LEGALISIERUNG VON SCHWANGERSCHAFTSABBRÜCHEN : 100.000 Unterschriften: Weg mit § 218 StGB!

16. November 2021 // Valeria Forshayt/Holger H. Lührig

Unmittelbar vor Beginn der abschließenden Koalitionsverhandlungen haben maßgebliche Frauenorganisationen in Deutschland den Bundestag und die künftige Bundesregierung aufgefordert, die Abtreibung nicht länger im Strafgesetzbuch zu regeln. Eine von ihnen unterstützte Petition mit mehr als 100.000 Unterschriften wurde am Freitag (12. November) bei einer Demonstration auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor vorgestellt.

Demonstrant:innen für die Abschaffung des § 218 StGB Quelle: Eigenaufnahme
Demonstrant:innen für die Abschaffung des § 218 StGB Quelle: Eigenaufnahme

Am vergangenen Freitag (11.11.) haben die Bundestagsabgeordneten Derya Türk-Nachbaur (SPD), Ricarda Lang (DIE GRÜNEN) und Heidi Reichinnek (DIE LINKE) 110.000 Unterschriften der Petition „Weg mit § 218: Abtreibung nicht länger im Strafgesetzbuch regeln!“ auf dem Pariser Platz in Berlin entgegengenommen. Die Petitionstarterinnen und das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung appellierten bei dieser Gelegenheit an die Politiker:innen, in der neuen Legislaturperiode die vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland und eine rechtliche Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches durchzusetzen. Der Initiative schlossen sich weitere 172 Organisationen mit dem Aufruf „150 Jahre Widerstand gegen § 218 StGB – es reicht!“ an und bezogen damit Position für einen freien, legalen und sicheren Zugang zum Schwangerschaftsabbruch. Den Aufruf unterzeichneten unter anderem auch die AWO, Arbeitskreis Frauengesundheit, Deutsche Aidshilfe, DGB, pro familia, ASF (Frauenorganisation SPD) und das Gunda-Werner-Institut (Heinrich Böll Stiftung).

Die drei anwesenden Bundestagsabgeordneten signalisierten ihre Unterstützung für die Eliminierung des § 218 StGB. Obwohl die SPD in der Großen Koalition sich mit CDU/CSU auf einen Kompromiss geeinigte hatte, den § 219a StGB zu erhalten, der Ärzt:innen untersagt für Schwangerschaftsabbrüche zu werben, sprach sich Derya Türk-Nachbaur klar gegen alle abtreibungsbezogene Paragraphen aus. Auch Ricarda Lang, stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Grünen, lehnte beide Paragraphen ab und versprach für die Grünen eine voll umfassende Gesundheitsversorgung für (ungewollt) Schwangere einzustehen. Für die Linken betonte frauenpolitische Sprecherin Heidi Reichinnek, dass sich die Partei für die Forderungen der Petition einsetzen wird. Heidi Reichinnek bekräftigte, dass Ungewollte Schwangerschaften nicht nur ein Teil von sexueller Selbstbestimmung seien, sondern auch Teil der Sozialen Frage. CDU/CSU und FDP sind der Einladung zur Kundgebung nicht entgegengetreten und wurden bei der Übergabe dementsprechend nicht repräsentiert. „Völlig unverständlich und beschämend finden wir, dass sich ausgerechnet eine liberale Partei wie die FDP bei diesem Thema zurückhält”, äußerte sich Petitionsstarterin Kate Cahoon zur Absenz der FDP.
Zum Hintergrund: Der Strafrechtsparagraph § 218 trat erstmals mit dem Reichsstrafgesetzbuch am 15. Mai 1871 in Kraft. Somit gelten Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland schon seit über 150 Jahren als Straftat. Abtreibungen gelten als straffrei, wenn sie innerhalb der ersten 12 Wochen nach einer verpflichtenden Beratung durchgeführt werden. Nach Angaben des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung wird die Ausführung eines Schwangerschaftsabbruchs im Medizinstudium nicht gelehrt, sodass immer weniger Ärzt:innen Abbrüche vornehmen. „In den letzten 15 Jahren war ein Rückgang von über 40% zu verzeichnen. Dies sorgt vor allem in ländlichen Regionen für folgenreiche Versorgungsengpässe.“, so das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung.

Artikel als E-Mail versenden