zwd-Herausgeber Holger H. Lührig : „Popukratie“ vs. „mehr Demokratie wagen“

25. November 2016 // Holger H. Lührig

Die Zeiten sind unsicherer geworden. Nicht erst seit der (bei Redaktionsschluss noch in Frage gestellten) Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA. Menetekel gab es genug, jenseits des Atlantiks wie auch diesseits, in Europa, ja sogar in Deutschland.

Bild: zwd
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Die Reaktionen darauf blieben, gelinde gesagt, harmlos. Zum Beispiel auf die Gewalttaten weißer Polizisten gegen Farbigen, auf die in Washington mit müder, weil machtloser Missbilligung reagiert wurde, während im Mittleren Westen diese Taten eher mit klammheimlicher Freude quittiert wurden. Ähnlich die Ablehnung frauenpolitischer Errungenschaften, für die Hillary Clinton stand, und die schweigende oder sogar unverhohlene Akzeptanz des Trumpschen Sexismus. Die Abkehr von Grundwerten der Europäischen Union in Staaten wie Ungarn und Polen ließ die Staatengemeinschaft aufhorchen, aber handlungsgehemmt: Man wollte mit den Regierungen „im Gespräch“ bleiben. Zuletzt wurde dieselbe Formel auch für die Türkei in Anspruch genommen, weil man doch zum NATO-Partner nicht die diplomatischen (sprich: militärpolitischen) Kanäle verstopfen wollte. In Kauf genommen wurde, mit verbrämten Worten, dass der sich zum Alleinherrscher aufschwingende Staatschef Erdogan längst die europäischen Werte, die für einen Beitritt der Türkei zur EU zur Bedingung gemacht wurden, mit Fußtritten in den Morast der Geschichte gestoßen hat – von der Unterstützung des IS ganz zu schweigen. Die Brandanschläge auf Flüchtlingsheime in Deutschland haben lange eher verbale Empörung und Abscheu als konsequente Maßnahmen des Rechtsstaates ausgelöst. Die Mehrheit der Menschen blieb stumm und passiv, als es darum ging, den Lügen und Verunglimpfungen der Rechtspopulisten und -radikalen ein eindeutiges Haltesignal entgegen zu setzen. Auch auf die Angriffe der AfD gegen den „Gender-Wahn“ schauten die „Altparteien“ zu sehr wie das Kaninchen auf die Schlange.

Es sind viele kluge Analysen seitdem geschrieben worden, von der Angst der Mittelschicht und der Kleinbürger vor dem Abstieg, vor dem Verlust des Wenigen, das ihnen in einer Gesellschaft mit unverhältnismäßig reicher werdenden Minderheit noch bleibt. Doch statt daraus Konsequenzen zu ziehen, wirkten die verantwortlichen PolitikerInnen eher verzagt. Und als eine von ihnen einen ethischen Maßstab zur Grundlage ihrer politischen Entscheidung machte – Angela Merkel mit ihrem „Wir schaffen das“– wurde sie von den Rechtspopulisten geschmäht, beleidigt und sogar von eigenen ParteifreundInnen gescholten. Immer mehr drängt sich der Eindruck auf, dass es den sich um ihre Wiederwahl in Parlamente und Regierungen bangenden PolitikerInnen (ebenso der Mehrheit der Mitgliedschaft in den Parteien) eher darum geht, auf die (vermeintliche) Stimmung im Volk zu hören und daraus eigene populistische Positionen abzuleiten, als programmatisch begründete Werte der liberalen und sozialen Demokratie zu verteidigen. Diese Positionen kommen in der Popukratie (der Herrschaft des Populismus) leicht unter die Räder, wenn sich die Regierenden und die Opponierenden jeweils nur von aktuellen Umfragewerte der Meinungsforschung in ihrem politischen Handeln bestimmen lassen.

Dabei hat die Demoskopie gerade in den USA wieder ein Fiasko ohnegleichen erlebt, als die Vorhersagen in den wichtigen ­Swing-Staaten, in denen letztlich die amerkanische Wahl entschieden wurde, der demokratischen Senatorin Hillary Clinton den sicheren Sieg versprachen. Dass es anders ausging, lag nicht nur an dem Versagen der Meinungsforschung, sondern auch an der Unfähigkeit des „anderen Amerikas“, den Lügengespinsten und Beleidigungen eine klare Kante und politisch glaubwürdige Alternativen entgegenzustellen. Zugelassen wurde, dass demokratische Tugenden mit bracher populistischer Gewalt zerstört und Lügen hoffähig gemacht wurden. Wir haben ähnliches in Deutschland bei Pegida in Dresden, beim Brexit in Großbritannien, aber auch in Polen und Ungarn und in der Türkei zur Kenntnis nehmen müssen. Und doch bleibt die Hoffnung, dass die Welle, die gegen die (bei allen Brüsseler Unzulänglichkeiten noch) demokratische Festung Europa rollt, sich am Widerstand der Aufrechten bricht und beim Zurückfließenzugleich Kräfte für einen neuen Aufbruch zu mobilisieren vermag. Woraus nährt sich die Hoffnung? In einer Welt mobiler Kommunikation fällt es zwar den Lügnern (und Diktaturen) leicht, ihre abwegigen Sprüche zu verbreiten, aber sie können dank sozialer Netzwerke leichter ausgemacht werden. Widerspruch ist eher möglich, wenn die Netzwerke auf ethische Werte verpflichtet werden. Das ist bei Facebook & Co. bisher nicht gelungen.

Die Trump-Wahl, selbst wenn sie erfolgreich angefochten würde, verlangt hierzulande eine Neubestimmung. Die Wahl des Sozialdemokraten Frank Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten kommt insofern nicht von ungefähr. Sie soll, wie auch die erneute Kanzlerkandidatur der CDU-Chefin Angela Merkel, den Menschen hierzulande ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität verheißen. Dabei bleibt, so ehrenwert die Person Steinmeier ist, die Frage, ob es nicht an der Zeit gewesen wäre, für das höchste Amt des Staates eine Frau zu gewinnen? Und ist Angela Merkel für die Mitte und Linke eine „alternativlose“ Politikerin? Das ist noch nicht ausgemacht.

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