HILDA LÜHRIG-NOCKEMANN : Wechselmodell – als Regelfall nicht praktikabel

10. April 2019 // Hilda Lührig-Nockemann

​Die Eltern gehen mit ihrem kleinen Sohn zum Minigolfplatz. Die zehn Jahre ältere Schwester kann nicht mitkommen. Sie macht sich mit ihrem Koffer auf den Weg zu ihrem Vater. Beide (Halb-) Geschwister – meine Enkel*innen – finden das nicht toll. Eine Situation, die kaum geeignet ist, eine Patchworkfamilie zusammenzuschweißen! Das ist die gelebte Realität in nach der Scheidung neu gegründeten Familien, wenn das Wechselmodell praktiziert wird.

zwd-Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann
zwd-Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann

zwd Berlin. Die andere Seite: Der Vater bringt sein Kind nach einem gemeinsam verbrachten Wochenende zu dessen Lebensmittelpunkt, der gemeinsamen Wohnung mit der Mutter, zurück. Ein Abschied für 14 Tage! Das ist die Lebensrealität beim Residenzmodell.

Diese mütterliche Zuordnung habe ich nicht von ungefähr gewählt. Denn laut einer Allensbacher Studie lebte(n) 2017 in 73 Prozent der Trennungsfamilien das Kind/die Kinder ausschließlich (48%) oder überwiegend (25%) bei der Mutter. Selbst wenn sich die Trennungseltern für das Wechselmodell (15%) entschieden hatten, teilte die Hälfte (52%) von ihnen - also nur 7,5 Prozent von allen ­geschiedenen Eltern - die Betreuungszeit entsprechend der juristischen Definition paritätisch auf. Die anderen ­wichen von der ­juristischen Vorgabe ab und übten eher das Residenzmodell aus. Bei 34 Prozent der Trennungseltern, die das Wechselmodell nutzten, wohnte das Kind überwiegend bei einem Elternteil, 26 Prozent bei der Mutter. Und man staune, sogar 12 Prozent ausschließlich bei einem ­Elternteil, wieder überwiegend bei der Mutter (11%).

Summa summarum übernahmen von den selbsterklärten Nutzern des Wechselmodells nur 9 Prozent der Väter überwiegend oder ganz die Betreuungsaufgaben. Der Grund dürfte in der viel diskutierten Teilzeitfalle liegen – einer Falle, die bekanntermaßen in die Altersarmut führt und von der bisher in der Regel die alleinerziehenden Mütter betroffen waren.

Diese Realität scheint die FDP nicht wahrzunehmen, denn sie fordert das Wechselmodell als gesetzlichen Regelfall, also für alle Trennungskinder und -eltern. Wenn sich jedoch die arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen nicht ändern, wird in Zukunft nicht ein Elternteil in die Armutsfalle tappen, sondern beide ­Elternteile und mit ihnen ihre Kinder.

Ist das Kindeswohl der entscheidende Maßstab – was niemand, auch die FDP nicht, bestreitet –, kann man nicht die ­Augen davor verschließen, dass Kinder ­jeden Alters für ihre psychosoziale Gesundheit ausreichend Zeit mit ihren Eltern brauchen. Nicht permanent, denn der Rechtsanspruch auf einen Krippen- und ­Kitaplatz besteht, wenn auch nicht auf einen Ganztagsschulplatz. Aber spätestens ab 16 Uhr müssen der Vater oder die Mutter, beim Wechselmodell jeweils paritätisch, zur Stelle sein. Dazu ­liefert die FDP mit ihrem Fokus auf die Wirtschaft kein Arbeitszeitmodell, denn mit einer 40-Stunden-Woche sind häufig die Finanzen geregelt, nicht aber das Kindeswohl.

Es wäre an der Zeit, das 32-Stunden-Modell der ehemaligen Familienministerin Manuela Schwesig aus der Schublade zu holen und zu neuem Leben zu erwecken. Mit einer Arbeitszeit von sechseinhalb Stunden am Tag könnte nämlich vieles gelöst werden: Zeit für das Kind, das „Aus“ für die Armutsfalle und schließlich auch die Mehrkosten für ein autonom bestimmtes Wechselmodell.

Und die Kinder? Ist das Wechselmodell als Regelfall wirklich ein Modell, das auf das Kindeswohl ausgerichtet ist oder eher auf das Elternwohl, oftmals das Väterwohl? Kinder wollen keine Trennung der Eltern und in der Regel auch ­keine Trennung von einem Elternteil. Insofern wird das Wechselmodell für einige Kinder und die Eltern – die sich schon während ihrer Ehe von tradierten Geschlechterrollen verabschiedet haben – genau richtig sein, aber für andere genau falsch. Letzteren verbaut es Stabilität und emotionale Geborgenheit – durch einen ständigen Wechsel von Wohnung zu Wohnung, von Vater zu Mutter, von Halbgeschwistern zu Halbgeschwistern.

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