zwd-POLITIKMAGAZIN Nr. 362 : zwd-Debatte: „Ist eine Kita-Pflicht die Basis für Chancengleichheit in der Bildung?“

20. August 2018 // Hilda Lührig-Nockemann

Die Zahl der betreuten Kinder wächst – bei den Drei- bis Sechsjährigen um 41.500 auf 2,4 Millionen Kinder (93,6 %), so das Familienministerium in einer Pressemitteilung vom 22. Juni. Doch trotz dieser Steigerung fallen 164.103 Kinder aus dem Kita-Netz heraus. Werden sie die Schule mit den gleichen Chancen beginnen wie die Kita-Kinder oder brauchen wir eine Kita-Pflicht? Denn „in der Kita [...] werden die Weichen gestellt für Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit“, wie Ministerin Franziska Giffey (SPD) betonte.

Bild: Fotolia / Robert Kneschke
Bild: Fotolia / Robert Kneschke

Bettina M. Wiesmann, MdB (CDU), Vorsitzende der Kinderkommission des Bundestages

"1. Ich bin gegen eine Kita-Pflicht. Dies gilt sowohl für Krippen als auch für Kindergärten für Kinder über drei Jahre.

2. Eine Pflicht zur Teilnahme wäre ein Eingriff in die elterliche Erziehungshoheit nach Art. 6 des Grundgesetzes, die schon durch die Schulpflicht grundgesetzlich eingeschränkt worden ist. Eltern müssen das Recht haben, selbst zu entscheiden, welche wesentlichen Entwicklungen ihres Kindes sie selbst regeln und welche sie durch professionelle Kräfte fördern lassen wollen. Das Grundgesetz setzt hier ganz bewusst den Staat in die zweite Reihe und dabei soll es auch bleiben. Eine ,Kita-Pflicht' wäre ein tiefer Eingriff in dieses elterliche Grundrecht und damit verfassungswidrig.

3. Es gibt viele Kinder, für die der Besuch einer Kita eine Bereicherung darstellt. Es gibt aber auch Kinder, die hierdurch eher benachteiligt würden, weil sie in der Gruppe nicht zurechtkommen oder sie schlichtweg nicht brauchen. Sie in die Kita zu zwingen, würde ihnen schaden, den anderen Kindern aber nichts bringen und ist deshalb abzulehnen.

4. Manche meinen, Kinder aus benachteiligenden Verhältnissen würden von einer Kita-Pflicht profitieren, weil ihre Eltern ihnen den Einstieg in die soziale und Bildungsintegration verwehrten. Dem ist aber nicht so: 94% aller Kinder über drei Jahre werden sowieso schon in Kitas betreut. Die verbleibenden 6 Prozent sind aber keineswegs nur Benachteiligte. Das hat kürzlich eine Studie des DIW nachgewiesen, die Forscher kamen sogar zu dem Ergebnis, von einer Kita-Pflicht abzuraten. Dem schließe ich mich an.

5. Was den leicht erhöhten Anteil von Nichtteilnehmern aus Migrantenfamilien betrifft, bei denen beide Elternteile eingewandert sind: Hier sollte stärker auf die Existenz von Kindergärten und ihren Nutzen für die Kinder hingewiesen sowie die dringende Empfehlung gegeben werden, die Kinder dort hinzuschicken. Eine Deutschlern-Pflicht via Kindergarten, die z.B. Berlin für Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen eingeführt hat, scheint bei bescheidenen 50 Teilnehmern nicht gerade ein Ausweis für den Nutzen von ,Pflichten' zu sein."


Susann Rüthrich, MdB (SPD), Mitglied der Kinderkommission des Bundestages

"Kitas sind sehr wichtige Bildungseinrichtungen. Jedes Kind sollte dieses Angebot ohne Barrieren nutzen können. Deswegen müssen wir eine hohe Qualität sicherstellen und gleichzeitig dafür sorgen, dass das Angebot kostenlos ist. Eine Kita-Pflicht wäre für mich dann unnötig."




Sven Lehmann, MdB (Grüne), Mitglied der Kinderkommission des Bundestages

"Die anhaltende Diskussion um eine Kitapflicht in Deutschland geht an der Realität vorbei, denn 94 Prozent der 3-6 jährigen besuchen bereits eine Kita. Was es dringend braucht, ist eine Qualitätsoffensive. Und auch der Bedarf an Kitaplätzen ist noch lange nicht gedeckt. Darum müssen wir uns endlich kümmern: ausreichend Plätze für alle, eine hohe Qualität der Betreuung und eine bessere Bezahlung der Erzieher*innen. Hier ist Frau Giffey nach ihren vollmundigen Ankündigungen in der Bringschuld."





Norbert Müller, MdB (Linke), Mitglied der Kinderkommission des Bundestages

"Wer in Deutschland sein Kind in einer Kindertageseinrichtung betreuen lassen will, muss bereits heute vielerorts lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Denn es fehlen derzeit 300.000 Kita-Plätze. Schon vor diesem Hintergrund halte ich die Debatte um die Einführung einer Kita-Pflicht in Deutschland für absurd. Wir müssen endlich dafür sorgen, dass der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz nicht nur auf dem Papier besteht. Alle denen, die einen Kita-Platz in Anspruch nehmen wollen, muss dieser auch zur Verfügung gestellt werden. Deswegen brauchen mehr Investitionen von Bundesebene und eine echte Fachkräfteoffensive. Eine Scheindebatte um eine Kita-Pflicht hilft uns da nicht weiter - zumal, wenn sie wie in Dänemark mit Stereotypen gegen Arme und Migrant_innen aufgeladen wird. Das lenkt nur von den eigentlichen Problemen ab."



Matthias Seestern-Pauly, MdB (FDP), Mitglied der Kinderkommission des Bundestages

"Ich begrüße es sehr, dass seit einiger Zeit ein Rechtsanspruch für Eltern auf einen Kita-Platz für ihr Kind besteht. Familien wird somit die Chance gegeben, ihre Kinder in einer Kita betreuen zu lassen. Dennoch muss eine Familie die Wahlfreiheit behalten, ob und in welchem Umfang das Kind in einer Kita betreut werden soll, denn auch das gemeinsame Familienleben spielt in der Entwicklung eines Kindes eine wichtige Rolle. Zu einer echten Wahlfreiheit gehört aber auch, dass die Qualität in den Einrichtungen weiter ausgebaut werden muss. Deshalb ist es für uns als Freie Demokraten wichtig, dass die Qualität von frühkindlicher Betreuung verbessert wird. Erst dann sollte sukzessiv die Kinderbetreuung kostenfrei angeboten werden.

Um diese Ziele erreichen zu können, setzen wir uns für eine bessere Bezahlung und Ausbildung des Kita-Personals ein - denn Kitas sind für unsfrühkindliche Bildungseinrichtungen, die unsere Kinder fördern und nicht nur betreuen sollen. Parallel haben wir es zum Ziel, dass Kitas bei den Öffnungszeiten endlich flexibler und verlässlicher werden. Dies ist für alle Eltern, besonders aber für Alleinerziehende sehr wichtig.

Mit dem sogenannten ,Gute-Kita-Gesetz' wollte die Bundesregierung einen Vorstoß in die richtige Richtung wagen- denn die Qualität der Bildung im frühkindlichen Alter spielt eine wichtige Rolle. Leider ist - wie so häufig - die Umsetzung mangelhaft. Vielerorts werden die zusätzlichen Gelder vor allem in die Beitragsfreiheit investiert, anstatt in eine Verbesserung der Qualität. Hier wird eine Chance verpasst, unsere Kinder wirklich zu fördern und den Beruf der Erzieherin und des Erziehers nachhaltig aufzuwerten, beispielsweise durch eine bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen."

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