STARTCHANCENPROGRAMM : WZB: Bundesgelder fairer an Kinderarmutsquoten ausrichten

15. Juni 2023 // Redaktion (ig)

In den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Finanzierung des Startchancenprogramms erhöht sich der Druck auf die Länder, bei der bisher gewünschten Finanzverteilung der Bundesgelder auf die Anwendung des Königsteiner Schlüssels zu verzichten. Das Wissenschaftszentrum Berlin hat errechnet, dass die Länder Nordrhein-Westfalen und die drei Stadtstaaten bei Berücksichtigung der höchsten Kinderarmutsquoten im Einzugsbereich ihrer Grundschulen den höchsten Anteil an Schulen aufweisen, während Bayern und Baden-Württemberg den niedrigsten Anteil an Schulen in sozialen Brennpunkten haben. Trotzdem sollen die beiden Südstaaten mehr als ein Viertel der Gelder erhalten. Bestätigt werden damit Berechnungen, die Ende Main im zwd-POLITIKMAGAZIN (Ausgabe 396) veröffentlicht worden sind.

Für eine bedarfsgerechte Verteilung der Bildungsmilliarden

In Ausgabe 396 des zwd-POLITIKMAGAZINs war - unter Nutzung von DIW-Berechnungen zum Königsteiner Schlüssel - ein Faktenvergleich zu der von der Kultusministerkonferenz geforderten Finanzverteilung veröffentlicht worden. Daraus ergab sich, dass die Länder Baden-Württemberg und Bayern ein gutes Viertel der 950 Millionen Bundesgelder erhalten sollten. Zusammen mit NRW wären das 490 Millionen, also mehr als die Hälfte, während sich die übrigen 13 Länder die restlichen 460 Millionen teilen müssten. Damit waren, verglichen mit der Armutsquote 2021, die Zweifel an einer bedarfsgerechten Verteilung der Bildungsmilliarden des Bundes auf die Länder mehr als begründet. Bereits in seinen Ausgaben 379 und 381 hatte das zwd-POLITIKMAGAZIN auf die - als Folge der Benutzung des Königsteiner Schlüssels - nicht bedarfsgerechte Verteilung von Bildungsmilliarden des Bundes hingewiesen.

Nun hat das Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) in einer Studie nachgewiesen, wie sehr die Kinderarmut in Deutschland ungleich verteilt ist. Die Studie hat erstmals für die Einzugsgebiete aller Grundschulen die Kinderarmutsquoten berechnet Demnach liegen die meisten Schulen mit einem hohen Anteil armer Kinder in Nordrhein-Westfalen sowie in den drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin. Hingegen weisen Bayern und Baden-Württemberg den geringsten Anteil an Grundschulen mit hoher Kinderarmut auf. In der Studie berechnet WZB-Forscher Marcel Helbig auch, welche Mittel jedes Bundesland bekäme, wenn das von der Ampelkoalition geplante Startchancenprogramm diese Armutsquoten zur Grundlage der Verteilung nehmen würde. In seiner Studie hat Helbig die Armutsquoten in den Einzugsbereichen aller öffentlichen Schulen mit Grundschulzweig zugrunde gelegt und aufgezeigt, wie die Mittel des Startchancenprogramms verteilt werden müssten, würden allein die Armutsquoten im schulischen Umfeld herangezogen. Die Kinderarmutsquote gibt Auskunft über den Anteil der Schülerinnen und Schüler, deren Eltern SGB-II-Leistungen (heute „Bürgergeld“) beziehen.

Wie schon bei den Programmen zur Verteilung der Digitalmittel (z.B. Laptops) oder bei dem Programm „Aufholen nach Corona“ wurden die Mittel jeweils nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel verteilt. Dieser orientiert sich an der Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft der Bundesländer. Da sich Schulen mit hohem Anteil armer Kinder aber nicht gleichmäßig über die Bundesländer und Landkreise verteilen, sei dieser Schlüssel wenig zielführend, resümiert der WZB-Forscher. Er schlägt stattdessen vor, die Armutsquote als Grundlage der Mittelverteilung zu nehmen. „Die Verteilung der Gelder wäre ungleicher, aber fairer. Die Mittel würden die Schulen erreichen, die sie am dringendsten brauchen“, sagt er und liefert damit der Ampel-Koalition und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger überzeugende Argumente:

  • Würde der Bund über das Startchancenprogramm ausschließlich die Schulen mit dem höchsten Anteil armer Kinder fördern, erhielten Bayern und Baden-Württemberg nur einen Bruchteil der geplanten Mittel.
  • Bremen, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt würden dagegen deutlich stärker profitieren als bisher angenommen.
  • Das gilt auch für Schulen in größeren Städten: Sie bekämen mehr Geld als Schulen auf dem Land. Nur Brandenburg bildet eine Ausnahme. Hier würden Schulen in ländlichen Räumen mehr Mittel aus dem Startchancenprogramm erhalten, wenn sich diese an den Kinderarmutsquoten orientierten.

Die Studie ist als WZB Discussion Paper erschienen.

Marcel Helbig: Eine „faire“ Verteilung der Mittel aus dem Startchancenprogramm erfordert eine ungleiche Verteilung auf die Bundesländer. Eine Abschätzung der Mittelbedarfe für die deutschen Grundschulen anhand der Armutsquoten in den Sozialräumen. WZB Discussion Paper, P 2023–001, Mai 2023. (PDF Download)

Prof. Dr. Marcel Helbig
ist am WZB wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe der Präsidentin. Am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBI) leitet er den Arbeitsbereich „Strukturen und Systeme“.


Lesen Sie im zwd-POLITIKMAGAZIN 396: "Wie bedarfsgerecht werden die Bildungsmilliarden verteilt? (hier zum Download: Seiten 21-25)

Mehr dazu in Ausgabe 397 des zwd-POLITIKMAGAZINs.

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