CORONA-EPIDEMIE : Zivilcourage stärken: Kampagnen gegen häusliche Gewalt gestartet

4. Mai 2020 // Ulrike Günther

Kontaktsperren, drohende Arbeitslosigkeit und Online-Unterricht für Schüler*innen verschärfen in der Corona-Krise teilweise die in Familien herrschende Spannung und steigern die Gefahr häuslicher Gewalt. Um Betroffenen auch dann Hilfe zu gewährleisten, wenn sich Schutzhäuser und Beratungsstellen weniger leicht erreichen lassen, sind in Österreich und in der Bundesrepublik mehrere Anti-Gewalt-Kampagnen gestartet.

Plakat der österreichischen Kampagne
Plakat der österreichischen Kampagne "Was sagen, was tun" gegen häusliche Gewalt - Bild: AÖF / StoP

Berlin/ Wien. Gerade während der Corona-Epidemie ist laut dem Verein Autonomer Österreichischer Frauenhäuser (AÖF) das sonst von Pädagog*innen, Sozialarbeiter*innen oder Ärzt*innen bereitgestellte Sicherheitsnetz gegen Gewalt wegen der geschlossenen Schulen und besonderen Ausgangsregeln nur eingeschränkt zugänglich oder fällt ganz weg. Die am Montag (04. Mai) vom AÖF und den österreichischen Grünen im Rahmen der Initiative „Stadtteile ohne Partnergewalt“ (StoP) gestartete Bewusstseinskampagne „Was sagen, was tun“ will Menschen auf das Problem der häuslichen Gewalt aufmerksam machen und darüber informieren, wie man auch in der gegenwärtigen Krise gefährdeten Kindern und Jugendlichen weiterhelfen kann.

Kinder brauchen Hilfe, um der familiären Gewalt zu entkommen

Zwar sei die Anzahl der Gefahrenmeldungen nach Angaben der StoP-Initiative in mehreren Bundesländern der österreichischen Republik zurückgegangen. Fachleute sehen darin jedoch eher einen Anlass zur Sorge. Sie werten diese Tatsache als ein Anzeichen dafür, dass Kinder und Jugendliche wichtige Anlaufstellen und Schutzräume in den Corona-Zeiten nicht mehr im selben Maße in Anspruch nehmen können wie sonst.

„Aufgrund der derzeitigen Situation haben viele Kinder keine Möglichkeit, der Gewalt in der Familie zu entkommen oder Hilfe zu holen“, sagte die familienpolitische Sprecherin der österreichischen Grünen-Fraktion Barbara Neßler. Die von Gewalt bedrohten Minderjährigen seien „der Situation ausgeliefert“, aufgrund der geltenden Schutzbestimmungen blieben die „Gewalttaten vielfach unbemerkt“, betonte Neßler. Umso wichtiger sei es, die Zivilcourage zu stärken und Nachbar*innen wie Vertrauenspersonen außerhalb der Familie für das Problem der häuslichen Gewalt zu sensibilisieren.

StoP gibt wichtige Hinweise für Betroffene und Unterstützer*innen

Hauptsächlich betroffen sind nach Aussagen des AÖF Kinder und Frauen. An der eigenen Mutter verübte Gewalt mitzuerleben sei „oft sehr traumatisierend für Kinder“, erklärte die AÖF-Geschäftsführerin Maria Rösslhumer. Daher bieten Frauenhäuser auch Kindern Hilfe und Schutz, um ihre schmerzlichen Erfahrungen mit Gewalt aufzuarbeiten.

Über die Sozialen Medien klärt StoP innerhalb der nächsten Tage über Gewalt gegen Kinder im häuslich-familiären Umfeld auf, erteilt Hinweise, wie Personen aus der Nachbarschaft gewalttätiges Verhalten gegen Minderjährige erkennen und sicher dagegen einschreiten können. StoP verbreitet die wichtigsten Notrufnummern, stellt Vordrucke für Aushänge in Treppenhäusern, Parks oder ähnlichen, für Kinder erreichbaren Orten zur Verfügung und gibt gewaltbetroffenen Minderjährigen Tipps, wo sie Unterstützung finden können.

BMFSFJ-Kampagne informiert über Schritte gegen häusliche Gewalt

Wenige Tage zuvor hatte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) in Deutschland mit „Zuhause nicht sicher?“ eine vergleichbare Hilfsaktion eingeleitet. In Zusammenarbeit mit den großen Supermarkt-Ketten, wie Aldi, Lidl oder EDEKA, hat sich die vom Bundesfamilien-ministerium (BMFSFJ) aufgelegte Initiative „Stärker als Gewalt“ das Ziel gesetzt, Menschen zu unterstützen, die während der aktuellen Corona-Krise entweder selbst häusliche Gewalt erfahren oder im Falle beobachteter oder miterlebter Gewalttaten helfend eingreifen wollen. In bundesweit rund 26.000 Einkaufsmärkten werden im Kassenbereich, an Eingängen und Anzeigen-Brettern Plakate aufgehängt, welche über die Initiative des BMFSFJ und wichtige Hilfsangebote informieren.

Plakate-Aktion soll Hilfsangebote besser zugänglich machen

„Im eigenen Zuhause nicht sicher zu sein ist ein unerträglicher Zustand, den wir nicht hinnehmen dürfen“, hob Giffey anlässlich des Starts der Kampagne am 29. April hervor. „Es gibt Wege aus der Gewalt, es gibt Hilfe – und ich ermutige alle Frauen und auch Männer, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, sich Unterstützung zu holen“, unterstrich die Familienministerin den Leitgedanken der Aktion. Ähnlich wie bei der Kampagne von Grünen und AÖF in Österreich können sich hilfsbereite Menschen auf der Webseite des BMFSFJ Plakate und Infozettel herunterladen, um sie in Hausfluren oder an geeigneten Stellen im öffentlichen Raum anzubringen.

Die Poster und Übersichten zur Initiative „Stärker als Gewalt“ sollen sowohl dazu beitragen, dass betroffene Personen auch in der Ausnahmesituation Zugang zu Schutz und Beratung zu erhalten, als auch Kund*innen in Supermärkten ebenso wie Nachbar*innen in der häuslichen Umgebung oder Freund*innen befähigen, Alarmsignale rechtzeitig wahrzunehmen und aktiv gegen Gewalt vorzugehen.

Bild oben: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) zur Eröffnung der Kampagne "Zuhause nicht sicher?" - Quelle: BMFSFJ

Artikel als E-Mail versenden