LEITLINIEN FÜR FEMINISTISCHE AUßEN- UND ENTWICKLUNGSPOLITIK (1) : Baerbock und Schulze leiten Paradigmenwechsel ein

23. Mai 2023 // Hilda Lührig-Nockemann

Die Titelgeschichte im zwd-POLITIKMAGAZIN, Ausgabe 396, steht im Zeichen der Außen-und Entwicklungspolitik. Die verantwortlichen Bundesministerinnen Annalena Baerbock (Grüne) und Svenja Schulze (SPD) haben Leitlinien für die politische Arbeit in ihren Häusern erlassen. Hilda Lührig-Nockemann, die bereits im Jahr 2022 in einer Titelgeschichte zur Ausgabe 390 des zwd_POLITIKMAGAZINs über die ersten Ansätze einer feministischen Außenpolitik geschrieben hatte, stellt jetzt in der Ausgabe 396 die kürzlich präsentierten Leitinien zur Feministischen Außenpolitik /FAP) und zur Feministischen Entwicklungspolitik (FEP) vor.

Erstmals Feministische Leitlinien fürdie Außen- und Entwicklungspolitik

von HILDA LÜHRIG-NOCKEMANN

Die Außen- und Entwicklungspolitik soll sich stärker an den Rechten von Frauen orientieren. Dazu haben die beiden Ressort-Chefinnen Annalena Baerbock (B90’Die Grünen) und Swenja Schulze (SPD) dem Bundeskabinett am 1. März ihre Leitlinien vorgestellt.

Beschlossen wurden sie im Kabinett nicht förmlich und haben somit nur den Charakter von Koordinaten für die Arbeit im Außen- und Entwicklungsministerium. Mit ihren Leitlinien hat Baerbock ihr Außenpolitikverständnis konkretisiert, worüber das zwd-POLITIKMAGAZIN in Ausgabe 390 vor einem Jahr ausführlich berichtet hatte (Cover zur Ausgabe 390 nebenstehend). Bundesentwicklungsministerin Schulze, die auch

https://www.zwd.info/feministische-aussenpolitik-streichung-%C2%A7-219a-bafoeg-reform-landtagswahl-an-der-saar.html

Vorsitzende eines entsprechenden SPD-internen Netzwerks "Feministische Außenpolitik" ist, hat diesen politischen Ansatz nun auch als Arbeitsgrundlage für den Bereich ihres Ressorts formuliert.

Bereits Mitte Februar dieses Jahres hatte die Bundesregierung eine 51 Fragen umfassende Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema "Feministische Außenpolitik" (FAP) und "Feministische Entwicklungspolitik" (FEP) beantwortet (Drs. 20/5648). Mehr dazu auf Seite 11 im zwd-POLITUIKMAGAZIN, Ausgabe 396.

In den jeweiligen Vorworten zu den Leitlinien stellen beide Ministerinnen heraus, dass nicht ausschließlich die Frauen im Fokus stehen. „Feministische Entwicklungspolitik ist keine ‚Politik von Frauen für Frauen‘, sondern fördert „globale Gerechtigkeit“, von der alle profitieren heißt es in den Worten von Schulze und „feministische Außenpolitik ist keine Außenpolitik für Frauen, sondern für alle Mitglieder einer Gesellschaft“ in den Worten von Baerbock. Aber es geht um Gleichstellung, ein Menschenrecht! Die jedoch ist noch nicht gewährleistet, denn die größte diskriminierte Gruppe der Weltbevölkerung sind Frauen. Die beiden Bundesministerinnen berufen sich auf die Erklärung der Menschenrechte und machen nun ernst mit feministischen Strategien. In ihren Konzepten haben sie die zwei Sätze umfassende Vereinbarung im Koalitionsvertrag (siehe nebenstehenden Kasten) auf 80 bzw. 40 Seiten konkretisiert.

Während im Koalitionsvertrag die deutsche Bezeichnung vermieden und durch die englische „feminist foreign policy“ ersetzt wird, haben weder das Auswärtige Amt noch das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Scheu, mit der deutschen Version zu operieren. „Feministische Außenpolitik gestalten“ benennt zehn Leitlinien (Seite 8), um historisch gewachsene Machtstrukturen zu überwinden und auf gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen hinzuwirken. „Feministische Entwicklungspolitik“ beschreibt vier Handlungsfelder (Seite 9), die für eine nachhaltige Entwicklungspolitik mit rauen als wichtigen Akteurinnen maßgeblich sein sollen.

Frauen sind Rechteinhaberinnen, nicht Hilfeempfängerinnen

Die Leitlinien der beiden Ministerien sind inhaltlich miteinander abgestimmt. Bei deren Umsetzung wollen sie „im Schulterschluss“ mit anderen Ressorts zusammenarbeiten, besonders mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, dem Bundesverteidigungsministerium und anderen Ressorts. Beide Konzepte basieren auf den im Koalitionsvertrag verbürgten „drei Rs“ – Rechte, Ressourcen und Repräsentanz.

Rechte von Frauen und Mädchen sollen weltweit umgesetzt werden, denn noch immer werden Frauen per Gesetz daran gehindert, Besitz zu erben und – in 86 Staaten –bestimmte Berufe zu ergreifen. 130 Millionen Mädchen wird das Recht auf Bildung abgesprochen. Dem will das BMZ entgegensteuern und sich für ein Recht auf Bildung und lebenlanges Lernen für Mädchen und Frauen einsetzen. Denn sie kann "gendertransformativ" sein, wenn das Potenzial aller Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht gefördert wird.

Daraus folgt, dass Frauen und Mädchen als Rechteinhaberinnen anstatt als Empfängerinnen von Hilfe definiert werden. Ungleichheiten sind durch Machtsysteme wie das Patriarchat oder Rassismus verursacht. Diese gilt es zu überwinden, u.a. durch einen gleichen Zugang zu den Ressourcen, um auch gleiche Lebenschancen zu haben.

Frauenanteil im Bundestag: im weltweiten Vergleich auf Platz 44

Dazu gehört der Zugang zu finanziellen, personellen und natürlichen Ressourcen, aber auch zu immateriellen Ressourcen wie Bildung und Netzwerken. Frauen – die Hälfte der Menschheit – haben ein Anrecht auf die Hälfte der Macht und somit auf Repräsentanz bei Entscheidungsprozessen und ein gleichberechtigtes Eingebundensein auf allen Ebenen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Noch sind sie in wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen unterrepräsentiert.

Selbst Deutschland mit einer demokratischen Regierung liegt mit einem Frauenanteil von 35 Prozent im Bundestag im globalen Vergleich auf Platz 44, auf Platz 1 Ruanda mit aktuell 61 Prozent.

Schrittweise Gender Budgeting auf den ganzen Haushalt ausdehnen

„Feministische Außenpolitik ist kein Zauberstab“, stellte Baerbock auf der Pressekonferenz klar, „sie muss pragmatisch ausloten, was realistisch möglich ist“. Grundlage dafür ist der finanzielle Rahmen. Den will die Außenministerin schaffen, indem bis zum Ende der Legislaturperiode Gender Budgeting zunächst auf die gesamten Projektmittel und dann schrittweise auf den gesamten Haushalt des Auswärtigen Amtes angewendet wird. Bis 2025 sollen 85 Prozent der Projektmittel gendersensibel und 8 Prozent gendertransformativ ausgegeben werden. Konkret wird auch die Entwicklungsministerin. Ziel sei es, bekräftigte sie auf der Pressekonferenz, dass 93 Prozent der neuzugesagten Projektmittel des Entwicklungsministeriums in Vorhaben fließen, die die Gleichstellung voranbringen. Das ist im Vergleich zu 2021 eine Steigerung von nahezu 30 Prozent. Dabei soll der Anteil der Mittel mit dem Hauptziel der Gleichberechtigung auf acht Prozent verdoppelt werden, Maßnahmen mit dem Nebenziel der Gleichberechtigung sollen auf 85 Prozent gesteigert werden. Die Frauenperspektive nicht mehr aus-, sondern einzuschließen ist geboten, denn – so wird auf Seite 12 von „Feministische Außenpolitik gestalten“ ins Licht gerückt – „jeder Haushalt, jede Außenwirtschaftsförderung und jedes Klimapaket hat geschlechtsspezifische Auswirkungen“.

Bei geschlechtsspezifischer Gewalt geht es um Machtausübung ...

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