ABSCHAFFUNG DES STRAFRECHTSPARAGRAFEN : § 219 a: SPD erhöht Druck auf die Kanzlerin

12. Oktober 2018 // Holger H. Lührig

Nach der Bestätigung des Urteils gegen die Ärztin Christina Hänel durch das Landgericht Gießen wächst der Druck auf die SPD, die im Bundestag gegebene Mehrheit für die Abschaffung oder Reform des § 219a entschlossen zu nutzen. Schon in der kommenden Woche soll das Thema ins Bundestagsplenum. Bislang sind alle Bemühungen von Bundesjustizministerin Katharina Barley, die Unionsparteien zu einer Vereinbarung über eine Reform dieses Strafrechtsparagrafen zu bewegen, gescheitert. Die SPD will nun die Kanzlerin in die Pflicht nehmen.

Bild: zwd
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Das Landgericht Gießen hatte am Freitagmorgen das Urteil des Amtsgerichts Gießen bestätigt, das die Ärztin wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche unter Berufung auf den Paragrafen 219a zu einer Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro verurteilt hatte. Im Vorfeld der Gerichtsverhandlung hatte die Justizministerin für eine Reform des Paragrafen plädiert und die Erwartung ausgesprochen, dass noch in diesem Herbst eine Änderung erfolge. Nach dem Bekanntwerden des Urteils veröffentlichte das Bundesfrauenministerium ein Statement von Ministerin Franziska Giffey, in der sie klarstellte, dass eine Reform des Paragraphen 219a jetzt überfällig sei: „Wir müssen die gute Arbeit von Ärztinnen und Ärzten entkriminalisieren und ihnen Rechtssicherheit geben“, forderte die Ministerin.

Für die FDP-Bundestagsfraktion verlangte deren Stellvertretender Vorsitzender Stephan Thomae, die SPD müsse bei dem § 219a „Farbe bekennen und handeln“. Der FDP-Politiker bemängelte, dass der Bundestag seit einem Jahr über den § 219a diskutiere. Trotz mehrerer Gesetzentwürfe, zahlreicher Diskussionen im Rechtsauschuss und einer öffentlichen Anhörung habe es die Große Koalition „bis heute nicht geschafft, eine gemeinsame Linie zu finden“. Thomae warf Union und SPD vor, Frauen in ihrer Notsituation weiterhin völlig allein zu lassen. Daran, dass es zu einer Verbesserung komme, habe er große Zweifel, denn die Union verweigere jegliche Bewegung: „In ihrem Starrsinn verdrängen CDU und CSU aber, dass es mit der SPD und den Oppositionsfraktionen eine parlamentarische Mehrheit für eine Änderung des Paragrafen 219a gäbe“. Der FDP-Politiker mahnte die Sozialdemokrat*innen, endlich Farbe bekennen und jetzt zu handeln.

Nächste Woche im Bundestag

Die Linke wird einer Ankündigung Möhrings zufolge in der kommenden Sitzungswoche einen Tagesordnungspunkt zu 219a im Plenum aufsetzen lassen. Auch die Grünen wollen ihren eigenen Gesetzentwurf zur Abschaffung des § 219a in der kommenden Woche im Plenum des Bundestages beraten lassen.

Übereinstimmend sprachen sich die zuständigen Sprecherinnen von SPD, Linken und Grünen dafür aus, den Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und Rechtsexpertin, Eva Högl, sagte gegenüber dem zwd-POLITIKMAGAZIN, die Bestätigung der Verurteilung von Kristina Hänel zeige deutlich Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Högl bekräftigte die Position der SPD zugunsten einer Streichung des Paragrafen 219a. Ihren Worten zufolge „brauchen wir in jedem Fall substanzielle Änderungen am Paragrafen 219a, damit Ärztinnen und Ärzte nicht kriminalisiert werden und Patientinnen sich objektiv informieren können“. Wörtlich fügte Högl hinzu: Ich nehme die Kanzlerin beim Wort, dass die Union hier zu einer Lösung bereit ist."

Auch die Stellvertretende Vorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Cornelia Möhring, kommentierte gegenüber dem zwd-POLITIKMAGAZIN die Gerichtsentscheidung in Gießen mit der Feststellung: „Der Berufungsprozess hat bestätigt: das Gesetz ist nicht mehr zeitgemäß und es ist mehr als zweifelhaft, ob es verfassungsgemäß ist“. Sie könne den Richter verstehen, fügte Möhring hinzu, wenn dieser feststelle, dass die „Gerichte überfordert sind, wenn Gesetze gemacht werden, die nicht passen“. Aus dem Gießener Gerichtssaal kommt für Möhring die „ganz klare Botschaft“: Der Gesetzgeber müsse handeln und den Paragrafen 219a streichen.

Nach Ansicht der frauenpolitischen Sprecherin der Grünen, Ulle Schauws, muss sich die Bundesjustizministerin fragen lassen, worauf sie eigentlich warte: „Es genügt nicht, monatelang eine Lösung anzukündigen.“ Die grüne Bundestagsfraktion will, wie Schauws gegenüber dem zwd-POLITIKMAGAZIN betonte, „weiterhin parlamentarisch für die Abschaffung des § 219a kämpfen“.

27 Organisationen und ASF beharren auf Abschaffung des § 219 a

Gemeinsam mit weiteren 26 frauenpolitisch wichtigen Organisationen hat der DGB-Bundesvorstand Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie die zuständigen Minister*innen und die Fraktionsvorsitzenden der Koalition in einem offenen Brief aufgefordert, Frauen endlich legalen und uneingeschränkten Zugang zu umfassenden und sachlichen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zu gewähren und § 219a StGB aufzuheben. Ähnlich hatte sich zuvor auch die ASF-Bundesvorsitzende Maria Noichl geäußert. Die Chefin der SPD-Frauenorganisation erklärte gegenüber dem zwd-POLITIKMAGAZIN, dass ihre Organisation ebenso wie der SPD-Parteivorstand klar für die Abschaffung des § 219a eintrete.

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