INTERNATIONALER TAG ZUR BESEITIGUNG VON GEWALT GEGEN FRAUEN : "Wir müssen geschlechtsspezifische Gewalt endgültig beseitigen"

26. November 2018 // Julia Trippo

Nach wie vor wird jede dritte Frau weltweit Opfer von Gewalt. Am 25. November wird mit einem Aktionstag weltweit auf die bestehenden Missstände aufmerksam gemacht. Der zwd hat Forderungen, Statements und Einschätzungen von nationalen und internationalen Politiker*innen, Vereinen und Organisationen zusammengestellt.

Bild: Fotolia / Adiano
Bild: Fotolia / Adiano

zwd Berlin. Die EU-Kommission und Frederica Mogherini, Vertreterin der Kommssion für Außen- Und Sicherheitspolitik, erklärten in einem gemeinsamen Statement: "Wir sind dabei, die letzten Schritte für den Beitritt der EU zum Übereinkommen von Istanbul durchzuführen – einem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt und Belästigung von Frauen, das für Opfer das Recht auf Schutz und Unterstützung festschreibt. Wir müssen geschlechtsspezifische Gewalt endgültig beseitigen. Und so wird sich die Europäische Union weiterhin unermüdlich für dieses Ziel einsetzen."

Der frauenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sönke Rix, erklärte: „Von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder brauchen einen gesicherten Zugang zu Schutz und Beratung. Dieser Anspruch darf nicht an fehlenden Frauenhausplätzen oder personell schlecht ausgestatteten Hilfsangeboten scheitern. Der Runde Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“, an dem neben Bund, Ländern und Kommunen auf Bitte der SPD-Bundestagsfraktion auch die Zivilgesellschaft eingebunden wird, wird hierzu Vorschläge erarbeiten. Dort soll auch der Frage nachgegangen werden, wie der Bund die Länder bei ihrer Aufgabe unterstützen kann, das Hilfesystem bedarfsgerecht auszubauen und Zugangshindernisse für bestimmte Personengruppen abzubauen."

Die frauenpolitische Sprecherin der CDU-Bundestagsfraktion, Nadine Schön, bewertet die Zahlen zu Gewalt gegen Frauen als erschreckend hoch, seien aber in einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. "Denn häusliche Gewalt hat einen privaten Charakter und dies führt dazu, dass bekannt gewordene Fälle als Einzelfälle angesehen werden. Selbst viele Opfer denken so und es fällt ihnen schwer, sich Freunden und Bekannten zu offenbaren und der Gewalt in der Familie zu entkommen. Leichter ist es für viele Opfer, sich einer professionellen Stelle anzuvertrauen – dem Hilfetelefon oder einer Beratungsstelle."

Nicole Bauer, frauenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, findet hingegen: "Union und SPD tun im Kampf gegen Gewalt zu wenig. Was wir brauchen, sind diversifizierte Hilfsangebote von der Prävention bis zur Täterarbeit. Auch bei den Frauenhäusern müssen wir nachbessern. Sie sind eine der wichtigsten Anlaufstellen für Misshandelte. Allerdings herrscht dort akuter Platzmangel und sie sind stark unterfinanziert."

Ulle Schauws, Sprecherin für Frauenpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, erklärte: "Dringend benötigt werden jetzt Verbesserungen bei der Prävention und Wege aus der Gewalt. Dazu ist bundesweit und flächendeckend eine gute und vor allem jederzeit erreichbare Infrastruktur aus Fachberatungsstellen, Frauenhäusern und Schutzwohnungen erforderlich. In Deutschland fehlen tausende Frauenhausplätze und das Frauenunterstützungssystem ist chronisch unterfinanziert. Die Probleme sind seit Jahren bekannt. Wir fordern die Bundesregierung auf, einen Rechtsanspruch für Frauen auf Schutzraum einzuführen, die Frauenhausinfrastruktur auszubauen, die langfristige Finanzierung der Einrichtungen und Beratungsstellen zu gewährleisten sowie die vorbehaltlose Umsetzung der Istanbul-Konvention in Angriff zu nehmen."

Anlässlich der neuesten Zahlen zu Partnerschaftsgewalt, (der zwd berichtete), forderte Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion im Bundestag: „Wir brauchen nicht nur mehr Studien zu häuslicher Gewalt, wir brauchen umfassende Untersuchungen zu allen Formen der Gewalt an Frauen, damit diese wirksam bekämpft werden kann. Die letzte Dunkelfeldstudie zu häuslicher Gewalt ist 14 Jahre alt. Zu Tötungsdelikten außerhalb von Beziehungen liegen der Bundesregierung so gut wie gar keine Erkenntnisse vor. Zudem fehlen bislang aussagekräftige Studien über Formen und Ausmaß digitaler Gewalt gegen Frauen und wie groß der Anteil der Betroffenen in Deutschland ist."

Der Generalsekretär der SPD, Lars Klingbeil, und die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), Maria Noichl, MdEP erklärten: "Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig. Dagegen muss unsere Gesellschaft, müssen wir alle etwas tun: Wir müssen Täter konsequent bestrafen. Zudem brauchen Gewaltbetroffene Notrufe, Beratungsstellen, Wohneinrichtungen und Hilfe für die Zeit danach. Besonders geht es auch um Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen. Hier ist der Bedarf größer als das Angebot. Das Angebot kann mit dem Bedarf nicht mithalten und zwingt betroffene Frauen, in Notsituationen auszuharren."

In einer gemeinsame Presseerklärung äußerten sich die frauen- und gleichstellungspolitischen Sprecherinnen des Berliner Abgeordnetenhauses der Fraktionen von SPD, LINKEN und Bündnis 90/Die Grünen. Derya Çağlar (SPD): „Die aktuellen Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik zeigen, dass Frauen viel besser geschützt und Hilfeangebote ausgeweitet werden müssen. Wir sind gefordert, weitere Maßnahmen zum Schutz von Frauen zu ergreifen und die Gesellschaft zu sensibilisieren.“ Ines Schmidt (Die Linke): „Wichtig ist, dass alle Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, schnell Unterstützung bekommen. Das Hilfetelefon ist ein gutes Beispiel dafür. Frauen werden hier anonym und kostenlos beraten und das ohne großen Aufwand und Hürden.“ Anja Kofbinger (Bündnis 90/Die Grünen): „Die Zahlen der von ihren Partnern zu Tode gekommenen und verletzten Frauen sind erschreckend. Wir müssen diesen Frauen in der Not helfen und Präventionsprojekte unterstützen. Deshalb sichert Berlin seit vielen Jahren Anti-Gewalt-Projekte.“

Die geschlechterpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion der Bremischen Bürgerschaft, Henrike Müller sagte: "In Bremen hat die Koalition gerade jüngst mit einer Parlamentsinitiative die Weichen dafür gestellt, dass Frauenhäuser und Beratungsstellen noch wirksamer arbeiten können. Der Senat ist mit dem Beschluss nun gefordert, die bisherige Förderungspraxis der Frauenhäuser in der Stadt Bremen auf eine institutionelle Teilförderung umzustellen und Beratungsstellen für Frauen und Kinder mit Gewalterfahrung in freier Trägerschaft künftig institutionell zu fördern."

Cansu Özdemir, frauenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft erklärte: "Allein im laufenden Jahr wurden in Hamburg sechs Frauen durch ihren Partner oder Expartner getötet – so viele wie in den beiden Vorjahren zusammen. Frauen in akuten Bedrohungssituationen brauchen Schutzräume und ein funktionierendes Hilfesystem. Doch Hamburgs Frauenhäuser sind seit Jahren überlastet. Legt man die Richtlinien der „Istanbul-Konvention“ an, fehlen in der Hansestadt 230 Frauenhausplätze. Deshalb fordern wir in einem Antrag die Schaffung dieser zusätzlichen Schutzplätze für von Gewalt betroffene Frauen."

Die beiden frauenpolitischen Sprecherinnen der Bayern SPD-Landtagsfraktion, Simone Strohmayr und Ruth Müller, fordern mehr Unterstützung vom Freistaat. „Jede zweite Hilfe suchende Frau in Bayern wird derzeit von den Frauenhäusern wegen Platzmangel abgewiesen. Das ist nicht akzeptabel. Wir brauchen also eine Verdoppelung der Zahl der Frauenhäuser. Und die Kommunen dürfen bei der Finanzierung vom Freistaat nicht länger allein gelassen werden.“

Die Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES richtet dieses Jahr den Fokus auf den Schutz von Mädchen vor Gewalt, denn 35 Prozent der Frauen, die an einer Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte teilgenommen haben, erlebten physische, psychische oder sexuelle Gewalt bereits vor ihrem 15. Lebensjahr. TDF-Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle erklärte: "Nur durch verpflichtende, bundesweite und einheitliche Vorsorgeuntersuchungen können Fälle von Kindeswohlgefährdung früh erkannt oder im besten Fall verhindert werden. Mit dem Start unserer Petition ,U-Untersuchungen – unbedingt Pflicht' fordern wir den Staat auf, seinen gesetzlichen Schutzauftrag Kindern gegenüber ernst zu nehmen".

Zeitgleich zum weltweiten Aktionstag brachte der Deutsche Juristinnenbund ein Policy Paper zum Thema Opferrechte in Strafverfahren wegen geschlechtsbezogener Gewalt heraus. Darin fordern sie, bestehende Schutzlücken, wie bespielsweise die Regelungen zur psychosozialen Prozessbegleitung, zu schließen: "Derzeit besteht ein Rechtsanspruch auf kostenfreie psychosoziale Prozessbegleitung nur in bestimmten, eng gefassten und zum Teil in das Ermessen des Gerichts gestellten Konstellationen. Für viele Betroffene ist das wirtschaftlich nicht möglich, so dass ihren Schutzbedürfnissen nicht Rechnung getragen wird."

Claudia Sprengel, Sprecherin des Frauenpolitischen Rates Brandenburg: „In Brandenburg waren im letzten Jahr über 4200 Fälle von Gewalt an Frauen polizeilich aufgenommen worden. Die Frauenhäuser sind voll. Die Situation der betroffenen Frauen tritt dabei ebenso in den Hintergrund wie die Bedingungen, unter denen die Unterstützungsstrukturen arbeiten. Bis heute sind Schutz- und Beratungseinrichtungen für Frauen, die von Gewalt bedroht oder betroffen sind, nicht ausreichend finanziert und müssen teilweise ehrenamtlich die Betreuung gewährleisten. Hier müssen dringend langfristig tragende Lösungen gefunden werden."

Lea Ackermann vom Verein SOLWODI (Solidarität mit Frauen in Not) forderte eine stärkere Förderung von Aufklärungskampagnen und frühkindlicher Bildung zum Thema Gewalt an Frauen. "Das Frauenbild kann sich in einer Gesellschaft nur durch Bewusstseinswandel und kritische Sprachbeobachtung ändern. Ministerin Giffey darf die Ursachen von (häuslicher) Gewalt nicht aus dem Blick verlieren."

Artikel als E-Mail versenden