zwd-INTERVIEW: CORNELIA RUNDT (SPD) : „Das Gleichstellungsgesetz wäre das Meisterstück der Frauenpolitik gewesen“

11. Oktober 2017 // Dr. Dagmar Schlapeit-Beck

Kurz vor der Landtagswahl am 15. Oktober sprach zwd-Chefredakteurin Dr. Dagmar Schlapeit-Beck mit der niedersächsischen Frauenministerin über ihre Erfolge in der Gleichstellungs- und Gesundheitspolitik.

Bild: ms.niedersachsen.de / Tom Figiel
Bild: ms.niedersachsen.de / Tom Figiel

zwd-POLITIKMAGAZIN: Frau Ministerin, auf welche Erfolge blicken Sie in der Gleichstellungs- und Gesundheitspolitik zurück?

Frauenministerin Cornelia Rundt (SPD): Besonders stolz bin ich darauf, den Investitionsstau in den niedersächsischen Krankenhäusern mit 1,3 Milliarden Euro zusätzlich abgebaut zu haben und den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus von früher 40 Millionen Euro auf jetzt 800 Millionen Euro. Das sind meine Haushaltshighlights. Ich bin ja die einzige Sozialministerin, die zugleich auch Wohnungsbauministerin ist, so konnte ich den Sozialen Wohnungsbau auch mit Inklusion, Barrierefreiheit und Wohnungslosigkeit stärker verknüpfen.

Bei der Gleichstellung möchte ich das Niedersächsische Gleichstellungsgesetz herausheben, dass ich fertiggestellt hatte und auf den Weg bringen wollte. Es wäre das Meisterstück in der Frauenpolitik gewesen, in dem wir die 50-Prozent-Quote für alle weiblichen Beschäftigten im öffentlichen Dienst klargestellt hätten. Der Gesetzentwurf war bereits abgestimmt, bis dann leider der Übertritt einer grünen Abgeordneten zur CDU erfolgte. Es war ausgerechnet die frauenpolitische Sprecherin, mit der ich den Gesetzentwurf vorbereitet und die mir immer versichert hatte, dieses Gesetz sei auch ihre Herzensangelegenheit. Aufgrund der veränderten Mehrheitsverhältnisse ist dann dieser Gesetzentwurf nicht mehr beschlossen worden. Und die neue CDU-Abgeordnete hatte sogar noch viel weitergehende Vorstellungen, die wir auf ein realistisches Maß begrenzen mussten und dann scheiterte das Gesetz schließlich an ihr.

Wir hatten zudem 2016 den Vorsitz der Gleichstellungsminister*innenkonferenz (GFMK). Dort haben wir schwerpunktmäßig zwei Themen bewegt: Zum einen die Gleichstellung in der digitalisierten Arbeitswelt: Welche Auswirkungen hat die digitale Revolution für Frauen? Gibt es dadurch Verbesserungen wie mehr Vereinbarkeitsmöglichkeiten von Familie und Beruf oder führt sie zu mehr prekären Arbeitsplätzen von Frauen?

Der zweite Arbeitsschwerpunkt in der GFMK war die Situation von geflüchteten Frauen. In den neunziger Jahren gab es den Fehler, dass die Männer zwar sehr schnell an Sprachkurse teilnehmen konnten, wir die Frauen allerdings vernachlässigt haben. Heute gibt es noch immer Migrantinnen, die mehr als 20 Jahre in Deutschland leben und keine Deutschkenntnisse haben und z.B. bei Behördengängen oder beim Arztbesuch auf ihre deutsch sprechenden Kinder angewiesen sind. Das müssen wir jetzt anders machen. Wir haben in Niedersachsen Schwerpunktprogramme aufgelegt, die die Integration von zugewanderten Frauen in den Arbeitsmarkt fördern und spezielle Sprachkurse anbieten. Dies ist auch wichtig für die Integration der nächsten Generation. Wenn die Frauen über Arbeit integriert sind, werden sie auch ihre Söhne und Töchter anders erziehen. Wir haben auch für zugewanderte Menschen Projekte zur Gleichstellung von Männern und Frauen entwickelt, um unseren Wertekanon zu vermitteln.

Wie sollte dieses Gleichstellungsgesetz genau greifen? Sollte es für Beamte und alle Beschäftigten gelten?

Der Geltungsbereich des Gleichstellungsgesetzes bezog sich auf alle Beschäftigten. Bei Neubesetzungen von Führungspositionen im öffentlichen Dienst sollten Frauen bei gleicher Qualifikation so lange vorrangig zu berücksichtigen, bis die 50-Prozent-Quote erreicht ist. Das Gesetz sollte in allen Bereichen gelten, in denen Frauen strukturell benachteiligt sind. Ich bedauere sehr, dass das Gesetz vier Wochen vor der Entscheidung gescheitert ist. Wir wären mit diesem Gesetz wirklich frauenpolitisch weitergekommen. Wir hätten damit die heutige Beliebigkeit verändert, nach der jede Dienststelle selbst festlegen kann, welchen Frauenanteil sie auf der Führungsetage anstrebt und wären zu verbindlichen 50-Prozent-Vorgaben gekommen. Zudem sollten die Rechte der Gleichstellungsbeauftragten gestärkt werden und eine Basis für eine modere Gleichstellungspolitik für den öffentlichen Dienst in Niedersachsen geschaffen werden.

Wie sehen Ihre gesundheitspolitischen Akzente aus?

Vor allem habe ich mich mit der zukünftigen Struktur der gesundheitlichen Versorgung im Flächenland Niedersachsen auseinandergesetzt mit dem klaren Bekenntnis zur Versorgung der Bevölkerung im ländlichen Raum. Wir haben herausgestellt, dass wir die kleineren Krankenhäuser im ländlichen Raum erhalten wollen, aber auch Gesundheitszentren mit ambulanten Angeboten unterstützen. Die Kostenträger, die Krankenkassen, fahren hier jedoch einen ganz anderen Kurs der Konzentration auf die Ballungszentren und immer weniger auf dem Lande.

Die Geburtsstationen in den kleinen Krankenhäusern sind doch häufig von Schließung bedroht?

Hier spielen insbesondere Wirtschaftlichkeitsfragen eine Rolle. Geburtskliniken sind heute durch die Krankenkassen deutlich unterfinanziert. Ich würde mich jedoch grundsätzlich weigern, die Pflichten der Krankenkassen aus Landesmitteln zu übernehmen. Es muss eine klare Ansage des Bundesgesetzgebers geben, dass die Selbstverwaltung an dieser Stelle zu beschränken ist, wenn sie nicht in der Lage ist, Unterversorgung zu verhindern. Ich bin eine Verfechterin von Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, bei den Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigung, solange sie funktioniert. Ich erlebe aber tagtäglich, dass sie nicht funktioniert. Und aus diesem Grunde bin ich sehr dafür, dass Selbstverwaltung bei Versagen eingeschränkt wird. Und ich sehe das Versagen der Selbstverwaltung in vielen Bereichen. Die Selbstverwaltung hat dazu geführt, dass Niedersachsen gesundheitspolitisch im Ländervergleich sehr schlecht dasteht. So hat Niedersachsen den niedrigsten Landesbasiswahlwert, das ist die schlechteste Finanzierung von Krankenhäusern. Und in der Pflege haben wir die schlechteste Vergütung von Pflegekräften und die schlechteste Refinanzierung von Personalkosten. Deshalb muss der Bundesgesetzgeber den Ländern ermöglichen, die Selbstverwaltung dann einzuschränken, wenn diese dazu führt, dass wir keine Fachkräfte mehr gewinnen können, weil die Mitarbeiter*innen nicht vernünftig bezahlt werden.

Bei der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum hat das Land keine direkten Zuständigkeiten, die liegt bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Wir haben jedoch gemeinsam Anreize gesetzt für die Niederlassung von Ärztinnen und Ärzten im ländlichen Raum und haben Stipendienprogramme für die Hausarztversorgung aufgelegt. Verknüpft wurde das Thema mit der Raumordnung und Mobilität, weil es eine grundlegende gesundheitspolitische Frage ist, wie Patient*innen im ländlichen Raum überhaupt zur ihrer Ärztin oder zu ihrem Arzt kommen.

Welche Verbindung sehen Sie zwischen frauenpolitischen Zielen und der Gesundheitspolitik?

Besonders in der Frage der Geburtshilfe und den Hebammen. Auch hier wird besonders deutlich, dass die Selbstverwaltung nicht funktioniert. Die Attraktivität des Berufes der Hebammen leidet sehr, weil die Krankenkassen nicht vernünftig bezahlen. Zudem müssen wir die Frage der Vergütung der Sozialen und Gesundheitsberufe auch unter frauenpolitischen Aspekten sehen. Es handelt sich um Frauenberufe, die traditionell aus Bereichen kommen, die eher dienende Funktionen in kirchlichen und ehrenamtlichen Bereichen hatten, was dazu geführt hat, dass dort traditionell schlecht bezahlt wird. Die Attraktivität dieser Berufe im Wettbewerb mit anderen Berufen, die Fachkräfte suchen, ist heute so gering, dass die Versorgung auf Dauer nicht mehr sichergestellt werden kann.

Ein ganz prägnantes Beispiel ist die Stadt Wolfsburg, wo man keine examinierten Pflegekräfte findet, weil die Frauen bei VW am Band als Ungelernte deutlich mehr verdienen, als Fachkräfte in der Pflege.

Welche gesundheitspolitischen Ziele verfolgen Sie in der Zukunft?

Für die Zukunft muss die Refinanzierung der Vergütungen in der Pflege auf tarifvertraglicher Basis erfolgen. Wir müssen erreichen, dass Tarifverträge in der Pflege abgeschlossen werden. Über bundesgesetzliche Vorgaben muss erreicht werden, dass die Kostenträger ausschließlich tarifliche Vergütungen berücksichtigen und den Abschluss von Versorgungsverträgen von Tarifverträgen abhängig machen müssen. Viele Arbeitgeber*innen würden solche Tarifverträge abschließen, wenn sie sicher sein könnten, dass diese von den Kostenträgern bei der Refinanzierung berücksichtigt würden. Darüber hinaus wäre es wichtig, wenn ein solcher Tarifvertrag für die Pflege allgemeinverbindlich würde. Dann würde der Wettbewerb der Einrichtungen über die beste Qualität laufen und nicht mehr über Lohndumping.

Ihre Prognose für den Ausgang der Landtagswahl am 15. Oktober?

Eine Prognose ist extrem schwierig, weil niemand weiß, welchen Effekt es durch den Ausgang der Bundestagswahl gibt. Meine Prognose ist, dass es deutlich komplizierter wird, da es nicht unwahrscheinlich ist, dass es eine Regierung mit drei Parteien geben wird. Ich fand, Rot-Grün war eine ideale Lösung, insbesondere im sozialen Bereich! Und die Einstimmenmehrheit im Landtag war unglaublich diszipliniert. Zu jeder Abstimmung waren wirklich immer alle Abgeordneten da. Im letzten Landtag hat die CDU das nicht hingekriegt, die haben dadurch sogar Abstimmungen verloren.

Wäre in Niedersachsen auch eine GroKo denkbar?

Man kann sie nicht ausschließen, aber es ist in der Vergangenheit viel Porzellan bei der zerschlagen worden. Die CDU hat sich hochaggressiv dargestellt und die Grenzen des guten Geschmacks verletzt.

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