STUDIE "HOHES ALTER IN DEUTSCHLAND" : Altersarmut ist weiblich

10. Februar 2022 // Dr. Dagmar Schlapeit-Beck

Das Armutsrisiko von Frauen steigt mit dem Alter. Das ist das zentrale Ergebnis der vom BMFSFJ geförderten Studie an der Universität Köln „Das Einkommen der Hochaltrigen in Deutschland“. Frauen beziehen im Durchschnitt 46 Prozent weniger Rente als Männer. Wie kann die Altersarmut von Frauen trotz aller gleichstellungspolitischen Reformen noch immer ansteigen? Obwohl die Erwerbsquote von Frauen von 1991 bis 2019 von 62 Prozent auf heute 75 Prozent angewachsen ist und es zuletzt zahlreiche Rentenreformen gab, die die Altersarmut von Frauen mindern sollten, wie die Ausweitung der Mütterrente oder die Einführung der Grundrente, ist eine eigenständige Alterssicherung von Frauen nicht absehbar. Im Gegenteil, bis 2036 wird sich die Altersarmut von Frauen nach einer Prognose der Bertelsmann-Stiftung noch deutlich erhöhen.

Ältere Frau auf einer Bank Quelle: Flickr
Ältere Frau auf einer Bank Quelle: Flickr

Dr. Dagmar Schlapeit-Beck ist Autorin des nachstehenden, im zwd-POLITIKMAGAZIN, Ausgabe 389, veröffentlichten Beitrages.

Dr. Dagmar Schlpeit-Beck

Ein großer Anteil der Hochbetagten liegt mit dem Einkommen unter der Armutsgrenze. Mehr als jede*r Fünfte über 80 Jahren (22,4 Prozent) in Deutschland ist von Armut betroffen und verfügt über ein maximales Einkommen von 1.167 Euro im Monat. Damit liegt die Armutsquote unter den Hochaltrigen deutlich höher als bei den über 65 jährigen mit 18 Prozent. In der Gesamtbevölkerung liegt diese Quote bei 14,8 Prozent. Bei den hochbetagten Frauen liegt der Anteil um mehr als 9 Prozentpunkte höher als bei den Männern. Damit leben 1,3 Millionen Senioren*innen über 80 Jahren unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze. Frauen dieses Alters sind davon weitaus häufiger betroffen als Männer. Bei ihnen liegt die Armutsquote bei über 26 Prozent, bei Männern bei 17 Prozent. Sogar 35 Prozent der zugewanderten Frauen im Rentenalter sind armutsgefährdet. Als armutsgefährdet gilt, wenn weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte zur Verfügung steht.

Die Rente als Spiegelbild der Teilhabe am Erwerbsleben und der traditionellen Geschlechterrolle

Der Zusammenhang zwischen Bildung und Einkommen besteht bis ins hohe Alter: Hochgebildete haben im Vergleich zu niedriggebildeten Hochaltrigen durchschnittlich ein um fast 1.150 Euro höheres monatliches Nettoäquivalenzeinkommen. Die Armutsquote unter den Niedriggebildeten ist mit 41,5 Prozent deutlich höher als bei den Hochgebildeten dieser Altersgruppe mit 6,7 Prozent. Das durchschnittliche monatliche Einkommen von hochaltrigen Frauen liegt bei 1.765 Euro, das von hochaltrigen Männern bei 2.068 Euro. Besonders hoch ist die Armutsquote bei Frauen, die nie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sind. Diese haben nur ein monatliches Einkommen von 1.369 Euro, ihre Armutsquote liegt bei über 50 Prozent. Die Rente ist ein Spiegelbild der Teilhabe am Erwerbsleben. Die Hochaltrigen gehören Geburtsjahrgängen an, deren Bildungs- und Erwerbsverläufe häufig unterbrochen wurden. Zwar sind heute drei von vier Frauen erwerbstätig, aber das traditionelle Frauenbild der Nachkriegsjahre in Westdeutschland mit der weiblichen Geschlechterrolle als Hausfrau und Mutter wirkt in der heutigen ökonomischen Benachteiligung älterer Frauen nach. Frauen verdienen noch immer durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer. Durch unterbrochene Erwerbsbiografien, Schwierigkeiten beim beruflichen Wiedereinstieg, Teilzeitbeschäftigung, Jobs im Niedriglohnsektor oder nicht versicherungspflichtiger Beschäftigung erwerben Frauen einen um 53 % geringeren eigenen Rentenanspruch als Männer. Dies führt zu Renten, die damit häufig unterhalb des Grundsicherungsniveaus liegen. Niedrige Einkommen, Teilzeitbeschäftigung, weil Frauen unbezahlte Sorgearbeit zu Hause verrichten, wie bei der Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen oder nicht versicherungspflichtige Minijobs enden in unzureichenden Rentenversicherungsansprüchen der Frauen im Alter. Insbesondere Frauen, die nie erwerbstätig waren, sind ökonomisch besonders vulnerabel.

In Deutschland: der höchste Gender-Pension-Gap Europas

Nirgendwo in Europa ist nach dem Vergleich der 37 OECD-Länder aus dem Jahr 2019 der Gender Pension Gap mit 46 Prozent größer als in Deutschland. Der Gender Pension Gap bezeichnet die geschlechtsspezifische Altersvorsorgelücke von Frauen im Vergleich zu Männern. Der Gender Pension Gap liegt meist höher als der Gender Pay Gap, da sich hier die Ein- kommensunterschiede zwischen den Geschlechtern und die Erwerbsbeteiligung über das Erwerbsleben summieren und die Einkommensdifferenzen der letzten 50 Jahre dort einfließen. Die deutsche Rentenversicherung funktioniert nach dem Prinzip der Teilhabeäquivalenz. Je höher die eigenen Beitragszahlungen während des Erwerbslebens waren, desto höher sind die Rentenansprüche. Der Gender Pension Gap spiegelt daher die unterschiedlichen Beitragsbiografien von Männern und Frauen wieder. Falsche fiskal- und familienpolitische Anreize zu Lasten von Frauen, wie das Ehegattensplitting oder die kostenlose Mitversicherung in der Krankenversicherung, begünstigen die Alleinverdienerehe oder eine Ehe, in der eine Person ihre Erwerbstätigkeit stark einschränkt. Die geringer verdienende Person, i.d.R. die Frau, steckt bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurück und erwirbt geringere gesetzliche Rentenansprüche. Laut Deutscher Rentenversicherung beziehen Männer eine durchschnittliche Rente von 1.148 Euro, während es bei Frauen lediglich 711 Euro sind.

Trauriger Rekord im Jahr 2020: Die höchste Armutsquote

Nach dem Paritätischen Armutsbericht 2021 hat die Armutsquote 2020 in Deutschland mit 16,1 Prozent der Bevölkerung und 13,4 Millionen Menschen einen neuen Höchststand erreicht. 2006 lag die Quote noch bei 14,0 Prozent. Hierbei besitzen die Alleinerziehenden (41 %) und die kinderreichen Familien (31 %) die höchste Armutsbetroffenheit. Überproportional betroffen sind die Erwerbslosen und Menschen mit Migrationshintergrund oder niedrigen Bildungsabschlüssen. Die südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg haben mit 12,2 Prozent eine unterdurchschnittliche Armutsquote, außerordentlich hohe Armutsquoten verzeichnen Bremen (28,4 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Sachsen-Anhalt. 2016 lag der Schwellenwert für das Armutsrisiko in Deutschland bei ca. 1.064 Euro. Frauen besaßen 2020 mit 16,9 Prozent ein deutlich höheres Armutsrisiko als Männer mit 15,3 Prozent. Die Armutsgefährdungsquote der älteren Männer ab 65 Jahren liegt bei 13,7 Prozent, bei den über 65-jährigen Frauen jedoch bei 18,2 Prozent (Statistisches Bundesamt 2019) und ist gegenüber 2006 deutlich angestiegen, wo sie bei Männern noch bei 9,2 Prozent und bei den Frauen bei 12,4 Prozent lag. In Ostdeutschland stieg die Armutsgefährdungsquote der Älteren in diesem Zeitraum um 7 Prozent gegenüber 4,5 Prozent in Westdeutschland, lag aber im Jahr 2019 noch niedriger als in Westdeutschland. Auch die Teilzeitquote von Frauen in Ostdeutschland ist niedriger als in Westdeutschland. 2019 fällt sie in Ostdeutschland mit 34 Prozent um 15 Prozentpunkte niedriger als in Westdeutschland aus (49 Prozent). Ursache hierfür ist die hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen in der ehemaligen DDR und damit verbundener Rentenansprüche. Zukünftig erreichen jedoch zunehmend solche ostdeutschen Jahrgänge das Rentenalter, die in den Jahren nach der Wiedervereinigung ihre Arbeit verloren haben oder unterqualifiziert tätig werden mussten.Ihre unterbrochenen Erwerbsbiografien führen zu einer unzureichenden sozialen Absicherung im Alter.

Auszug aus dem Ampel-Koalitionsvertrag zu Thema Altersvorsorge

Die Paritätische: Der rasante Anstieg der Altersarmut lässt sich stoppen

Der Hauptgeschäftsführer des paritätischen Gesamtverbands Dr. Ulrich Schneider begrüßt den Koalitionsvertrag der Ampelregierung. „Nach unserem Dafürhalten benennt der Vertrag eine Reihe von Vorhaben, die geeignet sind, Einkommensarmut wirkungsvoll zu bekämpfen. Die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ist dabei ein wichtiger und ganz konkreter Schritt. Auch die Haltelinie von 48 Prozent beim Rentenniveau kann helfen, den rasanten Anstieg der Altersarmut zu bremsen. Weitere armutspolitisch relevante Vorhaben, die sich ganz direkt auf die Armutsquoten auswirken würden, sind die angekündigten Verbesserungen beim BAföG, beim Wohngeld oder bei den Erwerbsmindungsrenten.“ Als unzureichend sieht Schneider jedoch die Vereinbarungen zur Bekämpfung der Altersarmut: „Wenn die einzige Verbesserung, die der Koalitionsvertrag beispielsweise für altersarme Rentnerinnen und Rentner vorsieht die ist, dass ihre Möglichkeiten verbessert werden sollen, neben der Sozialhilfe einer Erwerbsarbeit nachzugehen, so wirkt das bestenfalls wie ein makabrer Scherz.“ Altersarmut kann einsam machen, verursacht sozialen Rückzug und kann die Lebensdauer verkürzen. Zwar steht Menschen mit weniger als 870 Euro Rente die Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII zu, doch die verschämte Armut oder die falsch verstandene Rücksicht auf unterhaltspflichtige Angehörige führt häufig dazu, dass gesetzliche Ansprüche nicht realisiert werden. Doch diese Sorge ist unbegründet, denn die Grundsicherung wird unabhängig vom Einkommen der Kin- der gewährt, sofern diese nicht mehr als 100.000 Euro im Jahr verdienen. Nach dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung lag der durchschnittliche Bedarf 2015 bei 785 Euro. 2020 erhielten 564.000 Personen Grundsicherung im Alter, der höchste Stand seit der Einführung der Leistung im Jahr 2003, davon 56 Prozent Frauen.

Unbezahlte Arbeit – Frauen leisten mehr

Eine der Ursachen für die hohe Teilzeitquote von Frauen ist noch immer die ungleiche Verteilung der unbezahlten Arbeit, wie Hausarbeit, Kinderbetreuung und Pflege. Fast jede zweite Frau in Deutschland arbeitete 2019 in Teilzeit, 1991 waren es nur ein Drittel. Unter Müttern ist Vollzeitarbeit sogar die Ausnahme. Das WSI Gender/ Daten/Portals 8/2017 zeigt, dass Frauen zwischen 18 und 64 Jahren 2,4-mal so viel Zeit für unbezahlte Sorgearbeit und 1,6-mal so viel Hausarbeit (3,29 Stunden) wie Männer (2,08 Stunden) übernehmen. Noch deutlicher sind die Unterschiede bei Erwerbstätigen mit Kindern. Die ungleiche Verteilung der häuslichen Arbeit hat direkte Auswirkungen auf das Einkommen, die beruflichen Chancen und die Alterssicherung von Frauen. Teilzeit bei Frauen hat insbesondere in Paarhaushalten zugenommen. Die aktuellen Auswirkungen der Corona Pandemie zeigen, dass Frauen auch aktuell stärker von Arbeitszeitreduktionen betroffen sind als Männer. Durch die pandemiebedingten Einschränkungen und die verringerten institutionellen Betreuungsangebote für Kinder sind es wieder vermehrt Frauen, die die zusätzliche häusliche Sorge und Kinderbetreuung oder das Homeschooling übernehmen.

Flexirente, Mütterrente, Grundrente – bisherige Schritte gegen Altersarmut

Die volle Rente erhält, wer bis zum Alter von 67 Jahren arbeitet. 2017 wurde zur Abmilderung von Rentenabschlägen bei vorzeitiger Verrentung die Flexi-Rente eingeführt. Wer 35 Jahre auf das Rentenkonto eingezahlt hat, geht ab dem 63. Lebensjahr vorzeitig in den Ruhestand. Wer 45 Beitragsjahre vorweist, kann ohne Abschläge in Rente gehen. Doch die wenigsten Frauen verfügen über eine solche kontinuierliche Beitragskarriere. Als Beitrag gegen die Altersarmut von Frauen hatte die große Koalition 2014 die Verbesserung der Mütterrente eingeführt. Mit dieser wurde auf die Gleichbehandlung der Erziehungszeiten unabhängig vom Geburtsjahr des Kindes abgezielt. Für alle vor 1992 geborenen Kinder wird in der Rente ein weiteres Jahr Kindererziehungszeiten angerechnet. 2021 wurde die Grundrente als individueller Zuschlag zur Rente insbesondere für solche Rentner*innen, die lange gearbeitet und dabei unterdurchschnittlich verdient haben, eingeführt. Wer mindestens 33 Jahre Rentenbeiträge eingezahlt hat, erhält automatisch einen Zuschlag, ab 35 Jahren den Maximalbeitrag. Von den 1,3 Millionen bezugsberechtigten Rentnern*innen sind allein 70 Prozent Frauen. Allerdings gelten 24 Prozent der Rentner*innen, die von Armut betroffen sind, als nicht förderberechtigt, da sie diese langen Anwartschaften nicht vorweisen können. So lebt bei den Paaren mit über 65 Jahren jede vierte Frau überwiegend von den Einkünften Einkünften des Mannes. Fällt diese Unterstützung etwa durch Scheidung oder Tod weg, ist das Armutsrisiko für Frauen groß. Jede fünfte alleinlebende Frau über 65 muss mit weniger als 900 Euro monatlich leben. Laut Bertelsmann-Stiftung (Entwicklung der Altersarmut bis 2036, Gütersloh 2017) wird der Anteil der über 67-jährigen alleinlebenden Frauen in Altersarmut dennoch bis zum Jahr 2036 stark steigen. 2016 waren 16,2 Prozent der über 67 jährigen alleinlebenden Frauen von staatlichen Transferleistungen abhängig. 2036 werden es zufolge dieser Prognose bereits 27,8 Prozent sein. Der neuen Ampel-Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP ist das Problem der Altersarmut bewusst. Dennoch sind die Lösungsvorschläge im Koalitionsvertrag unzureichend. Die Koalition will das Rentenniveau von 48 Prozent festschreiben und die betriebliche Altersversorgung durch die Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen stärken. Allerdings ist die verfehlte Ausweitung der nicht versicherungspflichtigen Minijobs auf 520 Euro ein Schritt in die falsche Richtung. Es bedarf weiterer Konzepte für eine eigenständige Alterssicherung von Frauen.



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