Nachhaltigkeit : UN-Weltgipfel 2002: Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg aus Frauensicht

10. Oktober 2002 // (zwd) Johannesburg -

Bericht von Christa Wichterich, Dokumente und Links

Geringe Handlungs- und Verhandlungsbereitschaft der Regierungen prägte diesen UN-Weltgipfel zu nachhaltiger Entwicklung in Johannesburg, Südafrika. Anders als noch auf dem Gipfel in Rio 1992 haben die Frauen auf zivilgesellschaftlicher Ebene keine großen Erfolge erzielen können. Die internationale Frauenbewegung scheint geschwächt. Und obwohl diesmal mehr Politikerinnen vertreten waren als noch 1992, war es doch ein Gipfel fest in Männerhänden. Einziger Erfolg: das Frauenrecht auf Gesundheitsversorgung. Der zwd stellt die Hintergründe der Verhandlungen vor, bietet spezifische Dokumente zum Herunterladen an sowie eine weiterführende Linkliste.

Ein Gipfel ohne Fortschritt

Von Christa Wichterich


Von Rio....
In Rio de Janeiro 1992 hatten Frauen einen starken Auftritt. Mit ihrem Positionspapier, der „Womens Action Agenda 21“ trafen sie den Nagel auf den Kopf: es ging um einen anderen Umgang mit der Natur, eine andere Ethik des Wirtschaftens und um Gerechtigkeit – zwischen Norden und Süden, zwischen Arm und Reich, zwischen den Geschlechtern. Die Botschaft war klar. Gut organisiert, bestritten Frauenorganisationen im größten Zelt des Global Forums der Nicht-Regierungsorganisationen (NRO) zwölf Tage lang spannende Veranstaltungen. Gründlich vorbereitet, übten sie sich im systematischen Lobbying – ebenfalls erfolgreich.

Das Kapitel 24 der Agenda 21 würdigt Frauen als „bedeutende gesellschaftliche Gruppe“, ohne die nachhaltige Entwicklung nicht zu machen ist. Damit bricht es mit dem Opfer-Blick auf Frauen und erkennt sie als sachkompetente Akteurinnen für eine Nachhaltigkeitswende an. Seine Botschaft ist aber auch, dass Entwicklung nur zukunftstauglich ist, wenn sie die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern beseitigt.

... nach Johannesburg
Den starken Auftritt von Rio glaubten Frauennetzwerke in Johannesburg wiederholen zu können. Der Frauen-Aktionsplan wurde neu formuliert, fünf Tage sollte im Frauenzelt auf dem Global People’s Forum der NRO frauenpolitisch diskutiert und mobilisiert werden. Doch im Vorfeld gelang es internationalen Frauennetzwerken nicht, sich in den zentralen Diskurs des Johannesburg-Gipfels einzuklinken, nämlich das Verhältnis von Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Globalisierung. Die neue, knapp geratene „Women’s Action Agenda 2015“ entwickelte keine solidarisierende und strategische Dynamik. Das Frauenzelt blieb kläglich leer, den Akteurinnen und ihren Veranstaltungen fehlte es an klaren Botschaften, Strategien und inhaltlichen Klammern. Auf den Podien wurden überwiegend Problemlagen von Frauen und einzelne Projektansätze dargestellt. Es fehlte jedoch an visionärer Kraft für einen global- und geschlechtergerechten Umbau gesellschaftlicher und weltwirtschaftlicher Strukturen.

Nun waren auch die Veranstaltungen anderer Nicht-Regierungsorganisationen (NRO) auf dem Global People’s Forum nicht prallvoll und das Forum wurde – anders als in Rio – nicht als Ort für eigenständige Positionsformulierung und als Ort alternativer Debatten genutzt, der ein Gegengewicht zur Regierungskonferenz dargestellt hätte. Die Zivilgesellschaft insgesamt machte einen zersplitterten und wenig gebündelten Eindruck – mit Ausnahme der globalisierungskritischen Bewegung. Ihr aber fehlt es nach wie vor an einer geschlechtersensiblen Perspektive, obwohl in Johannesburg gerade die Frauen aus Basisbewegungen beeindruckten, die in den Townships angesichts der Versorgungskrise mit Wasser und Strom Krisenkomitees gebildet haben.

Doch weder diese Powerfrauen, die unermüdlich mit ihren Überlebensenergien, ihrem politischen Mut und ihren Liedern gute Stimmung machten, noch die allgemeinen Lähmungserscheinungen der NRO auf dem Forum in Johannesburg können darüber hinwegtäuschen, dass sich im Frauenzelt eine Schwäche der internationalen Frauenbewegung reflektierte, sowohl eine inhaltliche als auch eine strategische.

Sichtbarkeit und Partizipation
Vor zehn Jahren in Rio hatte die internationale Frauenbewegung mit ihren politischen Steilvorlagen den Ausschluss aus den Verhandlungsarenen der UN und ihre „Unsichtbarkeit“ in UN-Dokumenten überwunden. In Johannesburg waren Frauen auf politischer und Expertenebene präsenter als in Rio. Sie partizipierten sowohl in Regierungsdelegationen als auch auf den Podien vieler fachspezifischer Veranstaltungen im Global People's Forum und an Runden Tischen von Regierungen, Privatwirtschaft und zivilgesellschaftlichen Kräften. So fielen z.B. die zahlreich und eloquent vertretenen südafrikanische Ministerinnen auf. Acht von 26 Kabinettsmitgliedern sind Frauen und ein Drittel der Parlamentsmitglieder sind weiblich. Auf einem anderen Blatt steht allerdings die Frage, ob es den partizipierenden Frauen am Herzen liegt oder gelingt, Fraueninteressen zu artikulieren und soziale, Umwelt- und Geschlechtergerechtigkeit zu verknüpfen. So ist keineswegs eindeutig, ob die südafrikanischen Ministerinnen die Interessen der Frauen aus den Townships und vom Land vertreten, denen es an Landrechten und Ernährungssicherheit, an Zugang zu sauberem Wasser und Stromversorgung fehlt. Die Energieministerin empfahl z.B. als Gleichstellungsmaßnahme, dass Frauen doch bitteschön Aktien von Stromkonzernen erwerben mögen.

Die stärkere Partizipation von Frauen darf zudem nicht davon ablenken, dass die geschlechtsspezifische Machtordnung in der Politik immer noch intakt ist. Als beim Höhepunkt des Gipfels in Johannesburg die Riege der Staatschefs, Präsidenten und Vertreter von Königshäusern auflief oder per Video Präsenz simulierte, da stand es 173 zu 13. Der Gipfel des Gipfels - fest in Männerhänden.

Der Berg kreiste und gebar eine Maus
Der Gipfel stand unter dem Vorzeichen geringer Handlungs- und Verhandlungsbereitschaft der Regierungen. Es waren vor allem wirtschaftliche Standortinteressen, die einzelne Länder – allen voran die USA - daran hinderten, umwelt- und entwicklungspolitische Maßnahmen vorwärtszubringen und sich auf gemeinsame, multi-laterale Verpflichtungen einzulassen. Deshalb scheuten sie verbindliche Zusagen und terminliche Festlegungen für Aktionen. Im „Implementierungsplan“ von Johannesburg dominieren Marktzugang und Kooperation mit der Privatwirtschaft als Heilmittel für Armut, Umweltzerstörung und Unter- und Fehlentwicklung. Das bedeutet, dass das Ökonomische gegenüber ökologischen, sozialen und Menschenrechtszielen gestärkt wurde. Wie immer in der Konferenzdynamik kam es in der heißen Endphase zu diplomatischen Kuhhändeln: würden die USA einem Zeitziel für die Versorgung mit sanitären Einrichtungen zustimmen, dann müsste die EU auf ein Zeitziel bei erneuerbaren Energien verzichten. Verhandlungsmasse war auch das Menschen/Frauenrecht auf Gesundheitsversorgung.

Merkwürdigerweise war es den fortschrittlicheren Ländern nicht aufgefallen, dass sich bei den Vorverhandlungen die Formulierung "übereinstimmend mit nationalen Gesetzen, ethischen und religiösen Werten" beim Paragraphen zu Gesundheitsversorgung eingeschlichen hatte. Damit wären vor allem Einschränkungen des Frauenrechts auf reproduktive Gesundheit Tür und Tor geöffnet worden. Zur leidlich bekannten unheiligen Allianz von katholischen und islamistischen Ländern hatten sich die USA gesellt, d.h. die konservative, Frauenrechte torpedierende Länderfraktion in den UN wächst. Selbst Italien, Spanien und Griechenland zeigten zwischenzeitlich Bestrebungen, aus der EU auszuscheren und sich an die Seite der USA zu gesellen. Erst kurz vor Toresschluss konnte in Johannesburg gegen erbitterten Widerstand Gesundheitsversorgung „in Übereinstimmung mit allen Menschenrechten und fundamentalen Freiheiten“ im Text verankert werden.

Der Kampf um die Menschenrechtsformulierung mit zwei kleinen Demonstrationen hatte strategisch positive Auswirkungen für Frauen: der Frauen-Caucus (Interessenvertretungsgruppe, die sich kontinuierlich am Rande der Verhandlungen trifft) gewann dadurch „Sichtbarkeit“, sowohl im Verhandlungszirkus wie auch in den Medien. Allerdings erschien der Caucus dadurch als eine Ein-Punkt-Angelegenheit: wo es um Menschen-/Frauenrechte geht, bewies er Profil, im breiten wirtschafts-, umwelt- und entwicklungspolitischen Themenspektrum der Konferenz setzte er jedoch keine weiteren Akzente. Nicht einmal mit dem so wichtigen Thema ‚Remilitarisierung und Frieden’ machte er Punkte – ein Thema, das andere zivilgesellschaftliche Kräfte weitgehend vernachlässigten und das Konferenzdokument einfach ignoriert.

Der kleine Menschenrechtserfolg für den Frauen-Caucus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass insgesamt Fragen globaler, sozialer und Geschlechtergerechtigkeit im Abschlussdokument schwach wegkommen. Armutsbekämpfung wird nur halbherzig angegangen. Die wenigen genannten Zeitziele - Halbierung der Zahl der Menschen ohne Trinkwasserversorgung und ohne sanitäre Anlagen bis zum Jahr 2015 – sind bescheiden. Von einem Menschenrecht auf Wasser ist nicht die Rede – genau das aber wäre von existenzsichernder Bedeutung für arme Frauen. Gipfel der Vagheit und politischen Unentschlossenheit ist die Einrichtung eines globalen Solidaritätsfonds zur Armutsreduktion (von Armutsbeseitigung wird seit längerem nicht mehr gesprochen) ohne dass jemand eine müde Mark hineinzahlen will.

Der Verlust von biologischer Vielfalt, die gerade für arme Frauen in ländlichen Regionen Überlebensgrundlage ist, soll lediglich in seinem Tempo reduziert werden. Das von Frauenorganisationen favorisierte Vorsorgeprinzip aus der Agenda 21 von Rio, das Umwelt und Menschen auch ohne letzte wissenschaftliche Beweisführung über mögliche Schädigung vor z.B. genveränderten Organismen und Chemikalien schützen soll, ist bestätigt, aber abgeschwächt. Der notwendige Umbau von Produktions- und Konsummustern vor allem im Norden hat gegenüber der Agenda 21 keine Beschleunigung erfahren. Der Fokus auf Partizipation zivilgesellschaftlicher Kräfte und auf Dezentralisierung durch Stärkung der lokalen und kommunalen Ebene – für Frauen als Demokratisierungselement sehr wichtig – ist gegenüber der Agenda 21 abgeflacht.

Nach dem Gießkannenprinzip sind im Dokument Formulierungen wie „geschlechtersensibel“, „einschließlich Frauen“ oder „Frauen wie Männer“ eingestreut. Von einem systematischen Gender Mainstreaming kann jedoch beileibe nicht die Rede sein.

Strategisches Fazit
Die internationale Frauenbewegung sollte den Gipfel zum Anlass nehmen, ihre politischen Strategien und ihre inhaltlichen Botschaften zu überdenken und ihnen eine neue Perspektive zu geben, in der Geschlechtergerechtigkeit mit einer strukturellen Nachhaltigkeitswende verbunden ist. Und sie sollte auf dem Hintergrund dieser Gipfelerfahrung, einmal mehr prüfen, ob sie den UN eine 5. Weltfrauenkonferenz im Jahr 2005 abfordern will. Die Gefahr ist groß, dass es wie in Johannesburg bei jedem weiteren Gipfel nur darum gehen würde, Rückschritte hinter das in den neunziger Jahren Erreichte zu verhindern.

Christa Wichterich ist freie Journalistin und Expertin auf dem Gebiet Internationale Frauenbewegungen, Globalisierung und Nachhaltigkeit. Sie hat den Gipfel in Johannesburg vor Ort begleitet.

Dokumente ausgewählt von der zwd-Redaktion

Weltgipfel 2002 Johannesburg

Das Jo’burg –Memo der Heinrich-Böll-Stiftung in Kurzfassung (pdf-Download)

"From our origins to the future" - die politische Erklärung des Weltgipfels (Word-Datei)

Jürgen Trittin
Statement zu den Ergebnissen von Johannesburg 4. September 2002 (Word-Datei)

NRO-Frauenforum, Soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit aus Geschlechterperspektive, 14 Punkte zum Anfassen (Word-Datei)

Zusammenfassung / Analyse des WSSD vom International Institute of Sustainable Development (IISD) (pdf-Download)

Weltgipfel 1992 Rio

Von starken Frauen und schwacher Nachhaltigkeit:
Die Welt-Umweltkonferenz in Rio 1992 und ihr Folgeprozess
Birte Rodenberg (pdf-Download)

Die RIO-Deklaration
Abschlusserklärung des Weltgipfels für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio

Bundesregierung

Gila Altmann, MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Gender Mainstreaming im Bundesumweltministerium
Rede im Rahmen des Kongresses „Geschlechterverhältnisse, Umwelt und
nachhaltige Entwicklung“, Berlin, 23. April 2002 (pdf-Download)

Gila Altmann, MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Gender Mainstreaming im Bundesumweltministerium
Rede im Rahmen des Kongresses „Geschlechterverhältnisse, Umwelt und
nachhaltige Entwicklung“, Berlin, 23. April 2002 (pdf-Download)

Frauen und nachhaltige Entwicklung allgemein

Vorsorgendes Wirtschaften. Von Frauen entwickelte Perspektiven zur Nachhaltigkeit
Tagungsbericht von Bettina-Johanna Krings,
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)

10 Punkte für Nachhaltige Entwicklung (pdf-Download)

What does the Feminisation of Labour Mean
for Sustainable Livelihoods?
Nazneen Kanji IIED, UK and Kalyani Menon-Sen UNDP, India (pdf-Download)



Weiterführende Links

Johannesburg 2002

Gemeinsames Portal des Bundesumweltministeriums und des Entwicklungshilfeministeriums zum Gipfel.
http://www.weltgipfel2002.de/

Portal der vereinten Nationen zum Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg. Aktuelle Mitteilungen und Hintergrundinformation zum Gipfelprozess.
http://www.johannesburgsummit.org/

Umfangreiches Webangebot der Heinrich-Böll-Stiftung
www.worldsummit2002.de

Nachhaltigkeit / Agenda 21 / Nichtregierungsorganisationen

Infos zur Agenda 21, Wortlaute und Deklarationen zum Weltgipfel
www.agenda-21.info

Portal für Umwelt mit Linkliste und Suchmaschine
www.vistaverde.de

Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO)
http://www.venro.org/

Frauenumweltnetz
http://www.frauenumweltnetz.de

Büro für nachhaltige Lebensweise.
http://www.nachhaltig-leben.de/frauen.htm

Die Seite der int. Umwelt- und Entwicklungsorganisation für Frauen
www.wedo.org

Weltbank-Report 2002
http://www.worldbank.org/wdr/2002/

UN: Human Development Report 2002
http://www.undp.org/currentHDR_E/

Lexikon der Nachhaltighkeit
http://www.nachhaltigkeit.aachener-stiftung.de

Einen Überblick über die Klimaschutzverhandlungen bietet auch die Grüne EU-Abgeordente Hiltrud Breyer
www.hiltrud-breyer.de

Agenda 21
Der auf dem Weltgipfel für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio verabschiedete Text
http://www.un.org/esa/sustdev/agenda21text.htm


Frauen und nachhaltige Entwicklung: Projekte und best Practice-Beispiele

Frauen gestalten nachhaltige Entwicklung
Ägypten: Förderung von Klein- und Kleinstunternehmen
http://www.following-the-sun.de/Egypt_10b/pip_g.html

Self Employed Women’s Association (SEWA)
http://cwis.usc.edu/dept/elab/oconnell/sewa.html
India - Lessons on Sustainability of Women' Sgroup from Tamil Nadu

http://www.ifad.org/gender/learning/project/part/in_tamil2.htm
Voice & Choice for Women:
Water is Their Business
http://www.wsp.org/english/focus/png-voice.html

Gambia Health Education
Liaison Project
http://www.gambiahelp.org/index.htm

California Nonprofits Working For Sustainability
http://www.scced.org/sust_orgs/calorg.html


International Research Center on Women
http://www.icrw.org/projects/prowid/proinfo_poli.htm

United Nations Development Programme: Projects Around the World
http://www.undp.org/gender/japan/WIDF/html/projects/asia_viet02.html


Pressestimmen:

http://www.jungewelt.de/2002/09-06/017.php
Johannesburger Erdgipfel zu Ende: Neue Energie für den Widerstand?
Junge Welt - Interview mit der indischen Atomphysikerin, Ökologin und Feministin Vandana Shina

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