig genug.

Verfassungsfragen sind mehr als Machtfragen. Sie sind vor allen Dingen Fragen zu Antworten, die im Konsens gefunden werden und sich im Konsens bewähren müssen. Hierzu sind jetzt rechtzeitig konkrete Vorschläge notwendig, damit eine neue und bessere Bund-Länder-Zusammenarbeit nicht erst 2024, so noch die Pläne der aktuellen Bundesbildungsministerin, wirksam werden kann. Denn die Probleme drängen und gute Lösungen müssen gefunden werden. Und das möglichst schnell.

Die Autoren:

Martin Habersaat (SPD) ist Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein und dort bildungspolitischer Sprecher und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion

Ernst Dieter Rossmann (SPD) ist Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages.

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