zwd-CHEFREDAKTEURIN HILDA LÜHRIG-NOCKEMANN : Wie erreichen wir für Kinder den Ausstieg aus der Armutsspirale?

15. März 2017 // ticker

Die Altersamut hat ihren Ursprung nicht nur im zu niedrigen Rentenniveau von unter 50 Prozent des Nettoeinkommens. Oftmals ist sie nur die Fortsetzung einer Armutsspirale, die in der Kindheit begon-nen hat. Und deshalb steht es unserer Wohl-standsgesellschaft gut zu Gesicht, Armut von Kindern nicht zuzulassen. Jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm oder von Armut bedroht.

Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann
Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann

Das belegen nicht nur die Studien der Bertelsmann-Stiftung und des Paritätischen Gesamtverbandes, sondern auch der Entwurf des Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der sich gegenwärtig in der zweiten ministeriellen Abstimmungsrunde befindet.

Demnach unterliegen bis zu 2,4 Millionen Kinder einem Armutsrisiko. Zu hoffen ist, dass einige Kinder der Armutsfalle entrissen werden, wenn im Juli dieses Jahres endlich das von Bundesfrauen- und -familienministerin Manuela Schwesig (SPD)

durchgeboxte neue Gesetz zum Unterhaltsvorschuss greift (der zwd berichtete in Ausgabe 346). Doch jedes siebte Kind wird leer ausgehen, weil es von Hartz IV lebt und hier der Unterhaltsvorschuss in voller Höhe angerechnet wird. Das kann nicht im Interesse des Kindes liegen. Bei der Ermittlung des Regelbedarfs werden für Kinder zwischen sechs und 14 Jahren für die Bildung pro Monat gerade einmal 1,40 Euro veranschlagt. Für 16,80 Euro im Jahr kann man bei einer Internet-Firma einen Pelikan Deckfarbkasten für 7,99 Euro kaufen anstatt des empfohlenen Richtpreises von 12,49 Euro und ein Pinselstarterset für 3,49 Euro. Dann blieben in dem Jahr noch 5,32 Euro für Zeichenblöcke, Hefte, Stifte, Radiergummi, Anspitzer usw. Und die Kinder, deren Eltern über keinen Internetzugang verfügen – laut der Bertelsmann-Studie immerhin 14 Prozent der Familien, die Hartz IV beziehen – bekommen noch weniger fürs Geld. Es verwundert nicht,

dass Kinder, für die nur ein finanzielles Minimum für Bildung vorgesehen ist, oftmals auch mit einem Minimum an Bildung die Schule verlassen!

Kinder zwischen sechs und 14 Jahren bekommen eine staatliche Unterstützung, sprich Hartz IV, in Höhe von 291 Euro. Im Vergleich dazu bewegt sich laut Düsseldorfer Tabelle der Beitrag bei sechs- bis elfjährigen Kindern zwischen 393 und 629 Euro, je nach Nettoeinkommen (hier zwischen 1.501 und 5.100 Euro) des/der Unterhaltspflichtigen. Ein Teufelskreis für die Kinder, die von Hartz IV leben müssen! Sie haben keine Chance mit Kindern aus gesicherten Verhältnissen mitzuhalten – ob es um die Mitgliedschaft im Sportverein oder den Unterricht an der Musikschule geht. Kinder, die von der Teilhabe ausgeschlossen sind, werden häufig auch von sozialen Kontakten ausgeschlossen; Armut geht mit sozialer Ausgrenzung einher – auch für Kinder.

Die Armut der Eltern darf aber nicht an die Kinder und damit ihr weiteres Leben vererbt werden. Die Politik ist gefragt, damit in einem der reichsten Länder der Welt Kinder nicht in der Armutsfalle gefangen bleiben. Erste Reaktionen liegen vor. Der Familienausschuss hat in diesem März Kinderarmut in einer öffentlichen Anhörung thematisiert. In Berlin will sich Rot-Rot-Grün unter Federführung von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) beim Bund für höhere Regelsätze für Hartz IV vor allem für Kinder einsetzen. Die Grünen beabsichtigen, in ihrem Wahlprogramm eine „Kindergrundsicherung“ aufzunehmen, „die die bisherige Förderung zu einer einheitlichen Leistung für alle Kinder zusammenfasst“. Diese geforderte finanzielle Aufstockung ist sicherlich notwendig, aber nicht ausreichend. Für Kinder in Armut muss auch eine zuverlässige Teilhabe in den Lebensbereichen Bildung, Kultur und Sport gesichert werden. Und dazu brauchen sie uns Erwachsene. Unsere Debattenfrage lautet: Wie erreichen wir für Kinder den Ausstieg aus der Armutsspirale?

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