Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD)
„Die SPD braucht sehr schnell einen neuen Aufbruch für eine starke Bildungsgesellschaft“
Zunächst das Machtpolitische im Fachpolitischen: Die SPD ist bei der Regierungsbildung das sechste Mal in Folge beim Ministerium für Bildung und Forschung nicht zum Zuge gekommen. Es liegt damit 20 Jahre und bald länger zurück, dass die SPD für sich und ihre bildungspolitische Mission dieses Ressort durchgesetzt hätte. Obwohl das Ministerium aufgeteilt worden ist, sind beide neuen Ressorts an die CDU und CSU gegangen, während die SPD allein über die beiden Ausschussvorsitzenden im Parlament noch überregionale Sichtbarkeit erreichen muss. Gleichzeitig ist auch noch die Zuständigkeit für Familie, Senioren, Frauen und Jugend an die ehemalige Landesministerin und stellvertretende CDU-Vorsitzende Karin Prien gegangen.
Die CDU hat offensichtlich Großes vor
Diese hat mit dem neu mit Bildung verstärkten Ministerium offensichtlich Großes vor. Sie sieht laut FAZ vom 17.April darin „das Gesellschaftsministerium, in dem alle Themen rund um gesellschaftlichen Zusammenhalt, Generationengerechtigkeit und Demokratiebildung angesiedelt sind.“ Nicht von ungefähr hatte die CDU eine solche Zusammenführung schon in ihrem letzten Grundsatzprogramm beschlossen. Insgesamt baut die CDU/ CSU damit ihre Position vor allen Dingen im Bereich der Bildungspolitik deutlich aus, denn auch unter den amtierenden Kultusministern in den 16 Ländern stellen die CDU und CSU mit acht Amtsinhabern aus den sogenannten B-Ländern die stärkste „Bank“.
Ob dieser anhaltende bundespolitische Rückzug der SPD aus der Verantwortung für die großen Gestaltungsbereiche von Bildung, Wissenschaft, Forschung, Familie Senioren, Frauen und Jugend fachlich, programmatisch wie strategisch wirklich klug ist, muss mit Fug und Recht bezweifelt werden. Zukunftspolitik in diesen Bereichen war eben nie flapsig dahin gesagtes „Gedöns“. Gerhard Schröder (der als Kanzler von dem BMFSFJ als dem MInisterium für Familie und Gedöns gesprochen hatte - Red.) hat damit eine in Wirklichkeit ja überaus erfolgreiche sozialdemokratische Politik mit Persönlichkeiten wie Edelgard Bulmahn für Bildung und Renate Schmidt für Familie und Frauen diskreditiert. Es wurde leider auch ohne Not ein langfristiger Bruch mit einem Identitätskern und einer Schlüsselkompetenz sozialdemokratischer Politik auf Bundesebene eingeleitet, der jetzt dringend aufgearbeitet werden muss.
Für die SPD wird es höchste Zeit
Für die SPD ist eine Neubesinnung gefragt. Sie muss sich hier in ihrer politischen Mission wieder neu finden und auch nach außen hin mit klaren Profil und ambitioniertem Personal erkennbar werden. Dazu braucht es einen Ausbau der inhaltlichen und organisatorischen Kompetenz der Bundespartei über die klassischen Arbeitsgemeinschaften hinaus. Das Bildungsforum wie das Wissenschaftsforum müssen neu belebt werden, auch um SPD und innovative Geister der Theorie und Praxis in diesen Bereichen wieder wechselseitig füreinander interessant zu machen. In der Parteispitze muss es eine aktive und erkennbare Führungspersönlichkeit als Gegengewicht zu der CDU-Dominanz auf Bundesebene geben. Die Ministerinnen und Minister der SPD aus den Ländern sind als Antreiber und Stimmen auch auf der Bundesebene gefordert.
Und es braucht weiter kontinuierlich inhaltliche Impulse aus der Bundestagsfraktion, kann diese doch auf ihre inhaltliche Führung bis hin zur konzeptionellen Hegemonie in den letzten Jahrzehnten in diesen Politikbereichen verweisen, während die CDU/CSU blank waren. Aktuell hat die SPD u.a. ein voluminöses Investitions- und Förderprogramm für die Bildung in Kitas und Schulen durchgesetzt, an dem sich Bund, Länder und Kommunen im Föderalismus jetzt beweisen können und müssen. Das ist beste Daseinsvorsorge und Staatsverantwortung im sozialdemokratischen Sinne.
Ein neues Bildungsbürgertum für Chancengleichheit
Allerdings dürfen Sozialdemokraten gerade auch in der Bildungspolitik nie alleine nur auf den starken leistungsfähigen Staat setzen. Sie müssen immer auch für eine starke und leistungsfähige Gesellschaft eintreten und kämpfen. Wir wissen um die Bedeutung vom ganz persönlichem Einsatz vieler einzelner Menschen für Bildungsförderung für alle. Wir brauchen ein neues Bildungsbürgertum,
o das für Chancengleichheit für wirklich alle Kinder und Jugendlichen kämpft und tatkräftig hieran mitwirkt,
o das Inklusion und Integration ganz praktisch unterstützt und hierfür eigene Zeit einsetzt,
o das sich Alters- und soziale Grenzen übergreifend für Teilhabe durch und mit gemeinsamer Bildung einsetzt.
Zum Beispiel...
- als Elternvertreter und Kita- und Schulpaten,
- als Mentor/Lesehelfer,
- als aktive Unterstützer in Familienzentren und in der Betreuung von Flüchtlingskindern,
- als Senior-Begleiter in der beruflichen Ausbildung, als Nachbarschaftsaktivist gegen digitale Überforderung und Einsamkeit,
- als Demokratie-Erklärer und Vermittler von Erinnerung und Vorbilder von gelebter Bildungsneugierde.
Eine starke Gesellschaft war schon immer das aus Überzeugung und Erfahrung geborene Ziel der SPD. Hieran gilt es jetzt anzuknüpfen und in den Parlamenten wie in der Partei neue Impulse zu setzen, programmatisch wie ganz praktisch und unbedingt lebensnah.
Dr. Ernst Dieter Rossmann ist Ehrenvorsitzender des Deutschen Voilkshochschul-Verbandes (DVV) und war zuletzt im Bundestag Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (2018-2021).