EINLADUNG ZUR DEBATTE: GLEICHBERECHTIGUNG IM KULTURBETRIEB : Was kann Politik tun, damit Künstlerinnen sichtbar werden und bleiben?

28. November 2019 // Holger H. Lührig

Im Jahr 2017 fragte die Berliner Künstlerin Ines Doleschal, warum in der Alten Nationalgalerie in Berlin kaum Bilder von Künstlerinnen hängen. Ihre Fragestellung, ob dies mit den patriarchalen Strukturen im Kunstbetrieb zu tun habe, war eher rhetorisch gemeint, denn die Tatsachen sprechen für sich.

zwd-Chefredakteur Holger H. Lührig.
zwd-Chefredakteur Holger H. Lührig.

zwd Berlin. „Von den rund 2.000 Kunstwerken in der Galerie stammen nur etwa 30 (1,5 %) von Künstlerinnen“(­Doleschal). Der Bestand hat sich seitdem nur unwesentlich verändert. Mittlerweile wird die männliche Dominanz vor dem Hintergrund der seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts laufenden feministischen Kunsttheorie-Debatten in Frage gestellt. Die 1985 gegründete Künstlerinnengruppe „Guerrilla Girls“ hatte mit ihren gegen Sexismus und Rassismus gerichteten Aktionen dazu einen wichtigen Anstoß gegeben. In Berlin hat das „Verborgene Museum“ seit 1987 Beiträge von Künstlerinnen sichtbar werden lassen. Dreißig Jahre später ist, ausgelöst durch die „#MeToo“-Debatte, die Fragwürdigkeit der männerbeherrschten Kunstszene noch deutlicher ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Mit der Ausstellung „Kampf um Sichtbarkeit – Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919“ folgt nun auch die Nationalgalerie dem weltweiten Trend, die vergessenen Leistungen von Künstlerinnen in Erinnerung zu rufen. Einige weitere Beispiele:

  • Das Museum Untere Belvedere in der österreichischen Hauptstadt Wien präsentierte Anfang 2019 unter dem Titel „Stadt der Frauen“ verdrängte und zum Teil unbekannte Wiener Künstlerinnen aus dem Zeitraum von 1900 bis 1938, die insbesondere um die Jahrhundertwende trotz erschwertem Zugang zu Künstlervereinigungen und Studierverbot eine beachtete Karriere aufzubauen vermochten.
  • Das Baltimore Museum of Art (BMA) präsentiert seit dem 5. Oktober (bis 5.7.20) amerikanische Modernistinnen als Teil einer Vision-Initiative 2020, in der bekannte und unbekannte Künstlerinnen herausgestellt werden, die mit ihren Werken zur Entwicklung der wichtigsten Kunstbewegungen des 20. Jahrhunderts beigetragen haben.
  • Ein Jahr lang nur noch Kunst von Frauen zu zeigen, hat sich das Londoner Tate-Britain-Museum auf die Fahnen geschrieben. Vom April 2019 an hängte die Galerie alle Werke der männlichen Künstler der letzten 60 Jahre ab und stellt in der Abteilung für britische Kunst stattdessen nun seit 1960 entstandene Werke von 30 Künstlerinnen aus. Die Intention: „Mehr Diversität in der Kunst sichtbar zu machen“.
  • Eine „Saison für Künstlerinnen“ rückte das Musée de beaux Arts, Le Locle (Schweiz), in den Mittelpunkt, um den Einzug von Künstlerinnen, die so lange unsichtbar geblieben sind, in Museen zu fördern und mehr Gleichgewicht herzustellen.
  • Last but not least: In verschiedenen Regionen haben örtliche Museen und Kunstvereinigungen begonnen, ihren heimischen Künstlerinnen eine Ausstellungsplattform zu bieten. Beispielhaft erwähnt sei die wiederentdeckte Künstlerinnenkolonie der „Malweiber“ im nordelsässischen Obersteinbach (Bild unten rechts). Die Ausstellung „Klasse Damen!“ des Fachbereichs Kultur des Bezirksamtes Berlin-Hellersdorf im Schloss Biesdorf erinnerte an die Öffnung der Berliner Kunstakademie für Frauen ab März 1919.

Bis dahin waren Frauen auf „Damenklassen“ oder Privatlehrer angewiesen oder auf fürstliche Gönner, in deren Auftrag sie Bilder oder Skulpturen fertigten. Bildnisse von prominenten Persönlichkeiten waren keine Seltenheit, weniger dagegen bekannt war, dass die Portraits von Frauen geschaffen wurden. Gleichwohl gab es Frauen, die im 19. Jahrhundert in der Kunstszene wie auch in der Öffentlichkeit eine wichtige und gesellschaftlich anerkannte Rolle spielten wie die Künstlerinnen Vilma Parlaghy oder Elisabet Ney. Zwei Beispiele finden sich in der Ausstellung der Nationalgalerien (Bilder rechts unten). Eine wesentliche Rolle, die Künstlerinnen aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verdrängen, hat die NS-Zeit mit ihrem anti-emanzipatorischen Unterdrückungsmechanismen gespielt. Dies hätte sich nach 1945 ändern können, wenn es nicht einen von Männern beherrschten Kunstbetrieb gegeben hätte, von den Direktoren der Museen bis zu den Galeristen, die allzu gern der Devise der männlichen Konkurrenz gefolgt sind, Frauen könnten nicht malen. Die Kunsthistorikerin Juliane Voss hatte denn auch im gleichen Jahr 2016 die Frage aufgeworfen, „warum auch im 21. Jahrhundert Frauen immer noch weniger erfolgreich sind als Männer“.
Der vom Deutschen Kulturrat 2016 herausgegebene Report „Frauen in Kultur und Medien“ hat dazu erste Antworten formuliert, indem dort die Situation im Bereich der Bildenden Künste aufschlussreich beleuchtet wurde: „Von Gleichstellung kann bis heute keine Rede sein“. Das betrifft die Kulturförderung ebenso wie die Übertragung von Führungspositionen an Frauen, ob in Museen oder Kunsthochschulen. Der Frauenanteil unter den Studierenden im Bereich Bildende Kunst lag 2014 bei 55 Prozent, der Professorinnen-Anteil hingegen bei 37 Prozent. Er dürfte sich seitdem nicht signifikant verändert haben. Anlass für die Frage, wie solche Miss- und Machtverhältnisse im Bereich der Bildenden Künste – wie überhaupt im Kulturbereich – beseitigt werden können.

Die Daten des Kulturrats-Report beziehen sich überwiegend auf das Jahr 2014. Es wird Zeit, ­diese Datensammlung zu verstetigen und auch die daraus folgenden Schlussfolgerungen zu aktualisieren oder neu zu formulieren.

Unser Debattenthema zum Beginn des neuen Jahres 2020 zielt darauf ab: Was kann Politik tun, damit Künstlerinnen sichtbar werden und bleiben?

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