MINISTERIN NONNEMACHER IM zwd-POLITIKMAGAZIN : „Klar für alles, was in Richtung Parität geht“

14. März 2023 // Hilda Lührig-Nockemann/Hoilger H. Lührig

Das zwd-POLITIKMAGAZIN war zu Gast im brandenburgischen Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz. Wir sprachen mit der Ressortchefin Ursula Nonnemacher, die seit dem 20. November 2019, also seit drei Jahren, amtiert und zugleich Stellvertretende Ministerpräsidentin im sogenannten Kenia-Kabinett von SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke ist. Die Grünen-Politikerin, die in Wiesbaden geboren wurde und seit 1996 im brandenburgischen Falkensee lebt, ist eine Gesundheitsexpertin mit 26 Jahren Klinikerfahrung. Die ausgebildete Fachärztin für Innere Medizin ist also nicht von ungefähr Gesundheitsministerin. Sie ist aber auch eine engagierte Frauenpolitikern, die am 1. Januar den Vorsitz der Frauen- und Gleichstellungsminister:innen-Konferenz (GFMK) übernommen hat. Das Gespräch wurde auch als Video aufgezeichnet und ist auf der Webseite des zwd-POLITIKMAGAZINs auszugsweise anzusehen. Alle Bilder zu diesem Interview sind der Videoaufzeichnung entnommen, die von der Produktionsgesellschaft MPFilmproduktion für zwd-Online erstellt wurde.

Holger H. Lührig und Hilda Luehrig-Nockemann: Interview mit Ministerin Nonnemacher
Holger H. Lührig und Hilda Luehrig-Nockemann: Interview mit Ministerin Nonnemacher

Erinnerung an die erste Brandenburgische Frauenministerin Regine Hildebrandt

? Frau Ministerin, Sie sind seit dem 1. Januar dieses Jahres entsprechend dem Turnus unter den Ländern nicht nur Vorsitzende der Familienminister:innen-Konferenz, sondern auch der 33. Gleichstellungs- und Frauenminister:innen-Konferenz, kurz genannt GFMK. Gegründet wurde diese Fachminister:innen-Konferenz 1991, also kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands auf Initiative von Regine Hildebrandt. Sie war die erste Vorsitzende dieser Konferenz und damals brandenburgische Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen. Sie war eine höchst engagierte Sozialdemokratin, die sich mit Leidenschaft und Herz für die Sache der Benachteiligten, namentlich auch der ostdeutschen Frauen einsetzte. Deshalb möchten wir dieses Gespräch mit der Fragestellung beginnen, inwieweit Sie sich 33 Jahre nach der Wende dem damaligen Wirken der Frauenministerin Hildebrandt verbunden oder daran erinnert fühlen?

Ursula Nonnemacher, Frauen und Gesundheitsministerin Brandenburg, amtierende Vorsitzende der GFMK:

Ich denke, das ist eine tolle Geschichte, dass Regine Hildebrandt 1991 die erste Frauen- und Gleichstellungsminister:innen-Konferenz hier in Potsdam geleitet hat und mir jetzt 2023 diese Aufgabe zufällt. Wir verdanken ihr eine ganze Menge Impulse in dieser Richtung, zum Beispiel die Schaffung der Position einer Landesgleichstellungsbeauftragten ebenso wie die Etablierung der Brandenburgischen Frauenwoche. Wir sind stolz darauf, dass es mit der brandenburgischen Frauenwoche ein Format mit einer Vielzahl von Veranstaltungen gibt – jedes Jahr mit einem speziellen Motto, das durch den Frauenpolitischen Rat, den es seit über 35 Jahren gibt, kreiert wird. Die nächste frauenpolitische Woche wird in diesem Jahr am 2. März in Potsdam eröffnet und daran schließt sich an verschiedenen Orten im ganzen Land eine Vielzahl von Veranstaltungen an. Ich glaube, da sind wir beispielgebend.

Eine Vielfalt von Krisenbewältigung gleich nach Amtsantritt.

? Wir haben bei unserer Fragestellung auch daran gedacht, dass Sie ähnlich wie Frau Hildebrandt – damals nach der Wende und der Neuerrichtung der ostdeutschen Bundesländer – Ihr Amt in einer Krisen- und Umbruchphase übernommen haben.

Ursula Nonnemacher: Ja, das stimmt. Als ich das Amt im November 2019 übernommen habe, wurde ich vor der Afrikanischen Schweinepest gewarnt. Diese Tierseuche, hieß es, stehe in Westpolen kurz vor der brandenburgischen Grenze und ‚Du wirst damit zu tun haben‘. Das waren Krisensymptome, die sich schon abzeichneten. Aber dass wir es dann ab Ende Dezember 2019 mit Corona zu tun bekamen – einer Pandemie, die wirklich über Jahre jetzt die ganze Welt in Atem gehalten hat, – das haben wir uns nicht vorstellen können. Richtig ist: Dieses Ministerium ist in den letzten Jahren sehr, sehr stark im Krisenmodus gewesen. Als wir Anfang ‘22 gehofft hatten, jetzt gibt es Entspannung, kam der brutale Angriffskrieg auf die Ukraine. Im Fokus standen – und stehen – die Unterbringung und Versorgung Geflüchteter aus der Ukraine.

? Gibt es besondere Konzepte für diese geflüchtete Frauen?

Die geflüchteten Frauen sind in einer schwierigen Situation. Dem versuchen wir natürlich im Kontext der Beratungsstellen auch Rechnung zu tragen. Wir haben eine ganze Reihe von Migrantinnen und auch geflüchtete Frauen in unseren Frauenhäusern, die in entsprechenden Einrichtungen möglichst kultursensibel betreut werden.

? Es gibt noch andere Problemlagen …

Natürlich beschäftigen sich die Landesregierung und mein Haus anhaltend mit den sich aus den Kriegsfolgen ableitenden Problemen, mit der Energiekrise, mit der Inflation, mit der starken Verteuerung der Lebenshaltungskosten, mit den vielen Ängsten gerade bei Menschen, die sozial nicht so stark aufgestellt sind, die nicht so viel Ressourcen haben. Was unabhängig davon aktuell noch hinzugekommen ist, ist die Sorge um die Zukunft der Krankenhäuser. Wir haben die Aufgabe, sie zu retten und lebensfähig zu erhalten, damit sie ihrem Versorgungsauftrag nachkommen können. Die Krankenhäuser sind ein wichtiger Anker der Gesundheitsversorgung inBrandenburg. Zusammen genommen kommen neben der Vielfalt an Aufgaben, die dieses Ressort sowieso mit sich bringt, also noch sehr viele krisenbedingte Herausforderungen dazu.

Beschluss der GFMK (Antrag Brandenburg): Strukturwandel geschlechtergerecht gestalten

?Wir möchten auf die GFMK zurückkommen. Im abgelaufenen Jahr 2022 haben Sie dort für Brandenburg den Antrag eingebracht, den Strukturwandel geschlechtergerecht zu gestalten und ihn auch zu begleiten. Wenn Sie für moderne Rollenbilder, für gute Frauenarbeitsplätze und eine geschlechtergerechte soziale Infrastruktur werben, dann fragen wir: Mit welchen Instrumentarien wollen Sie das in Brandenburg – und auf andere Bundesländer ausstrahlend – bewirken?

Es ist richtig. Wir haben dieses Thema – die Geschlechterperspektive im Strukturwandel – auf die Agenda gesetzt. Da bedanke ich mich auch sehr bei unserer Landesgleichstellungsbeauftragten Manuela Dörnenburg, die diese Idee hatte und die sich auch mit den kommunalen Gleichstellungsbeauftragten in der Lausitz zusammengetan und ein interessantes Papier über Frauen im Strukturwandel entwickelt hat.

? Sie meinen das Positionspapier “Geschlechtergerechtigkeit für die Lausitz im Wandel” vom Juni 2021, das das Bündnis der Lausitzer Gleichstellungsbeauftragten gemeinsam mit Landesgleichstellungsbeauftragten auf den Weg gebracht haben. Ein Jahr später hat das Land Brandenburg auf der Länderebene nachgehakt und in der Hauptkonferenz der GFMK den Antrag “Strukturwandel geschlechtergerecht gestalten und begleiten” zur Abstimmung vorgelegt.

Genau, beide Papiere thematisieren die Frauenperspektive im Strukturwandel. Der Strukturwandel in der Lausitz betrifft sowohl Sachsen als auch Brandenburg. Daher hat Frau Dörnenburg, aber auch mein Haus, intensiv mit Sachsen zusammengearbeitet. Dass wir erreichen konnten, dass das Thema auch in der Staatskanzlei, beim Lausitzbeauftragten der Landesregierung ebenso wie in dem zuständigen Sonderausschuss des Landtages aufgegriffen wurde, finde ich sehr gut. Nur wenn die Frauen bleiben und nicht weggehen, wenn Frauen dort gute Arbeitsplätze vorfinden, dann ist das von Erfolg beschieden. Deshalb bin ich sehr froh über unseren Antrag in der letzten Gleichstellungs- und Frauenminister:innen-Konferenz, der ja dort eine gute Mehrheit gefunden hat, obwohl natürlich einige Kolleg:innen aus den anderen Ländern bekundeten, dass Braunkohle nicht unbedingt ihr Thema sei. Andererseits sind Strukturwandel und Transformationsprozesse auch in anderen Regionen sehr von Interesse.

? Das heißt, Sie können als Grünen-Ministerin in ihrem Landeskabinett auf die Finanzministerin von der SPD und den Innen- und Kommunalminister von der CDU rechnen?

Nehmen wir das Beispiel Staatskanzlei. Sie hat gerade zum Jahreswechsel eine Kampagne vorgestellt zur Stärkung der Lausitz. Die Geschlechterperspektive hat dort jetzt ihren festen Platz. Und wir haben ganz aktuell besprochen, dass wir gemeinsam mit den kommunalen Gleichstellungsbeauftragten aus der Lausitz und den Ministerkolleg:innen aus Sachsen vielleicht nach Brüssel fahren, um auch dort dieses Anliegen stärker zu platzieren. Wir bleiben also an dem Thema dran.

? Und die Unterstützung der Gleichstellungsthemen in der Landesregierung?

Hier im Haus haben wir als einen Schwerpunkt die Umsetzung der Istanbul-Konvention gesetzt, also vom Landesaktionsplan gegen Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder hin zu einer Umsetzung der Istanbul-Konvention in Brandenburg. Dazu gibt es interministerielle Arbeitsgruppen, in denen sich auch das Justiz- und das Innenressort sehr stark einbringen, ebenso das Bildungsressort. Was das Thema Gender Budgeting angeht, da ist sicher noch mehr möglich.

Schwerpunkt des GFMK-Vorsitzes Brandenburg: „Gleichberechtigte Teilhabe“

? Zu einem anderen Aspekt Ihres GFMK-Vorsitzes. Jede Ihrer Vorgängerinnen hat im Rahmen der vielfältigen Themenpalette ein Schwerpunktthema gesetzt. Haben Sie auch ein Thema in Ihren Fokus genommen?

Wir haben uns für das Thema „Gleichberechtigte Teilhabe“ entschieden. Gerade in Brandenburg haben wir schon einiges vorzuweisen. Wir sind mit dem Paritätsgesetz, das der Landtag zum Ende der letzten Legislaturperiode verabschiedet hat, praktisch Vorreiter:innen in ganz Deutschland gewesen. Thüringen ist uns gefolgt. Leider hat das Gesetz – ebenso wie in Thüringen - nicht vor dem Landesverfassungsgericht Bestand gehabt. Aber das Thema “gleichberechtigte politische Teilhabe” in einem Landesgesetz durch den Landtag zu bringen, dafür Mehrheiten zu akquirieren und einen sehr intensiven Diskussionsprozess in Gang zu setzen, das finde ich – auch im Nachhinein betrachtet - schon sehr bemerkenswert. Diese Jahre 2018, 2019 waren flankiert von einer Vielzahl von Aktivitäten. Auch der Frauenpolitische Rat, der insgesamt 300.000 Frauen in Brandenburg vertritt, hat sehr viele Unterstützungsaktionen dazu gemacht. Der Brandenburger Juristinnenbund hat sich umfänglich damit auseinandergesetzt. Also wir hatten eine sehr, sehr breite Debatte und führen sie weiter, indem wir auch schauen, wie wir die politische Teilhabe von Frauen in der Kommunalpolitik stärken können. Dazu haben wir eine Studie veröffentlicht von der Organisation “Frauen aufs Podium”. Das Thema ist weiterhin up to date..

? Eine Nachfrage: Ist denn unser Eindruck richtig, dass in beiden Fällen von den Verfassungsgerichten die Verpflichtung des Artikels 3 Absatz 2 des Grundgesetzes im Hinblick auf seine Gültigkeit in Thüringen und in Brandenburg nicht ernsthaft genug geprüft worden ist?

Es steht mir als Politikerin und als Ministerin in diesem Land nicht zu, eine Entscheidung unseres Landesverfassungsgerichtes zu kritisieren oder als unausgewogen darzustellen. Ich bedauere das Urteil. Denn natürlich hatten wir auch sehr viel Hoffnung, zumal gerade das Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes, das auch in unserer Brandenburger Verfassung in Artikel 12, Absatz 3 ausdrücklich adressiert wird, dazu verpflichtet, die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern. Daraus haben wir hergeleitet, dass das Gesetz auch verfassungsrechtlich standhält.

Die Paritätsdebatte im Bundestag wird auch die GFMK beschäftigen

? Erhoffen Sie sich jetzt vom Bundestag, von der Wahlrechtskommission des Bundestages oder schließlich auch vom Bundesverfassungsgericht, dass damit letztendlich befasst werden dürfte, ein klares Signal pro Parität?

Dass wir jetzt die Paritätsdebatte im Bund haben, finde ich auf der einen Seite gut. Allerdings sehen die ersten Signale nicht so sehr positiv aus, was ich enttäuschend finde. Man kann sich über die schwierigsten Gesetzgebungsprozesse und auch über verfassungsrechtliche Fragen einigen. Aber immer dann, wenn es darum geht, einmal gesetzlich voranzugehen gegen eine Ungleichbehandlung von Frauen oder gegen für die Demokratie sehr schwierige Unterrepräsentanz von Frauen in den Parlamenten, dann funktioniert es offenbar nicht. Ich finde, wir bräuchten einen konkreten Gesetzentwurf auf Bundesebene, der schlussendlich vom Bundesverfassungsgericht bewertet wird, damit wir dann in Fragen der Parität wirklich eine Entscheidungsrichtschnur erhalten, egal, ob in dem einen oder anderen Bereich nachgebessert werden muss oder auch nicht. Im Moment haben wir immer eine Vielzahl von juristischen Meinungen zu diesem Thema, aber wir haben keine verbindliche Aussage des Bundesverfassungsgerichts zur Parität im Bund. Und wenn wir da nicht weiterkommen, fände ich das schon ausgesprochen bedauerlich.

? Im Bundestag gibt es Parität nicht, auch in Ihrem Landtag nicht. In Brandenburg liegt der Frauenanteil nach der Landtagswahl 2019 mit 32 noch um 2 Prozentpunkte niedriger als im Bundesparlament. Gleichzeitig ist der Anteil der Bürgermeisterinnen um 10 % höher. Dieser beträgt nämlich 19 % und nicht 9 % wie auf Bundesebene. Ein krasses Ungleichgewicht zwischen der 1949 im Grundgesetz verankerten Gleichberechtigung und der Realität.

Zum Frauenanteil im Brandenburger Landtag lassen Sie mich ganz klar sagen: Wir waren in Brandenburg schon mal bei 44 Prozent weiblicher Abgeordneter. Das war, glaube ich, in der vierten Wahlperiode. Wir hatten auch in der fünften Wahlperiode einen höheren Anteil als momentan. Dass der Frauenanteil so nach unten gegangen ist, liegt auch an den starken Wahlerfolgen der AfD, die hier im brandenburgischen Landtag mit 23,4 Prozent vertreten ist. Eine Partei, die ständig gegen Gender und Gleichberechtigung wettert und auch den niedrigsten Frauenanteil von allen Parteien hat, führt natürlich zu dem Missverhältnis. Ein weiterer Grund für das Sinken des Frauenanteil liegt daran, dass die SPD sehr erfolgreich war. Die SPD hat sich in Brandenburg in den letzten Jahren immer zu einer 50-prozentigen Frauenquote auf ihrer Landesliste bekannt und die auch durchgezogen. Aber dadurch, dass sie jetzt fast alle Direktmandate – und wir kennen das Problem, dass diese oft Männern zugeteilt werden – in den brandenburgischen Wahlkreisen gewonnen hat, ist der Frauenanteil bei der SPD extrem stark nach unten gegangen. Also zwei Gründe für den Rückgang des Frauenanteils im Brandenburger Landtag.

? Sie haben wie 15 Ihrer Ministerkolleg:innen in der GFMK auf Initiative auch unseres Magazins und der Gesellschaft Chancengleichheit mit einem Testimonial die Kampagne ParitätJetzt! unterstützt. Insofern stellt sich uns die Frage, ob die GFMK noch zeitnah in irgendeiner Weise Einfluss nehmen kann?

Ich spreche jetzt im Moment als Ursula Nonnemacher, als frauenbewegte Frau und als Ministerin in Brandenburg. Ich gebe jetzt hier nicht als Vorsitzende der GFMK im Jahr 2023 die Meinung dieses Gremiums wieder. Die müssen wir erst erfragen und bilden. Sie haben erwähnt, dass alle Ministerinnen diesen Aufruf „ParitätJetzt!“ gefolgt sind. Sie sehen, dort gibt es eine große Unterstützung. Die Frauen- und Gleichstellungsminister:innen sowie Senatorinnen werden ja überwiegend von Bündnis 90/Die Grünen, von der SPD und von der Linken gestellt. Nur eine Kollegin kommt aus der Union, die Kollegin aus Bayern. Es wird unsere Aufgabe jetzt sein, als Vorsitzland das Meinungsbild abzufragen. Wir werden sicher den Bericht der Wahlrechtskommission aufgreifen, auch als GFMK. Wir werden das möglicherweise auch in unseren Leitantrag dann aufnehmen. Das sind Abstimmungsprozesse, die sich nach der Vorkonferenz der Staatssekretäre und Staatssekretärinnen im April eher abschätzen lassen. Damit das klar deutlich wird: Meine eigene Meinung ist eindeutig: Alles, was in Richtung Parität geht, ist positiv. Welche Mechanismen dann zur Anwendung kommen, sei dahingestellt. Falls sich die Wahlrechtskommission zu irgendwelchen Empfehlungen in Richtung Parität durchringen kann, fände ich das erstmal positiv.

? Was halten Sie denn von der Diskussion, die jetzt in der Wahlrechtskommission stattfindet, den Parteien eine Art regulierte Selbstregulierung aufzuerlegen – im schönen Jurist:innen-Deutsch ist damit eine gesetzlich geregelte Selbstregulierung gemeint. Glauben Sie, dass man damit den männerdominierten Anteil in den Parteien wirklich reduzieren kann?

Ich glaube schon, dass Selbstverpflichtungen uns voranbringen. Ich denke daran, wie lange die Partei CDU um die Einführung einer Quote gerungen und jetzt diese 50 % Quote für 2025 avisiert. Es hätte meiner Ansicht nach ruhig ein bisschen früher kommen können, aber ich bin trotzdem überzeugt, dass das ein wichtiger Schritt ist, der uns insgesamt im Diskurs weiterbringt. Wir sehen, dass der Frauenanteil in unseren Parlamenten immer dann hoch ist, wenn die Parteien, die sich zur Quotenregelung bekennen – also die SPD, Bündnis‘90/Die Grünen und die Linke – einen hohen Anteil von Kandidatinnen aufstellen. Dieser ist nicht so günstig, wenn die Parlamente von der AfD, CDU/CSU oder von der FDP dominiert werden.

Gewalt ist keine Option | Gesamtstrategie „Brandenburg goes Istanbul“

? Auch im Brandenburger Landtag ist die CDU extrem männerdominiert. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist ihr Männeranteil mit 83 Prozent noch höher als der der FDP mit 80 Prozent. Zurück zu dem Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder, auf den Sie schon hingewiesen hatten. Das Land Brandenburg hatte ihn bereits 2001 aufgelegt, damals unter der Federführung des SPD-Frauenministers Alwin Ziel, dem Amtsnachfolger von Regine Hildebrandt. Im April 2022 haben Sie, Frau Ministerin Nonnemacher, mit der Broschüre “Istanbul goes Brandenburg: Gewalt ist keine Option” nachgelegt. Diese Broschüre verspricht eine Strategie für interdisziplinäre Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt an Frauen und Mädchen im Sinne der Istanbul-Konvention. Was bedeutet das in der Praxis?

Ein Schwerpunkt unseres Hauses ist die Umsetzung der Istanbul-Konvention. Wir wollen die seit 2001 bestehenden Landesaktionspläne gegen Gewalt an Frauen weiterentwickeln zu einer Gesamtstrategie “Brandenburg goes Istanbul”. Dazu haben wir jetzt eine entsprechende Koordinierungsstelle eingerichtet. Wir haben es geschafft, im Haushalt trotz sehr schwieriger Haushaltsbedingungen und zahlreicher Probleme, wie Corona und der Energiekrise, über eine Million zusätzlicher Mittel in diesem Bereich zu akquirieren. Wir werden bestimmte Programme ausweiten, wie zum Beispiel das Programm “Anonyme Spurensicherung nach Vergewaltigung” oder das Programm “Täterarbeit”, das Menschen, die in der Familie gewalttätig geworden sind, ein Trainingsprogramm anbietet. Wir haben, wie gesagt, interministerielle Arbeitsgruppen, die an der Umsetzung der Istanbul-Konvention arbeiten. Wir engagieren uns sehr.

Das Bundesprogramm “Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen” zum Ausbau von Frauenhäusern und von Schutzwohnungsplätzen nehmen wir in Anspruch und kofinanzieren es. Wir wollen den Anteil an Plätzen in Brandenburg deutlich erweitern. Wenn wir nach den Vorgaben der Istanbul-Konvention gehen, dann müssten wir ungefähr noch 350 Plätze in den entsprechenden Einrichtungen schaffen. Das können wir natürlich nicht in zwei Jahren auf den Weg bringen. Aber wir arbeiten daran, auch an dem Punkt, barrierefreie Schutzplätze und Einrichtungen zu schaffen. Natürlich ist die Istanbul-Konvention auch ein Thema im Familien- und Frauenministerium von Bundesfrauenministerin Lisa Paus. Dabei geht es um eine bundesgesetzliche Regelung zur Schaffung von Frauenhausplätzen und insbesondere um die Frage der Beteiligung des Bundes an der Finanzierung.

Paradigmenwechsel bei der Kriminalstatistik: Femizide gegen Frauen werden zutreffend als Mordtaten benannt

? Die polizeiliche Kriminalstatistik hat 2020 allein in Brandenburg 3.598 Opfer bzw. Geschädigte weiblichen Geschlechts ausgewiesen, auch knapp 1.500 Männer waren von Gewalt betroffen. Sind dementsprechend Männerhäuser in Brandenburg ein Thema?

Im Moment konzentrieren wir uns auf Frauenplätze, wobei natürlich auch ein engmaschiges Beratungsangebot besteht, das natürlich für alle Opfern von Gewalt in diesem Bereich offen ist. Wir sehen das Angebot durchaus auch an Männer adressiert. Aber Männerhäuser in diesem Sinne sind in Brandenburg bisher nicht geplant.

? Wir erleben ja gerade einen gewissen Paradigmenwechsel bei der Polizeilichen Kriminalstatistik. Erstmals ist dort der Begriff Femizide von der Bundesinnenministerin Nancy Faeser benannt worden. Es besteht Anlass zu der Hoffnung, dass durch den Wechsel auch an der Spitze dieses Bundesressorts endlich Bewegung in die ganze Bewertungsarbeit der Polizei und der Kriminalstatistik kommt.

Sagen wir es einmal so: In den letzten Jahren gab es immer wieder Anläufe - auch in der Frauen- und Gleichstellungsminister:innen-Konferenz – an die Adresse der Innen- und der Justizminister:innenkonferenz. Wir haben darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Begriff „Femizid“ die berechtigte Beschreibung eines Tatbestandes ist – eines Mordes aus Frauenhass und aus Frauenabwertungsgründen. Die Jurist:innen sind in der Nomenklatur und in der Bewertung sehr zurückhaltend. Gerade im Bereich der Innenpolitik sehe ich aber, dass dieser Straftatbestand eines Mordes oder einer Mordabsicht gegenüber einer Frau, weil sie eine Frau ist, wahrgenommen wird. Früher wurden solche Fällen immer als „Familienauseinandersetzungen“, „Familienkonflikte oder „Familientragödien“ abgewertet, nach dem Motto „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“. Inzwischen ist aber der Begriff Femizid in weiten Kreisen akzeptiert, auch wenn an der juristischen Definition noch gefeilt wird. Ich bin überzeugt, dass wir dort Fortschritte machen.

? Wichtig ist, dass die juristische Definition auch die psychische Gewalt implementiert. Denn in der Istanbul-Konvention wird in § 33 von den Vertragspartner:innen gefordert, diese wie zum Beispiel Nötigung, Drohung oder Hass – auch im Internet – unter Strafe zu stellen. Also, Gewalt hat auch eine sprachliche Dimension. Das erfahren gerade auch Menschen, die sich kommunalpolitisch engagieren und wegen ihres Engagements von sprachlichen Bedrohungen und Einschüchterungen betroffen sind. Wie kann man dort gegensteuern?

Unser Innenministerium hat vor kurzem eine Studie über Hass und Attacken gegen kommunale Mandatsträger und Mandatsträgerinnen herausgegeben. Das ist eine sehr gute Studie, die dokumentiert, dass sich davon ein hoher Anteil gegen weibliche Mandatsträgerinnen richtet, also sexualisierte Gewalt und Hass, Androhungen, direkt wie auch im Internet.

(Siehe auch Bericht auf Seite 19 im zwd-POLITIKMAGAZIN, Ausgabe 395: Angriffe gegen Amts- und Mandatspersonen: Frauen häufiger und anders betroffen.)

Wir haben die Studie mit Gewinn aufgenommen und werden daraus Konsequenzen ziehen. Dafür besteht auf jeden Fall eine erhöhte Sensibilität – auch bei den anderen Ressorts. Gerade jetzt bereitet unser Innenministerium eine Änderung unserer Wahlordnung vor. Sie sieht vor, dass die Namen von Kandidierenden für Kommunalwahlen nicht mehr mit voller Adresse auf dem Wahlzettel stehen sollen. Ich denke, das ist auch eine Maßnahme, die sinnvoll in diesem Kontext ist.

? Im Frühjahr 2022 erschien das von Ihnen beim Verein „Frauen aufs Podium“ in Auftrag gegebene Gutachten mit dem Titel “Ohne Frauen ist kein Staat zu machen”. Darin wird ein Maßnahmenkatalog vorgeschlagen, wie sich der Frauenanteil in der Kommunalpolitik erhöhen ließe. Zeichnet sich da schon ein Erfolg ab?

Es ist noch zu früh, um die Auswirkungen erfassen zu können. Der Frauenanteil in der Kommunalpolitik liegt bei 28 bis 29 Prozent. Da ist noch viel Luft nach oben. Die politische Parität ist und bleibt ein Dauerthema. Man muss immer wieder ansetzen – bei den Parteien, bei entsprechenden Organisationen, beim Empowerment. Unser Haus fördert entsprechende Programme: Frauen aufs Podium, Schulungen und Rhetorikkurse für Frauen, die sich für Kommunalpolitik oder für andere Aktivitäten interessieren. Die Stärkung der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten ist uns sehr wichtig. Mit ihnen sind wir im ständigen Austausch.

Frau Ministerin, wir bedanken uns, dass Sie sich diesem ausführlichen Interview gestellt haben und wir freuen uns darauf, Sie in Ihrem Wirken bei der GFMK in den nächsten Monaten auch ein bisschen begleiten zu dürfen.

Ja, vielen Dank auch für Ihr Interesse an diesen Themen!

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