KINDERRECHTE : "Starke Kinder brauchen starke Rechte": Grüne und Linke kritisieren Gesetzentwurf

27. November 2019 // Ulrike Günther

Kinderrechte sollen ins Grundgesetz (GG), fordern viele Parteien und Politiker*innen. Jetzt hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) der Regierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, um die Rechte von Kindern in der Verfassung zu verankern.

Spielende Kinder - Bild: pixnio
Spielende Kinder - Bild: pixnio

zwd Berlin. Dem Entwurf zufolge hätten Kinder und Jugendliche einen verbindlichen Anspruch, dass die Gesellschaft und die Bürger*innen ihre Grundrechte achten, schützen und fördern. In dem für die Belange von Familie und Erziehung einschlägigen Artikel 6 des GG würde laut Gesetzesvorlage des BMJV ein weiterer Absatz eingefügt, der ausdrücklich auf die Kinderrechte Bezug nimmt. Darin bestimmen die Verfasser*innen auch, dass das Recht von Kindern, sich innerhalb des sozialen Gefüges zu einer selbständigen Persönlichkeit zu entwickeln, zu respektieren, zu stärken und zu bewahren sei. Der Staat müsse das Kindeswohl auf allen Ebenen stets in seinem Handeln angemessen berücksichtigen, insoweit die Rechte der Minderjährigen betroffen sind. Dazu gehöre laut der Gesetzesvorlage des Bundesjustizministeriums ebenfalls, dass Kinder und Jugendliche bei jeglichen, für sie selbst wichtigen staatlichen Entscheidungen ihre Meinung rechtlich wirksam darlegen dürfen.

SPD: Linke Fraktionen sollen konstruktiv zur Debatte beitragen

Sönke Rix, familienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, begrüßte den Gesetzesvorschlag von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) als „Startschuss für die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz“, welche die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag von 2017 vereinbart hatten. Nach Ansicht seiner Fraktion wäre eine Aufnahme der Rechte von Kindern ins GG wesentlich, um zu gewährleisten, dass die Interessen von Minderjährigen in einer Vielzahl verschiedener Bereiche verstärkt mit einbezogen würden. Die "kinderfreundlichen" Fraktionen im Parlament seien nun aufgerufen, ihre Sichtweisen in die Debatte über die Änderung des GG „konstruktiv“ einzubringen.

Familien- und Sozialminister*innen mehrerer Bundesländer befürworteten zwar den Versuch der Regierung, Kinderrechte in der Verfassung festzuschreiben. Zum 30. Jahrestag der UN-Kinderkonvention sei das „ein richtiges Zeichen“, sagte die rheinland-pfälzische Staatsministerin für Jugend und Familie Anne Spiegel (Grüne) gemeinsam mit den Grünen-Jugendminister*innen von Baden-Württemberg, Hessen und Bremen. Die Minister*innen kritisierten jedoch Lambrechts Gesetzentwurf. Sie habe damit „die schwächste Variante von drei Vorschlägen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe“ aufgegriffen. „Starke Kinder brauchen starke Rechte“, unterstrichen die Minister*innen. Die Grundprinzipien des Übereinkommens der UN würden durch die Vorlage nicht in der erforderlichen Art ausgestaltet. Insgesamt halten die grünen Landespolitiker*innen den Gesetzesvorschlag, für dessen Annahme im Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich wäre, in der vorliegenden Form daher als „nicht zustimmungsfähig“.

Grüne Jugendminister*innen fordern Mitspracherecht von Kindern

Insbesondere warfen sie Lambrecht vor, dass ihrer Vorlage zufolge der Staat das Kindeswohl nicht ausreichend in sein Handeln miteinzubeziehen habe. Es sei „entscheidend, dass das Kindeswohl immer mit Priorität berücksichtigt“ werde, betonten die Minister*innen. Dabei dürfe sich die Orientierung am Wohl das Kindes nicht auf einzelne Aspekte beschränken, sondern müsse für alle Fragen und Probleme gelten, welche die „Kinder insgesamt angehen“. Außerdem habe die Bundesjustizministerin die Rechte von Kindern auf Teilhabe in ihrem Vorschlag auf die bereits vorhandenen Rechtsnormen zur Anhörung von Beteiligten vor Gericht festgelegt. Stattdessen fordern die grünen Familien- und Sozialminister*innen ein Mitspracherecht von Kindern bei allen sie betreffenden, staatlich gelenkten Angelegenheiten.

Die Grünen: Gesetzentwurf bringt für Kinder „keinen Mehrwert“

Kritik an dem Gesetzentwurf des BMVJ kam auch von den Bundestagsfraktionen von Grünen und Linken. Katja Dörner, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik der Grünen, nannte den Vorschlag von Lambrecht „sehr enttäuschend“. Die Formulierung in dem zu ändernden Gesetzestext würde laut Dörner für Kinder „keinen Mehrwert“ bringen. Sie monierte, dass ein Recht von Kindern, für sie wichtige Fragen mitzubestimmen und mitzugestalten, in dem Entwurf nicht vorgesehen sei. Ähnlich wie die grünen Jugendminister*innen der genannten Bundesländer nahm die Vize-Fraktionschefin der Grünen daran Anstoß, dass nach dem Wortlaut der Vorlage das Wohl von Kindern und Jugendlichen nur „angemessen“ zu berücksichtigen sei. Damit falle der vom BMJV erarbeitete Entwurf hinter die Vorgaben der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) zurück, welche die Bundesrepublik schon im Jahr 1992 als verpflichtend ratifiziert hat.

Der kinder- und jugendpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag Norbert Müller erklärte, der Gesetzentwurf von Lambrecht ändere „nichts an der bereits geltenden Rechtslage“. Nach Auffassung seiner Fraktion fehle es in dem Vorschlag an einem „Bekenntnis dazu, dass die staatliche Gemeinschaft Sorge für die altersgerechten Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen“ zu tragen habe. Die Standpunkte von Kindern hätten außerdem stets in adäquater Weise in alle für sie wichtigen Entscheidungen mit einzufließen. Müller signalisierte, seine Fraktion sei zu Gesprächen mit der Regierung bereit, die Vorlage müsse aber nachgebessert werden, um die für eine Zustimmung im Parlament erforderliche Mehrheit zu erhalten.

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