INTERNATIONALE FRAUENRECHTE : UN-Resolution gegen Genitalverstümmelung: Bundesregierung sieht keinen wirklichen Handlungsbedarf

11. Februar 2013 // zwd Berlin (kl).

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat am 20. Dezember 2012 einen maßgebenden Schritt getan, um sexualisierte Gewaltverbrechen an Frauen zu überwinden: Einstimmig verabschiedeten 194 UnterzeichnerInnenstaaten eine Resolution zum internationalen Verbot von Praktiken der weiblichen Genitalverstümmelung. Ein wichtiges Bekenntnis, das nach dem Urteil von Frauenrechts- und Menschenrechtsorganisationen jedoch lange überfällig war.Foto: UN Photo/ Tobin Jones

Um Mädchen und Frauen vor Verstümmelung an Genitalien zu schützen fordert die Resolution alle UN-Mitgliedsstaaten auf, schnellstmöglich konkrete Maßnahmen bis hin zu einem Verbot der menschenrechtswidrigen Riten zu treffen. Weibliche Genitalverstümmelung (engl.: Female Genital Mutilation, FGM) könne nur erfolgreich bekämpft werden, wenn Regierungen weltweit mit Fachleuten und Gemeinden zusammenarbeiteten, erklärte der stellvertretende Generalsekretär von UN Women, John Hendra, anlässlich der verabschiedeten UN-Resolution.

Nur Verbote und Bestrafungen bringen Mentalitätswandel

Hendra ist überzeugt, allein durch glasklare Rechtssicherheit und gezielten Opferschutz die Fälle derartiger sexualisierter Gewalttaten verringern zu können. Um TäterInnen vor Gericht zu bekommen gelte es, auf die nationalen EntscheidungsträgerInnen nachhaltig Einfluss zu nehmen. Die in vielen Kulturen mit hohem Prestige verbundenen Riten könnten erst erfolgreich bekämpft werden, wenn es gelinge, soziale Normen und ethische Muster zu durchbrechen. Dies zeige sich beispielsweise in den Ländern Burkina Faso und Benin. In den afrikanischen Nachbarstaaten hat das Verbot von FGM die sexualisierte Gewaltpraxis noch nicht vollständig eindämmen können. In Burkina Faso hatten Frauenrechtsorganisationen bereits im Jahr 1996 ein Verbot mit hohen Strafandrohungen für Eltern, BeschneiderInnen und alle aktiv Beteiligten erreicht. Im Jahr 2003 folgte Benin. Es zeigte sich jedoch schnell, dass der Kampf gegen solch tradierte Praxen komplex und langwierig ist.

Deutsche Rechtslage bis heute defizitär

In Deutschland kritisieren die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), die Grünen-Bundestagsfaktion und zahlreiche Frauenrechtsorganisationen, dass Deutschland seit langem mit einer eindeutigen rechtlichen Regelung zögert, obwohl FGM international geächtet und in vielen zuvor praktizierenden Staaten verboten ist. Nachdem sich der Bundestag Mitte 1998 erstmals mit der Materie befasst hatte, bestand über die Zielrichtung – Präventions- und Hilfsmaßnahmen, Sensibilisierung und Schulung von medizinischem und anderem Fachpersonal, sowie Schwerpunktsetzung in der Entwicklungszusammenarbeit – weitgehende Einigkeit. Die Notwendigkeit eines eigenständigen Straftatbestandes hingegen, für den sich diverse Frauenrechtsorganisationen und Betroffene einsetzen, wird in der politischen Debatte kontrovers gesehen. Anträge verschiedener Parteien, auch ein interfraktioneller Vorstoß von 2009 und eine Bundesratsinitiative im darauf folgenden Jahr, brachten keine Entscheidung.

Die Grünen haben im Bundestag zuletzt im Februar 2011 eine Ergänzung des Strafrechtsparagraphen 226 (schwere Körperverletzung) um den ausdrücklichen Tatbestand FGM beantragt (Drs. 17/4759). Die Inhalte des Grünen-Gesetzentwurfs decken sich mit den Forderungen der ASF und vieler Frauenrechtsorganisationen. Nach der ersten Lesung im Bundestag am 9. Februar 2012 wurde die Gesetzesinitiative interfraktionell an die zuständigen Ausschüsse (Frauen- und Jugendausschuss, Gesundheitsausschuss und Menschenrechtsausschuss) überwiesen. Kurz darauf lehnte es die Bundesregierung ab, weibliche Genitalverstümmelung als eigenen Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Auf eine Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion (Drs. 17/8811) ‚Wirksame Bekämpfung der Genitalverstümmelung‘ antwortete die Bundesregierung am 26. März 2012, es bestünde kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf bei Genitalverstümmelung (Drs. 17/9005). Die schwarz-gelbe Regierungskoalition argumentierte, FGM sei in Deutschland nach geltendem Recht bereits strafbar. Genitalverstümmelung stelle eine vorsätzliche Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs dar (§ 223 StGB, § 224 Absatz 1 Nummer 2 StGB). Ob zusätzlich der Tatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen erfüllt sei, hänge jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab, heißt es in der Antwort. Ein zwingender gesetzgeberischer Handlungsbedarf für die Schaffung eines eigenen Straftatbestandes bestehe deshalb aus Sicht der Bundesregierung nicht.

Nationaler Aktionsplan gegen FGM lange überfällig

Neben der Anerkennung als eigener Strafrechtstatbestand fordert das bundesweit größte Netzwerk zur Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung (INTEGRA) seit Jahren einen Nationalen Aktionsplan gegen FGM. Zweck wäre eine nationale Strategie zur Bekämpfung von FGM zu entwickeln, um Betroffene besser schützen zu können. Eine vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im April 2009 ins Leben gerufene ‚interministerielle Bund-Länder-NRO-Arbeitsgruppe‘ gegen weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland‘ (Drs. 16/9420) hatte zwar bereits in ihrer zweiten Sitzungen im September 2009 beschlossen, einen Nationalen Aktionsplan zu entwickeln. Nach dem Regierungswechsel von Schwarz-Rot zu Schwarz-Gelb und entsprechenden personellen Neubesetzungen habe das Interesse am Thema jedoch gefehlt, erläuterte der Rechtsexperte und INTEGRA-Sprecher, Dirk Wüstenberg im zwd-Gespräch. Die Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Genitalverstümmelung löste sich auf. Seitdem liegt das Vorhaben eines Nationalen Aktionsplans gegen FGM auf Eis.

International hatte FGM Mitte der 1990er Jahre breite Öffentlichkeit erlangt, als die amerikanische Feministin Fran P. Hosken mit dem sogenannten ‚Hosken-Report‘ die Praxis der ‚Genitalverstümmelung‘ thematisierte. Hosken zählte erstmals 28 afrikanische Länder, ihre Beschneidungsriten und Maßnahmen zur Bekämpfung auf. Im Jahr 1998 löste die Autobiographie ‚Wüstenblume‘ von Waris Dirie international große Empörung aus. Fünf Jahre später folgte auf Initiative der Nichtregierungsorganisation ‚Inter-African Committee on Traditional Practices Affecting the Health of Women and Children‘ (IAC) die Ernennung des 6. Februars zum ‚Internationalen Nulltoleranztag gegen Verstümmelung weiblicher Genitalien‘. Analog definierte die ‚Afrikanische Union für die Rechte von Frauen in Afrika‘ weibliche Genitalverstümmelung erstmals als Straftat. Das entsprechende Maputo-Protokoll (2003) gilt als Meilenstein in der FGM-Bekämpfung. Der nächste große Schritt zur Verringerung von FGM waren die Abkommen aus Peking (2008).

Internationale Beschlüsse zeigen wenig Wirkung

Da Staaten und PolitikerInnen den vielen Beschlüssen wenig Taten folgen ließen, sind die Erfolge gering geblieben. Immer wieder müsse das ‚unpopuläre‘ Thema FGM auf der politischen Agenda landen, so Wüstenberg. Den neuen UN-Vorstoß begrüße er zwar als Fortsetzung der jahrzehntelangen internationalen Lobbyarbeit für Frauenrechte, bezweifele jedoch, dass sich die Verfahrensweise mit FGM-Opfern und StraftäterInnen konkret verbessere. In Deutschland sei Körperverletzung schon immer eine Straftat, was implizit für die Praktiken der Genitalverstümmelung gelte. Doch FGM wurde in Europa erst durch die Einwanderungswellen aus Afrika und Asien zum Problem. Zwar könne FGM immer noch als Minderheitenthema gesehen werden, aus menschenrechtlicher Sicht sei es aber von tragender Bedeutung, diese Taten strafrechtlich endlich konkret ahnden zu können, erklärte Wüstenberg. Die notwendige Signalwirkung werde allein von einem eigenen Strafrechtsparagraph für FGM ausgehen. Eine Meinung, der auch die Berliner Kriminaldirektorin Susanne Bauer vertritt: Erst aus Respekt vor den deutschen Gesetzen und durch die Sorge um den Aufenthaltsstatus bestehe die Chance, diese menschenrechtswidrigen Bräuche in Deutschland zu reduzieren.

Europa muss handelnKarin Nordmeyer, Vorsitzende
des UN Women Nationales Komitee Deutschland e.V..
Die Vorsitzende des UN Women Nationales Komitee Deutschlands, Karin Nordmeyer, begrüßte den UN-Vorstoß als entscheidenden Schritt, bereits beschlossene Abkommen umzusetzen und weitere Anstrengungen zu fordern. FGM sei eine der schwerwiegendsten Menschrechtsverletzungen gegen Frauen und Mädchen, vor der der alte Kontinent die Augen nicht weiter verschließen dürfe. Seit Jahrzehnten sei FGM in Europa zu einem beträchtlichen Problem geworden. Zusammen mit weiteren 29 INTEGRA-Mitgliedern nahm UN Women Deutschland deshalb die UN-Resolution erneut als Anlass, politische Instanzen aufzufordern, konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von FGM zu ergreifen. Im Namen der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) begrüßte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und ASF-Bundesvorsitzende, Elke Ferner, dass der Menschenrechtsrechtsausschuss der UN weibliche Geni-talverstümmelung als das einstufe, was sie sei: Ein schwerer körperlicher und psychischer Gewalteingriff, dessen Folgen für die betroffenen Mädchen und Frauen irreversibel seien. Dank ihrer großen Symbolkraft stelle die UN-Verabschiedung einen Durchbruch im weltweiten Kampf gegen Genitalverstümmelung dar. Nun seien die Unterzeichnerstaaten aufgerufen, entschieden gegen FGM vorzugehen, in Aufklärungsarbeit zu intensivieren, Schutz für Betroffene zu gewährleisten und FGM als Straftat einzustufen.

Tradition und Religion sind keine Rechtfertigung

Die ASF setzt sich seit Jahren für die Einführung eines eigenen Straftatbestandes ‚weibliche Genitalverstümmelung‘ ein. Im Nachgang zu einer ASF-Fachtagung hatte die ASF im Jahr 2012 zusammen mit der SPD-Bundestagsfraktion und ExpertInnen einen umfassenden Forderungskatalog beschlossen. In diesem bestehen die SozialdemokratInnen auf eine intensive Aufklärungs- und Bildungsarbeit, Präventions- und Schutzmaßnahmen sowie die Aufnahme von FGM in den Diagnoseschlüssel der Krankenkassen. Länder, in denen FGM praktiziert wird, sollen nach dem Willen der ASF in Deutschland und der Europäischen Union zudem nicht als ‚sichere Herkunftsländer‘ gelten. Die Hoffnung auf eine weltweit richtungweisende Bedeutung der UN-Resolution zur Überwindung von FGM machte auch die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Monika Lazar, deutlich. Besonders gewichtig ist für die Grünen-Politikerin, dass afrikanische Länder mit der Verabschiedung ein Zeichen setzen. Alle anderen UN-Mitgliedsstaaten müssten aber ebenso ihrer Verantwortung nachkommen, Mädchen vor einer der schwersten Menschenrechtsverletzungen zu schützen. Erlittene Verletzungen seien nicht revidierbar und solche ‚Eingriffe‘ weder mit Religion noch mit Tradition zu rechtfertigen, unterstrich Lazar.

Fakten zur weiblichen Genitalverstümmelung
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von bis zu 140 Millionen Mädchen und Frauen aus, die weltweit von Genitalverstümmelung betroffen sind. Der Brauch kommt aus Afrika und Vorderasien und hat sich durch Zuwanderung weltweit verbreitet. Laut dem Deutschen Netzwerk zur Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung – INTEGRA – leben in Deutschland rund 30.000 von Genitalverstümmelung betroffene Mädchen und Frauen. Circa 5.000 Mädchen schweben in Gefahr, an ihren Genitalien verstümmelt zu werden. Nicht nur leiden die betroffenen Frauen ihr Leben lang unter körperlichen und geistig irreparablen Folgeschäden, nicht selten führen die Verletzungen sogar zum Tode.

Forderungen zur Verringerung weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland
• Aufnahme als eigenen Straftatbestand im StGB,
• Anerkennung als geschlechtsspezifischen Verfolgungsgrund, auch wenn im Herkunftsland der betroffenen Frau Genitalverstümmelung gesetzlich unter Strafe gestellt ist,
• eine eventuelle Anzeigepflicht (auch anonym),
• Aufnahme in den Leistungskatalog der Krankenkassen,
• verpflichtende Vorsorgeuntersuchung für alle Kinder,
• FGM-Aus- und -Weiterbildung in Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Erziehung, Lehre, Polizei und Justiz,
• Sensibilisierung der Öffentlichkeit.

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