EINIGUNG BEI DER GRUNDRENTE : Bis zu 1,2 Millionen Rentnerinnen sollen profitieren

11. November 2019 // Ulrike Günther

Die Koalitionsparteien haben bei der Grundrente nach langen Verhandlungen am Sonntag einen Kompromiss erzielt. Demnach wird es statt der zuvor von CDU/CSU verlangten Bedürftigkeitsprüfung eine Kontrolle des Einkommens der betroffenen Rentner*innen geben. Etwa 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen sollen davon profitieren, darunter 80 Prozent Frauen.

Bild: pixabay / Alexas_fotos
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zwd Berlin. Die neue Regelung soll ab Januar 2021 in Kraft treten. Die Prüfung der Einkünfte werden Rentenversicherung und Finanzämter gemeinsam über ein automatisiertes System vornehmen, so dass für die Empfänger*innen der Leistungen kein zusätzlicher bürokratischer Aufwand erforderlich ist. Sowohl Union als auch SPD begrüßten die Einigung. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, man habe eine „gute Lösung“ erzielt, die kommissarische Chefin der SPD Malu Dreyer nannte das erarbeitete Konzept einen “sozialpolitischen Meilenstein“. Die Lebensleistung von vielen Menschen, die über Jahrzehnte erwerbstätig waren oder Kinder und Angehörige betreut haben, werde nun anerkannt, erklärte Dreyer. Neben einer Mehrheit von Frauen würden auch zahlreiche ostdeutsche Rentner*innen aus der sog. Respekt-Rente Nutzen ziehen, so die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin.

Mehr Menschen ziehen Nutzen aus der Grundrente

Bernd Rützel, rentenpolitischer Sprecher der Landesgruppe Bayern in der SPD-Bundestagsfraktion, stellte heraus, dass durch die zustande gekommene Einigung weitaus mehr Menschen in den Genuss der Grundrente kämen als nach dem Vorschlag der Unionsparteien. Durch das Wegfallen der bisher strittigen, von der Union favorisierten umfassenden Bedürftigkeitsprüfung sei gewährleistet, dass die Grundrente auch ihren Namen verdiene, betonte er. Geprüft würde nun lediglich das Einkommen, nicht aber Vermögen, Eigentum, Lebensversicherungen, Konten oder Wertobjekte festgestellt. Seit drei Legislaturperioden setzt sich die SPD für die Grundrente ein. Zuletzt präsentierte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Mai einen mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz abgestimmten Entwurf (das zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete), der unter den Parteien für starke Kontroversen sorgte.

Der vereinbarte Kompromiss sieht vor, dass Geringverdiener*innen, die mindestens 35 Jahre gearbeitet haben, einen Aufschlag von zehn Prozent zur Grundsicherung erhalten. Die Einkommen alleinstehender und in Partnerschaft lebender Rentner*innen werden bei der nun in Aussicht genommenen Variante der Grundrente unterschiedlich berücksichtigt. Die veranschlagte Grenze der Einkünfte soll für Alleinlebende 1.250 Euro betragen, für Paare 1.950 Euro. Die benötigten Finanzmittel in Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro sollen überwiegend aus dem Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit sowie der geplanten Finanztransaktionssteuer fließen. Darüber hinaus wird die Bundesregierung einen Freibetrag beim Wohngeld gewähren, wofür sie zusätzliche 80 Millionen Euro bereitstellt.

Kritische Stimmen: "Zynischer Kompromiss", "für Frauen enttäuschend"

Johannes Vogel, rentenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, kritisierte das Ergebnis der Verhandlungen als „klassischen Kuhhandel“. Der Wille der Koalitionspartner, ihr parteipolitisches Gesicht zu wahren, sei „leider größer als (die) politische Kraft für (ein) gutes Modell gegen Altersarmut“, kommentierte er die Einigung von Union und SPD auf Twitter. Kritik am neuen Konzept zur Grundrente kam auch von den Linken. Der Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion Dietmar Bartsch nannte den erreichten Kompromiss „zynisch“. Auf Twitter schrieb er, bei Elektro-Autos gebe es „üppige Kaufprämien mit der Gießkanne“, bei der Zusatzrente hingegen schaue „die Koalition ins Portemonnaie der Rentner, die jahrzehntelang eingezahlt haben.“ Auch Karl Lauterbach (SPD), Mitglied im Finanzausschuss des Bundestages, monierte, der erreichte Kompromiss sei insbesondere für Frauen enttäuschend. Gegenüber der "Welt" machte er deutlich, dass mit der vereinbarten Regelung, anders als z.B. bei der Mütterrente, weibliche Erwerbstätige, die 35 Jahre hindurch bei niedrigem Gehalt gearbeitet hätten, keine erhöhte Rente unabhängig von ihrem Ehepartner bekommen könnten. Dass bei der Mütterrente eine Prüfung des Einkommens gar nicht erwogen, für reguläre Erwerbstätige jedoch durchgesetzt wurde, lasse vermuten, dass der Respekt vor der Arbeit geringer sei als für die Mutterschaft, erklärte Lauterbach.

Gewerkschaften: Einkommensprüfung als Ausdruck eines „antiquierten Frauenbildes“

Der Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Frank Werneke würdigte die erzielte Lösung im Streit um die Zusatzrente als „einen wichtigen Schritt“, um die Lebensleistung tausender Arbeitnehmer*innen anzuerkennen und ein faireres Rentensystem sicherzustellen. Er wandte jedoch ein, dass es „mehr Menschen richtigerweise verdient hätten, von der Grundrente zu profitieren.“ Die vorgesehene Prüfung der Einkommen stelle eine „unnötige Komplikation und Hürde dar“, beanstandete Werneke. Als ungünstig wertete der ver.di-Vorsitzende vor allem, dass die Einkünfte beider Ehepartner*innen gleichermaßen geprüft würden. Das halte er für den „Ausdruck eines antiquierten Frauenbildes“, welches die Konservativen durch die Regelung offenbar weiter fortschreiben wollten. Zudem sieht Werneke in dem ausgehandelten Modus der Einkommensprüfung bei der neuen Zusatzrente einen Widerspruch zum üblichen Verfahren bei der gewöhnlichen Altersrente, wo die Zahlungen geleistet würden, ohne Ehepartner*innen dabei zu berücksichtigen. Ähnlich schätzt Guido Zeitler, Vorsitzender der Gewerkschaft für Nahrungsmittel und Gaststätten (NGG) das vereinbarte Konzept zur Grundrente ein. Vorteilhaft sei es für Niedrigverdiener*innen wie Frauen und Ostdeutsche, und verhindere „ein Ausufern der Altersarmut“. Das Prüfen der Einkünfte beider Partner*innen würde allerdings dem „Rentenprinzip“ entgegenstehen, demzufolge Beitragszahler*innen einen „individuellen Leistungsanspruch“ erwerben.

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