INTERNATIONALER FRAUENTAG [UPDATE] : Stimmen: "Wir müssen den eingeschlagenen Weg konsequent weiter gehen"

8. März 2018 // Hannes Reinhardt

Zum diesjährigen Internationalen Frauentag gab es Mahnungen aus Politik, Wirtschaft und Verbänden, dass das Ziel einer echten Gleichstellung der Geschlechter noch längst nicht erreicht sei. Der zwd hat einige ausgewählte Statements zum Aktionstag zusammengestellt.

„​Gleichstellung passiert nicht von allein
„​Gleichstellung passiert nicht von allein", mahnte Bundesfrauenministerin Katarina Barley (SPD) beim frauenpolitischen Empfang in der Französischen Botschaft in Berlin. - Bild: zwd

zwd Berlin. Wie steht es um die Gleichstellung der Geschlechter? Zum Internationalen Frauentag am 8. März gab es zahlreiche Aktionen und Stimmen. Es zeigt sich: In vielen Bereichen gibt es noch Handlungsbedarf.

Das sagen Politiker*innen und Verbände zum Weltfrauentag 2018:

Katarina Barley (SPD), Bundesfrauenministerin: „Gleichstellung passiert nicht von allein. Im Gegenteil sehen wir, dass sicher geglaubte Fortschritte wieder in Frage gestellt werden. Für uns ist klar: Wer Frauenrechte angreift, greift das Selbstverständnis unserer aufgeklärten und liberalen Demokratie an. Das gilt für Deutschland, für Europa und Weltweit. Auch bei uns bleibt noch viel zu tun – nicht zuletzt auch auf dem Arbeitsmarkt. Mit dem Entgelttransparenzgesetz haben wir im vergangenen Jahr ein wichtiges Werkzeug geschaffen, um gegen die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern vorzugehen. Wir müssen den eingeschlagenen Weg konsequent weiter gehen. Wir wollen mehr Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern am Arbeitsmarkt herstellen. Dazu gehören viele verschiedene Maßnahmen. Ich freue mich, dass wir in den Koalitionsverhandlungen eine weitere Aufwertung der Sozial- und Pflegeberufe durchgesetzt haben, in denen ja meist Frauen arbeiten. Dazu gehören etwa die Abschaffung von Schulgeldern und die Einführung einer Ausbildungsvergütung. Wir werden zudem ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit einführen. Auch davon profitieren in erster Linie Frauen, die heute allzu oft in der Teilzeitfalle landen. Außerdem ermutigen wir so die Väter, ihre Arbeitszeit vorübergehend für die Familie zu reduzieren. Wir wollen mehr Kitas gebührenfrei machen und einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für alle Grundschulkinder einführen. Dadurch stärken wir Eltern zusätzlich, Familie und Beruf gut zu vereinbaren.“

Katja Mast, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sönke Rix, frauenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion: „Damit der Fortschritt an Fahrt aufnimmt, müssen wir auf die Tube drücken - auch in Deutschland. Deshalb hat die SPD dafür gesorgt, dass zahlreiche gleichstellungpolitische Verbesserungen im Koalitionsvertrag verankert wurden. Das gilt vor allem bei der Gleichberechtigung in der Arbeitswelt: Das Recht auf befristete Teilzeit wird jetzt endlich Gesetz. Für die Gleichstellung der Geschlechter ist das ein Riesenschritt. Frauen und Männer haben endlich die Möglichkeit, nach einer Teilzeitphase wieder auf die vorherige Arbeitszeit aufzustocken – und nicht länger in der Teilzeitfalle stecken zu bleiben. Zugleich werden wir dafür sorgen, dass Berufe, in denen viele Frauen tätig sind, aufgewertet werden: Zum Beispiel in der Pflege durch bessere Bezahlung, mehr Personal und höhere Pflegestandards. Einen wichtigen Schwerpunkt setzen wir bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Wir werden diese Frauen stärken, indem wir ihnen den sicheren und geschützten Weg aus der Gewaltspirale ermöglichen: mit einem Aktionsprogramm zur Prävention von Gewalt, der Verbesserung des Hilfesystems und einer gesicherten Finanzierung von Frauenhäusern. Für die SPD-Bundestagsfraktion ist klar: Wir werden das Tempo hochhalten und auch dort weiter Druck machen, wo im Koalitionsvertrag noch keine konkreten Vereinbarungen getroffen werden konnten. Das gilt zum Beispiel im Bereich Führungspositionen in der Privatwirtschaft, beim Thema Entgeltgleichheit, aber auch bei der gleichberechtigten politischen Teilhabe von Frauen. Fast 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts müssen wir feststellen, dass der Anteil von Frauen im Bundestag seit der jüngsten Bundestagswahl gesunken ist: Von zuletzt 36,5 Prozent auf nunmehr 30 Prozent. Das ist eindeutig zu wenig. Es ist unsere Pflicht dafür zu sorgen, dass im Bundestag, im Europaparlament und in den Kommunalparlamenten Frauen zur Hälfte das Sagen haben. Um diese Missstände 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts zu beenden, müssen wir jetzt handeln.“

Nadine Schön, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „Der Weltfrauentag 2018 steht unter dem Motto „Press for Progress“, also weitermachen, dranbleiben. Das ist für uns selbstverständlich! Wir haben frauenpolitisch viel erreicht. Dennoch bleibt der Auftrag, auf dem Weg zur Gleichberechtigung und Chancengleichheit nicht stehen zu bleiben, sondern ihn konsequent weiter zu gehen. Der Internationale Frauentag 2018 ist wegen des 100-jährigen Jubiläums des Wahlrechtes für Frauen in Deutschland ein besonderer Frauentag. Für uns ist es heute selbstverständlich, dass Frauen genauso wählen und gewählt werden können wie Männer. Aber immer noch ist es nicht selbstverständlich, dass Frauen ein politisches Mandat anstreben und dann auch gewählt werden: Der Deutsche Bundestag zeigt das: Sein Frauenanteil ist in dieser Legislaturperiode von knapp 37 Prozent auf etwa 30 Prozent gefallen. Das ist ein Schritt zurück. In den Landes- und Kommunalparlamenten sieht es nicht besser aus. Ein demokratisches Gemeinwesen kann sich aber nicht damit zufriedengeben, dass die eine Hälfte der Bevölkerung nicht angemessen repräsentiert ist. Daher steuern wir im Koalitionsvertrag gegen: Um eine höhere Repräsentanz von Frauen in der Politik zu erreichen, haben wir vereinbart, bewährte politische Programme zu verstetigen, die Frauen auf dem Weg in ein politisches Amt unterstützen, wie das Helene-Weber-Kolleg und den Helene-Weber-Preis."

Julia Klöckner, stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende: „Meine Generation Frauen kann dankbar für die Vorarbeit vieler Frauen und Männer vor uns sein, die Vieles erkämpft haben, was heute selbstverständlich ist. Frauen und Männer sind in unserem Land gleichberechtigt, und wir sind noch lange nicht da angelangt, wo wir keine Frauen- und Gleichberechtigkeitsförderung mehr brauchen. Doch manchmal drängt sich der Eindruck auf, dass sich manche da verkämpfen, wo es nichts ‚kostet‘ und wo es nicht um die elementaren Probleme geht. Wer die Nationalhymne gendergerecht umschreiben möchte und jeden angeht, der die Sternchenschreibweise oder nur die männliche Form in Texten benutzt, verliert den Blick für die wirklichen Herausforderungen in der Frauenförderung. Frauen, die in patriarchalisch geprägten Familien aufwachsen und nicht selbstbestimmt und gleichwertig ihr Leben in Deutschland leben dürfen, die sich von Männern gemachten Kleiderordnungen bis hin zur Vollverschleierung und Unkenntlichmachung beugen müssen, solche Frauen brauchen unsere Solidarität – und nicht unsere Ignoranz, die gerne mit Toleranz verwechselt wird. Solange Mädchen in Augen mancher fundamentalistischer Männer weniger wert sein sollen, solange Mädchen nicht am Schwimmunterricht und der Klassenfahrt teilnehmen dürfen, solange Lehrerinnen von patriarchalisch sozialisierten Jungs und Vätern nicht akzeptiert werden, solange es Männer gibt, die glauben, aus verletztem Ehrgefühl das Leben von Frauen auslöschen zu dürfen – solange haben wir alle unsere Hausaufgaben auch in der Integrationspolitik nicht gemacht. Die Rolle der Frau entscheidet über den Integrationserfolg in unserem Land. Denn eines steht fest: Gleichberechtigung von Mann und Frau gilt für alle in unserem Land lebenden Menschen, gleich, woher sie kommen!"

Nicole Bauer, frauenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion: „Frauen müssen die Möglichkeit haben, sich aus veralteten Rollenmodellen zu lösen. Dabei ist die Digitalisierung der Schlüssel zu mehr Selbstbestimmtheit: Homeoffice und Jobsharing sind echte Lösungen, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Zudem brauchen Frauen mehr Flexibilität, beispielsweise durch Langzeitkonten. Bei der Kinderbetreuung sind erweiterte Öffnungszeiten, von der Kita, über den Hort bis zur Ganztagsschule wichtig. Betreuungsangebote müssen erschwinglich und hochwertig sein. Nicht nur in Städten, sondern besonders im ländlichen Raum sind solche Angebote unerlässlich, um Frauen in der Rush Hour des Lebens zur Seite zu stehen. Wenn es uns durch ein solches Umdenken in der Arbeitswelt gelingt, dass Frauen so selbstverständlich wie Männer im Chefsessel sitzen, sie für die gleiche Leistung gleich bezahlt werden und Familie und Beruf miteinander vereinbaren können, dann würde sich auch die Diskussion um genderspezifische Sprache und die Änderung der Nationalhymne erübrigen.“

Natascha Kohnen, Landesvorsitzende der BayernSPD: „Wir feiern heuer 100 Jahre Frauenwahlrecht. Von echter Gleichstellung der Geschlechter sind wir aber leider immer noch weit entfernt. Erst wenn wir über Gleichstellung gar nicht mehr reden müssen, dann haben wir es als Gesellschaft geschafft. Wenn es beispielsweise völlig klar ist, dass Frauen und Männer gleich viel verdienen. Wenn gar nicht mehr darüber diskutiert wird, dass Frauen und Männer Unternehmen gemeinsam führen, erst dann haben wir Gleichstellung wirklich geschafft. Um Frauen das Recht auf ein selbstbestimmtes, wirtschaftlich unabhängiges Leben zu gewährleisten, sind noch Riesenschritte zu tun. Nicht nur bei der Bezahlung klafft eine Lücke zwischen den Geschlechtern, auch in der Arbeitszeit. Teilzeitjobs sind weiblich, weil Frauen oft für die Familie beruflich zurückstecken. So wird aus der Teilzeitfalle später die Rentenfalle. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass Frauen und Männer die Möglichkeit haben, nach einer Teilzeitphase wieder in Vollzeit zurückzukehren. Ein wichtiger Schritt, aber die Liste der Gleichstellungsforderungen ist noch lang. 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts ist das deutsche Parlament so männlich wie seit 20 Jahren nicht mehr. Nur ein Drittel der Abgeordneten sind Frauen. Darum setzen wir uns ein für mehr Frauen in Führungspositionen, für mehr Frauen in den Parlamenten und Rathäusern."

Abgeordnetenhaus Berlin: Lars Düsterhöft (Sprecher für Arbeit der SPD-Fraktion), Ines Schmidt (Sprecherin für Frauen- und Gleichstellungspolitik der Linksfraktion) und Anja Kofbinger (Sprecherin für Frauen- und Gleichstellungspolitik der Grünen-Fraktion): „Am Internationalen Frauentag feiern wir in diesem Jahr 100 Jahre Frauenwahlrecht. Macht, Arbeit, Einkommen - noch immer sind Frauen in unserem Land nicht 100 Prozent gleichberechtigt. Mit dem Antrag bekennt sich das Abgeordnetenhaus zu einer konsistenten und zukunftsweisenden Gleichstellungspolitik. Gleichzeitig soll das Tempo der Umsetzung frauenpolitischer Forderungen erhöht werden, damit gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen endlich gelebte Realität werden kann. Im Berliner Abgeordnetenhaus beträgt der Frauenanteil aktuell lediglich 33 Prozent – und ist damit so gering, wie seit 15 Jahren nicht mehr. Ein Blick in die Zahlen verrät, dass dafür maßgeblich AfD, CDU und FDP verantwortlich sind. Dieser Frauenanteil verstößt unserer Meinung nach gegen das verfassungsrechtliche Gleichstellungsfördergebot. Rot-Rot-Grün prüft daher die Einführung eines Parité-Gesetzes, um die paritätische Beteiligung von Frauen an der politischen Willensbildung in Parlamenten, Ämtern und Gremien sicherzustellen.“

Zaklin Nastic, menschenrechtspolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion: „100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland sind keine 100 Jahre der Gleichberechtigung. Frauen verdienen in Deutschland 21 Prozent weniger als Männer und bilden mit 65 Prozent die größte Gruppe im Niedriglohnsektor. Deutschland gehört im europäischen Vergleich zu den Schlusslichtern, was Gleichstellung betrifft. Der alte und durchaus aktuelle Slogan ‚Frauenrechte sind Menschenrechte‘ muss endlich faktisch umgesetzt werden. Dass Frauen überproportional von Armut betroffen sind und im Niedriglohnsektor beschäftig sind ist eben kein Naturgesetz sondern Folge politischer Entscheidungen. Wer von Frauenrechten spricht, wie es Bundesministerin Barley tut, muss dafür sorgen, dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 12 Euro eingeführt wird, gleiche Entlohnung für gleichwertige Arbeit gesichert ist und wirksamen Schutz vor Gewalt gegen Frauen gewährleisten. Der 8. März ist als internationaler Tag der feministischen Bewegung keinesfalls überholt, er ist auch in Anbetracht der perfiden Instrumentalisierung von rechts von großer Bedeutung."

Prof.´in Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds e.V. (djb): „Mit der Kampagne #timesup sagen Menschen weltweit sexualisierter Gewalt und sexueller Belästigung den Kampf an. Die Gleichberechtigung von Frauen in unserer Gesellschaft muss weiterhin aktiv eingefordert werden. Die beste Zeit, für Frauenrechte und Gleichberechtigung einzutreten, ist jetzt. Der notwendige gesellschaftliche Wandel hat noch viele Baustellen - Entgeltungleichheit, Altersarmut, Ehegattensplitting, Mini-Jobs, zu wenige Frauen in den Parlamenten und in den Spitzenpositionen von Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. Wir werden die neue Bundesregierung an den Zielen des Koalitionsvertrags messen und erwarten, dass auch in dieser Legislaturperiode große Schritte in Richtung einer geschlechtergerechten Gesellschaft vollzogen werden."

Monika Schulz-Strelow, Präsidentin der Initiative Frauen in die Aufsichtsräte e.V. (FidAR): „Das Kanzleramt hat einen weiblichen CEO und wir werden mehr Ministerinnen in der Regierung haben als je zuvor. Aber die 30 DAX-Konzerne werden weiterhin vorrangig von Männern regiert. Frauen gelangen fast nur dort in Spitzenpositionen, wo es das Gesetz vorschreibt. Daher plädieren wir dafür, den Druck zu verschärfen. Die Aufsichtsräte und Vorstände könnten endlich mehr Mut zeigen. Wenn die Politik Spitzengremien mit 50 Prozent Frauen besetzt, kann die Wirtschaft das auch. Wir haben in der Aktion der Berliner Erklärung vor der Bundestagswahl von Akteuren der neuen Regierung eindeutige Zusagen dafür erhalten, die gleichberechtigte Teilhabe weiter zu stärken. Wir nehmen die Politik beim Wort. Nachdem der Koalitionsvertrag keine Ausweitung der Quote für die Unternehmen vorsieht, da die Wirtschaft – wie es heißt – nicht weiter belastet werden soll, nehmen wir die Unternehmen besonders unter die Lupe, die zwar der Quote nicht unterliegen, aber Zielgrößen für den Frauenanteil in Führungspositionen festlegen mussten. Denn bei ihnen besteht der größte Nachholbedarf. Wir erwarten mehr als nur vage Formulierungen."

Stefanie Bschorr, Präsidentin des Verbandes deutscher Unternehmerinnen (VdU): „Frauen leisten einen hohen Beitrag zur Wirtschaftskraft unseres Landes, als Unternehmerinnen, als Managerinnen, als Erwerbstätige, deren Potenzial für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand es entschieden zu fördern gilt. Statt im Detail die finanzielle Unterstützung für Haushaltshilfen mit Kleinstbeträgen zu regeln, hätte man an die großen Themen rangehen sollen. Ganz oben auf der Dringlichkeitsliste der Unternehmerinnen steht eine Reform des Ehegattensplittings: Das Steuerrecht muss Frauen zur Aufnahme einer möglichst vollzeitnahen Erwerbstätigkeit ermuntern, anstatt abzuschrecken. Es ist gut, wenn die Politik in ihren eigenen Reihen die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen jetzt abbildet und mit paritätischen Besetzungen im Kabinett als gutes Beispiel vorangeht. Wichtig sind nun auch deutliche Signale für die Frauen in der Wirtschaft, denn hier zeigt sich schließlich, wie es um die Gleichstellung in unserer Gesellschaft steht. Wir brauchen keine Rosen zum 8. März, wir brauchen klare Fortschritte für die Frauen in der Wirtschaft."

Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe / Frauen gegen Gewalt e.V. (bff), Leiterin Katja Grieger: Öffentlichkeit ist wichtig, wenn es darum geht sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu thematisieren. Immer noch werden die Gewalt und ihre Folgen verschwiegen oder bagatellisiert, werden Täter gedeckt. Zu oft wird den Betroffenen nicht zugehört oder ihnen nicht geglaubt. #MeToo schafft noch immer Aufmerksamkeit für Gewalt, die viele Frauen erfahren. „Wir als Fachverband freuen uns über diese mediale Präsenz des Themas. Das Ausmaß der Gewalt und die Machtdynamiken dahinter sind nicht neu. Aber die öffentliche Debatte darüber ist es.“ Laut Studien erleben 60% aller Frauen in Deutschland sexuelle Belästigung, viele davon am Arbeitsplatz. „Um gegen sexuelle Diskriminierung und Gewalt am Arbeitsplatz vorzugehen, braucht es eine klare Haltung seitens der Unternehmensleitungen. Sie müssen Verantwortung übernehmen.“ Es braucht zugleich funktionierende Strukturen, einen Plan, wie bei Vorfällen sexueller Belästigung vorgegangen wird. Wichtig sind auch präventive Maßnahmen und geschulte Ansprechpersonen und ein Wissen darum, wo Betroffene professionelle Unterstützung finden. „Niemand muss das Rad neu erfinden. Es gibt Erfahrungen, welches Vorgehen bei Gewalt am Arbeitsplatz sinnvoll ist; es gibt Betriebe, die sich bereits auf den Weg gemacht haben. Und es gibt professionelle Fachberatung, die seit Jahrzehnten sexuell belästigte Frauen und ihre Unterstützer_innen berät, aber auch Betriebe, die dagegen vorgehen wollen. Die Expertise ist da. Um sie ausreichend aktivieren zu können, brauchen die Beratungsstellen jedoch deutlich mehr Ressourcen.“ Das Thema gehört auch auf die politische Agenda. Damit klargestellt wird, dass der Schutz vor sexueller Gewalt am Arbeitsplatz keine freiwillige Leistung, sondern Pflicht der Arbeitgeber_innen ist, und damit die notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz muss endlich umgesetzt werden. Arbeitgeber_innen müssen ihren Pflichten zum Schutz der Beschäftigten nachkommen und Arbeitnehmer_innen, müssen ihre Rechte kennen. Politische Haltung ist auch gefragt, damit das Thema sexuelle Gewalt nicht von rechts vereinnahmt und für eine rassistische Agenda genutzt wird. „Wir wünschen uns, dass es ein Ergebnis der #MeToo-Debatte ist, dass möglichst Viele Verantwortung übernehmen und sich strukturiert auf den Weg machen, gegen Gewalt am Arbeitsplatz vorzugehen. Das Thema auf diese Weise anzugehen ist zwar nicht so schillernd wie die öffentliche Debatte es in Teilen ist. Aber es ist hilfreich.“

Hildegund Rüger, Präsidentin des Bayerischen Landesfrauenrates: „Mit ihrem 1949 erschienenen Werk ,Das andere Geschlecht' beeinflusste de Beauvoir die Frauenbewegung in ganz Europa wie kaum eine andere. Sie analysierte damals die Lage der Frau in einer von Männern beherrschten Gesellschaft und forderte radikale Veränderungen. Fast zeitgleich arbeiteten Männer und Frauen im Parlamentarischen Rat an einer demokratischen Verfassung für den neuen deutschen Staat. Selbstverständlich war es nicht, dass der Gleichberechtigungsartikel in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurde. Lange war dabei nur von den ,Vätern des Grundgesetzes' die Rede. Hartnäckig haben vier Frauen (Dr. Elisabeth Selbert, Frieda Nadig, Helene Weber und Helene Wessel), als die ,Mütter des Grundgesetzes' bekannt, gekämpft und es geschafft, 1949 fünf entscheidende Wörter ins Grundgesetz zu bringen: ,Männer und Frauen sind gleichberechtigt.' (Artikel 3 Abs. 2 GG) Ich denke, dass wir immer noch zwischen der rechtlichen und der tatsächlichen Gleichberechtigung und Chancengleichheit der Frauen unterscheiden müssen. Auf einer Skala von 0 bis 100 taxieren die Frauen den derzeitigen Stand der Gleichberechtigung auf 60 bis 70 Prozent. Obwohl das Grundrecht seit vielen Jahrzehnten besteht, haben wir in Deutschland – fast 70 Jahre später – gerade einmal etwas mehr als die Hälfte des Weges beschritten. Das Ziel, die Verwirklichung der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern wird der Bayerische Landesfrauenrat mit Konsequenz und Biss weiterverfolgen."

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