ARBEITSGRUPPE GLEICHSTELLUNG ZUR VORBEREITUNG DER AMPEL-KOALITION : Wer verhandelt was zum Themenbereich Frauen und Gleichstellung?

24. Oktober 2021 // Holger H. Lührig

Die Arbeitsgruppe aus Politiker:innen von SPD, B'90/DIE GRÜNEN und FDP, die ein ca. 3-seitiges Papier zum Themenkomplex "Gleichstellung, Vielfalt" für die Ampel-Koalitionsverhandlungen vorbereiten soll, hat viele zentrale Gegensätze zu klären. Während zwischen SPD und Grünen über Fragen wie Parität, Quote oder Ehegattensplitting weitgehen Übereinkunft besteht, wird es schwer sein, von den Liberalen Zugeständnisse zu bekommen. Möglicherweise müssen andere AGs (Moderner Staat, Bürgerrechte) dazu beitragen. Schon bei der Verteilung der Minister:innen-Posten im künftigen Kabinett, die nach dem Willen des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz geschlechterparitätisch erfolgen soll, hat die FDP-Spitze abgewinkt.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend (BMFSFJ). Wer übernimmt den Chef:in-Sessel?
Das Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend (BMFSFJ). Wer übernimmt den Chef:in-Sessel?

Die Positionierung der FDP gegen eine Besetzung des Kabinetts paritätisch mit Frauen und Männer kam über eine Twitter-Nachricht des FDP-Vizevorsitzenden Wolfgang Kubicki in die Öffentlichkeit. Er hatte auf Äußerungen gegenüber der Funke-Mediengruppe verwiesen. Dort hatte er wörtlich erklärt: "Bei der Besetzung von Kabinettsposten sollte immer die Qualifikation und die Fähigkeit, ein Ministerium zu führen, eine Hauptrolle spielen." Ihrem Parteifreund Kubicki, der sich gegen "starre Quoten wandte, sprang sodann die FDP-Vorständin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zur Seite, die für den Posten der Bundesverteidigungsministerin gehandelt wird. Es mache zwar Sinn, die gesellschaftliche Realität dadurch abzubilden, dass Minister und Ministerinnen im Kabinett gleichermaßen vertreten seien, aber "zu allererst muss die fachliche Kompetenz eine Rolle spielen". Das erklärt den Eindruck politischer Beobachter:innen, dass die Freien Demokraten in ihren Reihen keine "ministrable Frau" zu erblicken vermögen.

Im Netz und in einzelnen Tageszeitungen wie der TAZ gab es daraufhin ironische Kommentare: Jetzt wisse man/frau angesichts der FDP-Argumentation, warum sich beispielsweise Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) trotz der Maut-Pleite, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) trotz Maskenaffäre, persönlichem Spendenessen (während des Lockdown) und vielen anderen Ungereimtheiten so lange auf ihren Kabinettsposten halten konnten.

Tatsächlich tun sich die Journalist:innen in den medialen Debatten weiterhin schwer, neben die vielen in den Startlöchern sitzenden Männern "qualifizierte" Frauen auszumachen. Deshalb werden alte Gesichter neu abgebildet: die frühere SPD-Vorsitzende Andrea Nahles (Digitalministerium), die frühere Justiz- und Frauenministerin und jetzige Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Katharina Barley und ihre jetzt aus dem Amt scheidende Nachfolgerin Christine Lambrecht. Bei den Grünen wird es nicht schwer fallen, die Quote zu erfüllen, obwohl sich auch hier neben Parteichef Robert Habeck beispielsweise Grünen-Politiker wie Cem Özdemir und Anton Hofreiter für den Chefsessel des Bundesverkehrsministers bewerben.

SPD muss das Jahrzehnt der Gleichstellung absichern

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wird nicht nur daran gemessen, ob ihm trotz des Widerstandes der FDP ein paritätisches Kabinett gelingt. Er muss auch aufpassen, dass der Kredit, den seine Partei, aber auch er persönlich durch gleichstellungspolitische Versprechen im SPD-Wahlprogramm erworben haben, nicht verspielt wird. Kritisch wird angemerkt, dass bereits die Hauptverhandlungsgruppe der SPD mit Scholz, den SPD-Vorsitzenden Walter-Borjans und Saskia Esken sowie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, Generalsekretär Lars Klingbeil und der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer bereits ein Übergewicht von 4 Männern gegenüber zwei Frauen darstellt - und damit der SPD-Quote für Gremien von 40 Prozent nicht entspricht. Eine ausgewiesene Frauenpolitikerin ist in der SPD-Spitzenverhandlungsgruppe nicht dabei. Immerhin ist in 21 von 22 Arbeitsgruppen die Parität zwischen Frauen und Männern gewahrt, ausgenommen in der Arbeitsgruppe Wirtschaft (4 Männer, 2 Frauen), allerdings liegt nur in acht von 22 AG die Federführung SPD-seitig bei einer Frau.

In Parteikreisen wurden im Sondierungspapier gleichstellungspolitische Präzisierungen vermisst. Freilich lassen sich Ankündigungen wie "Wir werden das Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken" oder "Wir wollen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt an gesellschaftlichen Entscheidungen sowie am Erwerbsleben teilhaben können" durchaus so ausdeuten, dass damit die Paragraphen 218 und 219 a zur Disposition stehen ebenso wie die Ausweitung des Führungskräftepositionengesetzes II. Sie müssen nun durch die verschiedenen Arbeitsgruppen - und nicht nur die die AG 17 "Gleichstellung und Vielfalt" - konkretisiert und ausgefüllt werden.

Insgesamt achtmal taucht in dem Sondierungspapier der Begriff Frauen auf

  1. Gleichzeitig werden wir verhindern, dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht oder zur Teilzeitfalle insbesondere für Frauen werden.
  2. Die umlagefinanzierte Rente wollen wir durch die Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie die erwerbsbezogene und qualifizierte Einwanderung stärken.
  3. Deutschland ist ein modernes Einwanderungsland. Frauen und Männer aus vielen Staaten haben hier ihre Heimat gefunden, Familien gegründet und verdienen ihren Lebensunterhalt. Daher wollen wir ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht schaffen.
  4. Wir werden das Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken und die eigenständige Existenzsicherung fördern. Wir wollen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt an gesellschaftlichen Entscheidungen sowie am Erwerbsleben teilhaben können und in gleicher Weise in der Lage sind, eigenständig ihren Lebensunterhalt zu sichern und für ausreichende Alterssicherung zu sorgen. Der Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt wollen wir entgegenwirken und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Wir wollen die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern wirksam verringern. Wir werden uns für mehr Vielfalt in der Arbeitswelt einsetzen und dafür Sorge tragen, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen.

Zentrale Streitfragen wurden erst einmal ausgeklammert

Dabei fällt auf, dass die Begriffe Parität und Quote nicht angesprochen sind, obwohl gerade dort die größten Gegensätze zwischen SPD und Grünen einerseits und FDP andererseits bestehen. Dicke Bretter, die die Verhandlungsgruppe 17 Gleichstellung/Vielfalt noch bohren muss. Ihr gehören folgende Politiker:innen an (in Fett die federführenden Mitglieder):

SPD

  • Leni Breymaier, MdB (BaWü), Mitglied des Frauen- und Familienausschusses des Bundestages (19. Wahlperiode, im folgenden: 19. WP) sowie der Parlamentarischen Linken in der SPD
  • Karamba Diaby,MdB aus Halle (SnA), Mitglied im Menschenrechts- und Bildungsausschuss des Bundestages (19. WP)
  • Petra Köpping, Staatsministerin für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes Sachsen
  • Kaweh Mansoori, MdB aus Frankfurt/M, Vorsitzender des SPD-Bezirks Hessen-Süd

D'90/DIE GRÜNEN

  • Ricarda Lang, stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen
  • Aminata Touré, Vizepräsidentin des Schleswig-holsteinischen Landtags
  • Gesinne Agena, langjährige frauenpolitische Sprecherin der Partei (2013-2019), arbeitet bei der Amadeu Antonio Stiftung
  • Ulle Schauws, MdB, frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion (19. WP)

FDP

Eine speziell auf Frauen- und Gleichstellungspolitik als Querschnittaufgabe ausgerichtete Arbeitsgruppe gibt es nicht. Dass die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion und ausgewiesene Frauenpolitikerin ihrer Partei Josephine Ortleb der Verhandlungsgruppe nicht angehört, erklärt sich aus der Tatsache, dass sie gegenwärtig im Mutterschutz ist.

Ein Papier zu den frauen- und gleichstellungspolitischen Positionen der drei Parteien im Vergleich mit den entsprechenden Aussagen des Sondierungspapier finden Sie hier.


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