EU-RICHTLINIE GEGEN GEWALT AN FRAUEN : Umkämpfter Gewaltschutz: SPD-Frauen kritisieren Justizminister

11. November 2023 // Ulrike Günther

Um den Vorschlag der Europäischen Kommission (EK) für Strafverfolgung von Gewalttaten gegen Frauen und verbesserten Opferschutz gibt es in der EU Streit: Der Europäische Rat (EUCO) hat im Entwurf den Tatbestand der Vergewaltigung ersatzlos gestrichen. Mehrere EU-Staaten haben Protest eingelegt, Feminist:innen fordern die Bundesregierung auf, sich für die Aufnahme des Paragraphen einzusetzen. Die SPD-Frauen sehen vor allem Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) in der Pflicht.

Das EU-Gewaltschutzpaket soll sexualisierte Straftaten besser bekämpfen - Bild: Pixabay/Tumisu
Das EU-Gewaltschutzpaket soll sexualisierte Straftaten besser bekämpfen - Bild: Pixabay/Tumisu

zwd Berlin. „Wir akzeptieren die Entscheidung von Bundesjustizminister Buschmann nicht“, erklärte die Co-Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) Maria Noichl in einem Kommentar vom 08. November. Buschmann müsse für ein „europäisches ´Nein heißt Nein´“ kämpfen. Seine Haltung in der Frage bilde die Grundlage dafür, dass die Bundesrepublik im EUCO nicht für die Regel eintrete, wonach – seit 2016 auch gemäß deutschem Recht – jede gegen den „erkennbaren Willen“ der Betroffenen ausgeübte sexuelle Handlung unter Strafe fällt. Das sei „für Millionen Frauen in Europa eine Katastrophe“, so die SPD-Frauen. Noichl rief Buschmann auf, „wie ein Minister“ zu handeln. Es sei „auch in der Verantwortung Deutschlands, dass der Schutzstatus einer Frau in der EU nicht vom Wohnort abhängig ist!“

EP möchte Geltungsbereich der Richtlinie erweitern

Der Justizminister beruft sich auf das Rechtsgutachten des EUCO, wonach eine entsprechende strafgesetzliche Regelung nicht innerhalb des EU-Kompetenzrahmens liege. Demgegenüber ergänzte das Europäische Parlament (EP) in seinem Konzept für eine legislative Entschließung vom Juli den Geltungsbereich der geplanten EU-Richtlinie noch um weitere Straftaten, wie sexuelle Übergriffe, Zwangsheirat oder Belästigung am Arbeitsplatz. Der Bundesrat hatte bereits ein Jahr vorher (Drs. 131/ 22) ausdrücklich begrüßt, dass durch den von der EK festgesetzten Rahmen der Strafbarkeit von Vergewaltigung „ein umfassender Schutz des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung innerhalb der gesamten EU gewährleistet würde“.

Mit dem Vorschlag für eine „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ vom März 2022 strebt die EK nach eigenen Angaben an, die relevanten Rechtsinstrumente wirksamer zu gestalten, Lücken bei Schutz, Prävention, Zugang zum Justizwesen und Kooperation zu füllen sowie die EU-Vorschriften an internationale Normen anzupassen. Im Einzelnen sieht die Kommission u.a. Maßnahmen vor, welche „Vergewaltigung auf der Grundlage einer fehlenden Zustimmung“, weibliche Genitalverstümmelung (FGM) und bestimmte Arten von Cybergewalt EU-weit strafbar machen und das Recht von Opfern auf adäquaten, ihre besonderen Bedürfnisse berücksichtigenden Schutz stärken.

Appell der Frauenverbände: EU soll Vergewaltigung unter Strafe stellen

In einem „Offene(n) Brief zur EU-Gewaltschutzrichtlinie“ vom 30. Oktober appellierten rund 40 feministische Organisationen, angeführt vom Deutschen Frauenrat (DF) und der European Women´s Lobby (EWL), an die Koalitionsregierung, aktiv dafür einzutreten, „dass Vergewaltigung als Tatbestand in das EU-Gewaltschutzpaket aufgenommen wird“, und sich den EU-Staaten Belgien, Italien, Griechenland und Luxemburg anzuschließen. Diese hatten in einer gemeinsamen Erklärung ihr tiefes Bedauern darüber geäußert, dass es „an politischem Ehrgeiz“ mangele, „den Straftatbestand der Vergewaltigung unter Strafe zu stellen“. Sie reagierten damit auf die im Juni vom EUCO bekanntgegebene „allgemeine Ausrichtung“, worin dieser lediglich einer Kriminalisierung von FGM, Cyber-Gewalt und nicht-einvernehmlicher Verbreitung von Intimbildern zustimmte, Straftaten wie Vergewaltigung, sexuellen Missbrauch und Belästigung jedoch unter die jeweils gültigen nationalen Rechtsvorschriften einordnete. Wenige Tage zuvor hatte der EUCO den EU-Beitritt zur IK gebilligt.

Die das Schreiben unterzeichnenden Verbände, darunter DGB, Deutscher Juristinnenbund (djb) und das Forum Menschenrechte, betonten, die Richtlinie sei eine „einzigartige und einmalige Möglichkeit, Vergewaltigung in der gesamten EU strafrechtlich zu verfolgen und (insbesondere) Frauen zu schützen“. Die bundesdeutsche Gesetzgebung habe die Strafbarkeit „eines der schwersten Verbrechen gegen Frauen“ nach den Vorgaben der Istanbul-Konvention (IK) durch die Reform von 2016 weiter gestärkt. Die Feminist:innen monierten die dennoch von der Bundesregierung geltend gemachten „unionsrechtliche(n) Bedenken“. Das Hauptargument des EUCO bezeichneten sie als „unhaltbar“, da „sexuelle Ausbeutung von Frauen“ in Artikel 83 (1) des Vertrags über die Funktionsweise der EU (AEUV) genannt sei, auf den sich der Kommissionsvorschlag als wesentliche Rechtsgrundlage stützt.

EK und djb: Vergewaltigung als sexuelle Ausbeutung

Unter Rückgriff auf eine Stellungnahme des djb bekräftigten die Frauenrechts-Vereine, „dass Vergewaltigung sexuelle Ausbeutung“ sei. Gleichzeitig verwiesen sie auf eine Unterschriftenaktion der EWL, bei der inzwischen fast 100.000 Unterstützer:innen verlangen, Vergewaltigung als Straftat in die geplante EU-Richtlinie einzubeziehen. Im Entwurf der EK heißt es wörtlich: Vergewaltigung „ist mit einem Machtungleichgewicht zwischen Täter und Opfer verbunden, das es dem Täter ermöglicht, das Opfer zum Zwecke der persönlichen Befriedigung, der Behauptung der Herrschaft, der Erlangung sozialer Anerkennung oder möglicherweise des finanziellen Gewinns sexuell auszubeuten“ (Absatz 13 EK-Entwurf). Ähnlich hatte der djb Vergewaltigung wie auch FGM als „genuin ausbeuterisch und Ausdruck eines strukturellen und geschlechterdiskriminierenden Machtgefälles“ bewertet.

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