HOLGER H. LÜHRIG : „Regieren bis zur Unkenntlichkeit”? Anmerkungen zum Referentenentwurf zur Reform des § 219a StGB

8. Februar 2019 // Holger H. Lührig

​Heftiger hätte die Schelte über den Referentenentwurf des Bundesjustizministe­riums zur Neuregelung des Paragrafen 219a kaum ausfallen können. Die SPD habe sich, so das Urteil des Kommentators des ARD-Hauptstadtstudios Thomas Kreutzmann, in dieser Frage nicht gegen die Union durchgesetzt. Vielmehr stehe sie „jetzt als windelweiche Kompromisspartei dar, die den Frauen keinen wirklichen Fortschritt in einem sehr wichtigen Bereich ermöglicht.“

zwd-Chefredakteur Holger H. Lührig.
zwd-Chefredakteur Holger H. Lührig.

zwd Berlin. Dass die Partei „nach monatelangem Muskelspiel nicht mehr als eine solche, unbefriedigende Lösung gegen die Union erreicht habe“ und trotzdem weiterregiert, veranlasst Kreutzmann zu der süffisanten Fragestellung: „Man könnte meinen: Die SPD regiert bis zur Unkenntlichkeit weiter.“

Natürlich ist es für die SPD als diejenige Partei, die dem Ermächtigungsgesetz entgegengetreten war, schmerzhaft, dass es ihr auch im Jahre 2019 nicht gelungen ist, den Nazi-Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch zu eliminieren. Tatsächlich enthält die neue Regelung viele Unzulänglichkeiten, spielt den Abtreibungsgegnern teilweise in die Hände und schränkt die Freiheit der ärztlichen Berufsausübung ein. Es ist wohl konsequent, dass wiederum das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof gefragt sein werden.

Aber, das muss auch anerkannt werden: Die Neuregelung entschärft zweifellos den sogenannten Werbeverbots­paragrafen 291a und sorgt zugleich dafür, die Lücken in der Ausbildung von Ärzt*innen zu schließen, die befähigt werden, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Soviel zum Erfolg der SPD. In der Öffentlichkeit wird das von vielen Frauen und Ärzt*innen gleichwohl nicht verstanden. Für sie steht der § 219a nicht nur als Symbol des NS-Unrechtsstaates, sondern als reaktionäres Menetekel von Abtreibungsgegnern, gegen die klare Kante nötig wäre (sagt bezeichnender Weise eine CDU-Frau, die DGB-Vizin Elke Hannack). Wäre das noch einen Koalitionskrach wert? Die SPD-Spitze scheint das nicht so zu sehen, denn für sie geht es um „wichtigere“ Fragen als um vermeintliche „Symbolpolitik“ (die Streichung der Strafrechtsreform). Dort setzt frau/man stattdessen auf die Erfolge, wo die SPD auch in der GroKo spürbare Verbesserungen und Fortschritte für die Menschen in unserem Lande erreicht hat oder erreichen kann. Namentlich in der Sozialpolitik, wo Hubertus Heil gerade seinen Vorschlag präsentiert hat, der vielen Frauen im Alter eine grundlegende Besserstellung bei ihrer Rente eröffnen könnte. Die Reaktionen darauf aus den Unionsreihen zeigen, wer eigentlich für das „befremdliche Frauenbild“ (ARD-Kommentator Kreutzmann) in der Bundesregierung verantwortlich zeichnet.

Da ist es zu einfach, der SPD vorzuwerfen, sie habe sich gegen die CDU und CSU [der Spahns, Seehofers und ihrer Lebensschützer-Bataillone] nicht durchsetzen können, aber über die eigentlich Verantwortlichen zu schweigen. Braucht es erst einen Herrn Lindner, um der Union nachzusagen, dass sie an „falscher Stelle konservativ“ ist? Der SPD gelingt es (leider) nicht, dem Medien-Bashing etwas entgegen zu setzen.


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