zwd-HERAUSGEBER HOLGER H. LÜHRIG : Wahlumfragen nach dem TV-"Duell": Was ist glaubwürdig?

8. September 2017 // Holger H. Lührig

​Ein beliebtes Spiel der Medien ist – ­gestützt auf Meinungsumfragen und speziell die „Sonntags“-frage – Persönlichkeiten hochzujubeln und hinterher abstürzen zu lassen, Wie mit Medien und Demoskopie Stimmungen gemacht wurden, lässt sich an dem zum „Duell“ hochstilisierten gemeinsamen TV-Auftritt von Kanzlerin und Herausforderer am 3. September nachvollziehen.

Bereits im Vorfeld hatten Meinungsforscher verkündet, der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz habe gegen die CDU-Kanzlerin Angela Merkel nicht den Hauch ­einer Chance „zu gewinnen“. Für Schulz ergab diese Form des “self fulfilling prophecy” die böse Lesart: „Du hast keine Chance, also nutze sie“.

Es versteht sich, dass die Propheten in den Umfrageinstituten gern auch hinterher Recht behalten wollen: So konnten die ARD-Demoskopen von „Infratest dimat“ Merkel einen Abstand zu Schulz von 55 zu 35 Prozent attestieren, während die Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF auf einen knappen Vorsprung von 32 zu 29 für Merkel kam. Die Unterschiede lagen, wie Wissenschaftler zwischenzeitlich analysiert haben, vor allem in der Art der Fragestellungen, die für ARD und ZDF formuliert wurden. So etwas ­lernen Studierende der Sozialwissenschaften schon in den Anfangssemestern: Wie es in den Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus.

Zwei wissenschaftliche Untersuchungen haben derweil ein ganz anderes Bild gezeichnet. Im Falle der Echtzeitstudie “Debat-O-Meter” der Universität Freiburg haben rund 20.000 Teilnehmer*innen während der 90-minütigen TV-Sendung 1,53 Millionen Bewertungen abgegeben. Dabei ergab die Wahrnehmung über den Debattensieger einen knappen Vorsprung für Schulz vor Merkel (40,3 zu 38,9), wobei die Kanzlerin eher bei Frauen punkten konnte, Schulz hingegen mehr bei Männern und jüngeren Wähler*innen. Bei dem DFG-geförderten Projekt „German Longitudinal Election Study“) der Universitäten Koblenz/Landau und Mainz waren 224 Teilnehmende eingeladen, mit Drehreglern und Push-Buttons die TV-Debatte permanent zu bewerten. Zudem konnten sie mithilfe von Fragebögen ihre zusammenfassenden Meinungen vor und nach der Sendung abgeben. Im Ergebnis hatte Schulz demnach von der TV-Debatte stärker profitiert als die Kanzlerin. Er lag bei den Befragten mit 36 Prozent einen Prozentpunkt vor Merkel. Bemerkenswert: Vor der Sendung war es noch umgekehrt gewesen: 40 Prozent hatten da noch Merkel wählen wollen, Schulz hingegen nur 29 Prozent.

Was lernen wir daraus? Wir dürfen bei Umfragen nicht übersehen, dass Meinungsforschung vor allem auch ein Geschäft ist. Deshalb ist stets zu hinterfragen, wie seriös und repräsentativ sie wirklich ist. Zwar gibt es Leitlinien der deutschen Marktforschungs- und Sozialforschungsinstitute und ebenso des Deutschen Presserates, der darauf achtet, wie die Ergebnisse – einschließlich der eventuellen Fehlerquoten - in den Medien verbreitet werden. Doch letztlich verfehlen diese Veröffentlichungen ihre Wirkungen nicht. Mit dem TV-Duell wurde eine Chance vertan, die Unterschiede zwischen den Kontrahent*innen herauszuarbeiten. Eher wurden die Ränder des politischen Spektrums gestärkt. Gut, dass vor der Bundestagswahl immer noch viele mündige Wähler*innen unentschlossen sind. Vielleicht vermag sie statt des “Man kennt mich”doch noch das eine oder andere konkrete Sachargument zu überzeugen. Das wäre dann ein Gewinn für die Demokratie.

Artikel als E-Mail versenden