KOMMENTAR DES ZWD-HERAUSGEBERS : „Für meinen verehrten Präsidenten...“

30. Mai 2018 // Holger H. Lührig

Zugegeben, mir als Fußballfan hat der Atem gestockt, als ich von der Wahlkampfhilfe der deutschen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan für den türkischen Präsidenten Erdogan las. Beide hatten ihn bei dem Besuch einer türkischen Stiftung in London getroffen und ihm bei dieser Gelegenheit die Trikots ihrer jeweiligen (englischen) Vereine übergeben (in Gündogans Fall mit der Aufschrift “Für meinen verehrten Präsidenten - Hochachtungsvoll“). Gündogan rechtfertigte sich später damit, er habe das als „Geste der Höflichkeit“ gemeint.

zwd Berlin. Hierzulande herrscht anders als in der Türkei Meinungsfreiheit. Insofern waren die Reaktionen auf die „Geste“, die von Erdogans Partei genüsslich ausgeschlachtet wurde, verhalten. Es sei „keine glückliche Aktion“ gewesen, gab Bundestrainer Joachim Löw zu Protokoll, und DFB-Chef Reinhard Grindel twitterte, die Spieler hätten „der Integrationsarbeit des DFB sicher nicht geholfen“. Das war nun schon lachhaft wenig. Als sozialer Demokrat bin ich weit entfernt von deutsch-nationalem Gedankengut. Aber von solchen Spielern, die unreflektiert (?) das menschenrechtsverachtende System in der Türkei hofieren, möchte ich mich im Ausland nicht von eben solchen Repräsentanten im Trikot der deutschen Nationalmannschaft vertreten wissen.

Was kümmert‘s den DFB? Bei der Fußballweltmeisterschaft in Russland dürfen Özil und Gündogan gleichwohl mit dabei sein. Schließlich gehe es um nichts weniger als die Verteidigung des Weltmeistertitels für die „Deutschen“, und da sollten die „Besten“ auflaufen. Die Besten? Nicht nur unter sportlichen Gesichtspunkten habe ich da meine Zweifel.

Ich stelle mir zum andern einmal vor, die türkischstämmige deutsche Fußballnationalspielerin Hasret Kayıkçı hätte dem Herrscher in Ankara oder die aus Ungarn stammende deutsche Fußballnationalspielerin Dzsenifer Marozsán dem ungarischen Staatschef Victor Orban eine vergleichbare Wahlkampfhilfe angedient. Den Shitstorm kann ich mir gar nicht groß genug vorstellen, der über die Spielerinnen bei einem Verhalten á la Özil/Gündogan dann hereingebrochen wäre. Von einem postulierten Rausschmiss aus der Frauenfußball-Nationalmannschaft ganz zu schweigen. Glücklicherweise ist das von diesen couragierten Spielerinnen, die wie Kayıkç in der Integrationsarbeit engagiert sind, nicht zu erwarten.

Bei aller Aufregung über Özil und Gündogan muss aber auch bedacht werden: Solange Militärgüter in beträchtlichem Umfang aus Deutschland an den Bosporus geliefert werden, sind Krokodilstränen wenig aussagekräftig. Angesagt wären vielmehr entschlossenere Zeichen der deutschen Politik gegenüber diesem Land, in dem die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit missachtet wird, in dem Regimegegner ohne Anklage und Prozess in Haft genommen werden und in dem die Pressefreiheit nichts mehr wert ist, wo zahlreiche Journalist*innen verhaftet oder – wie die deutsche Journalistin Meşale Tolu – weiterhin in Geiselhaft gehalten werden. So gesehen stünde es den beiden Spielern gut an, Abbitte zu leisten, indem sie nunmehr ihre Landsleute unterstützen, die in der Türkei verfolgt werden, weil sie für Menschenrechte und Pressefreiheit eintreten.

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